Zitat von Klugschnacker
(Beitrag 1256965)
Entschuldigung, ich war der Ansicht, ich wäre bereits mehrmals auf genau diesen Punkt eingegangen. Du sagst, Moral sei von Anfang an fester Bestandteil eines "Systems", also zum Beispiel einer Gesellschaft. Ich bin davon abweichend der Meinung, dass es zunächst nicht um Moral geht, sondern um den Erfolg von Verhaltensweisen. Erst wenn sich der Erfolg von Verhaltensweisen bestätigt, werden sie allmählich zur Moral.
Fiktives Beispiel: Ein Haufen Neandertaler verdrischt after-wörk-mäßig spaßeshalber eine verweichlichte Truppe Yuppie-Typen, die sich "Homo sapiens" oder so nennen, und fremd in der Gegend sind. Die Fremden beschließen, es ihnen am nächsten Tag in der Morgendämmerung heimzuzahlen, da Neandertaler bekanntlich immer bis 9 Uhr schlafen. Das klappt gut, außerdem erlegen sie noch ein paar Rehe, die ebenfalls frühmorgens unterwegs waren.
Zum Leidwesen der wenig flexiblen Neandertaler kommen die Yuppies jetzt jeden morgen in aller Herrgottsfrühe und verteilen Kopfnüsse. Das hat Auswirkungen auf die Gesellschaft der Homo sapiens: Dort gilt es jetzt als schick für alle jungen Männer, bereits im Morgengrauen aufzustehen. Die Mädels achten bereits darauf, wer von den Jungs morgens der erste ist, und die Kinder wollen auch früh raus, so wie die Großen. Die Neandertaler leiden an Migräne und verziehen sich allmählich Richtung Mittelmeer. Der Jagderfolg frühmorgens jedoch bleibt, und bald machen es alle Sapiens so. Früh raus und gleich mal ranklotzen.
Lange Zeit später, als es keine Rehe mehr gab, sondern Dönerbuden, galt frühes Aufstehen immer noch als Zeichen von Rechtschaffenheit, während man Langschläfertum als irgendwie unmoralisch empfand. "Es gehört sich einfach nicht", sagten die Alten. Dabei hatten die Erfinder des frühen Aufstehens keinerlei Moral im Sinn. Sie wollten nur den arroganten Neandertalern erfolgreich auf die dicklippige Schnauze hauen. Es war eine erfolgreiche Strategie, doch zur Moral wurde sie erst viel später.
:Blumen:
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