Zitat:
Zitat von Schwarzfahrer
(Beitrag 1511524)
ich schreibe so, da ich mich nicht ausführlich mit sozialpolitischen Aspekten des AfD-Programms befasst habe (da ich kein Wahl-Interesse an dieser Partei habe), also auch keine Meinung dazu haben kann. Du meinst übrigens hoffentlich nicht, daß ich Verantwortung für asoziale Politik trage, oder?
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Nein, wieso? So konkret haben wir nicht diskutiert. Aber wer z.B. den jetzigen Mindestlohn und die Hartz IV Sätze für richtig hält, trägt IMHO eine Mitverantwortung für diese unsoziale Politik.
Zitat:
Zitat von Schwarzfahrer
(Beitrag 1511524)
Der erste Absatz stimmt völlig, der zweite ist ein Trugschluss. Ungleichheit ist bei weitem nicht immer Ungerechtigkeit, und auch bei bekannter Ungerechtigkeit gibt es kaum jemals eine objektiv "gerechte", von allen als solches wahrgenommene Verteilung. Gerechtigkeit ist in dieser Hinsicht ein höchst subjektives Konstrukt. (nicht umsonst geht es vor Gericht auch selten um Gerechtigkeit, sondern nur um Durchsetzung von Recht).
Aber das Wissen um die Subjektivität des Themas heißt noch lange nicht, daß man nichts ändern will. Jeder strebt in Richtung seines persönlichen Gerechtigkeits-ideals und möchte die Welt gerne dahin treiben. Und auch wenn es kein objektiv, final gerechtes System gibt, man kann jedes System in kleinen Schritten besser, auch gerechter machen - aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Und nur meistens findet sich jemand, der durch eine solche Verbesserung sich speziell ungerecht benachteiligt fühlt.
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Das ist wirklich ein grosses Thema. Du individualisierst und subjektivierst den Wert "soziale Gerechtigkeit" halt in diesem Weltbild vollkommen. Das macht die Psychologie genauso in ihren Untersuchungen. Diese sind wenigstens hilfreich zu verstehen, wie Menschen kognitiv damit umgehen, wenn sie an eine "gerechte Welt glauben", aber Ungerechtigkeit vorkommt bzw. erlebt wird. Der Befund der Psychologen fasst dieser Artikel ganz gut zusammen. Er erklärt auf der individuellen Ebene wie Menschen mit welchen Einstellungen den Widerspruch zwischen eigener empfundener sozialer Ungerechtigkeit und Wahl-Unterstützung der AFD wieder in ein konsistentes Denksystem bringen.
"Für das Erleben von alltäglichen, aber auch gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten bedeutet dies: Wer intuitiv stärker davon überzeugt ist, in einer (insbesondere für einen persönlich) gerechten Welt zu leben, dem gelingt es leichter, Ungerechtigkeiten auszublenden, und es ist in der Folge wahrscheinlicher, dass er erfolgreicher ist und sich wohler fühlt. Das individuelle Potenzial für aktiven Widerstand, gerade gegen oft als unüberwindbar erlebte gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, dürfte damit an Stärke verlieren. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, diese Effekte im Zusammenhang mit der aktuellen Gesellschaftskrise insbesondere im Umgang mit Menschen auf der Flucht zu betrachten."
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"Und dann sehen wir uns mit einer Vielzahl von Menschen konfrontiert, die sich nur allzu gern auf Gerechtigkeit berufen und gleichzeitig die Prinzipien, die sie für sich selbst einfordern, angesichts der in Deutschland ankommenden Hilfebedürftigen brutal mit den Füßen treten - meistens “nur” verbal, immer öfter aber auch wortwörtlich. ........
Diese Menschen wähnen sich tatsächlich im Recht, bemängeln die Ungerechtigkeit ihrer eigenen Lage und bringen es dabei fertig, das ungerechte Schicksal der Geflüchteten herunterzuspielen: “die sind doch selbst Schuld, wenn sie sich zuhause gegenseitig bekämpfen” oder “...wenn sie zuhause schlecht wirtschaften” (blaming the victim); “so schlecht kann es denen gar nicht gehen, denn sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren” oder “die meisten sind doch Wirtschaftsflüchtlinge, das ist massenhafter Asylmissbrauch” (Herunterspielen von Ungerechtigkeit); “das Boot ist voll, wir helfen zwar gerne, aber jetzt ist auch mal Schluss” oder “die Welt ist halt nicht gerecht (für alle, Hauptsache aber für mich)” (Normalisierung, “shit happens”, persönliche Welt vs. Welt der Anderen)."
siehe den Artikel zum "das Gerechtigkeitsparadoxon"
Nun besteht aber eine Gesellschaft nicht einfach aus der Summe von X-Individuen (hier liegt die Erkenntnis-Grenze der Psychologie), so wie man auch nicht das Funktionieren eines Lebewesens verstehen kann, indem man es als Summe der einzelnen Zellen auffasst. Es braucht unbedingt eine Analyse der gesellschaftlichen Strukturen / Systeme, um zu erklären, weshalb heute das Halten von Dienstboten als Sklaven als ungerecht empfunden wird im Unterschied zu früher, hingegen die meisten die extrem ungleiche Vermögensverteilung als "normal" bis sogar "gerecht" hinnehmen, wenn auch nicht als "leistungsgerecht" empfinden. Und solche Analysen führen zu objektivierbaren Zielen, um die Verteilung der erarbeiteten Werte einer Gesellschaft eben sozial gerechter zu gestalten als es jetzt der Fall ist.
siehe: Piketty, Kapital und Ideologie
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