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Klugschnacker 06.02.2019 09:32

Zitat:

Zitat von schoppenhauer (Beitrag 1433963)
So - also relativ - gesehen, alles super in Europa!

Ja, es hat sich einiges zum Guten hin entwickelt. Das ist erfreulich. Allerdings nicht in ganz Europa. Bereits in unserem Nachbarland Polen, das sehr katholisch ist, muss man einige Abstriche machen. Vom christlichen Afrika ganz zu schweigen.

Das Problem für die Religionen sitzt tief und ist sehr grundsätzlicher Art. Das Judentum, der Islam und das Christentum nehmen für sich in Anspruch, ihre Schriften seien das Wort Gottes. Falls sie das nicht sind, verlieren alle drei ihre Autorität. Denn diese beruht nicht auf Vernunft, sondern auf der behaupteten Urheberschaft ihrer Texte und Gebote.

Dass der Mann über die Frau herrsche – das stellen wir heute in Frage. Gleichzeitig rütteln wir damit unweigerlich an der Behauptung, die Bibel sei das Wort Gottes. Es geht also um die Fundamente christlichen Glaubens. Denn am Ende dieses Weges steht die Erkenntnis, dass wir nichts über die Götter wissen und wissen können.

qbz 06.02.2019 10:23

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1433970)
J
.......
Dass der Mann über die Frau herrsche – das stellen wir heute in Frage. Gleichzeitig rütteln wir damit unweigerlich an der Behauptung, die Bibel sei das Wort Gottes. Es geht also um die Fundamente christlichen Glaubens. Denn am Ende dieses Weges steht die Erkenntnis, dass wir nichts über die Götter wissen und wissen können.

In Europa trug vor allem die massenhafte Frauenlohnarbeit und die proletarische Frauenbewegung (Clara Zetkin) wesentlich zur Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen bei, während das Bürgertum und ihre Ideologie der Frau bis in die 50ziger Jahre die Rolle der Hausfrau und Mutter zuwies. Entsprechend konsequent verankerten und realisierten die Diktaturen des Ostblocks die Gleichberechtigung der Geschlechter formal und juristisch sowie auch China (trotz des ehemaligen feudalbäuerlichen / adligen Hintergrundes).

Meiner persönlichen Ansicht nach liegen die Wurzeln des Patriarchats letztlich in der Jäger/Sammler Epoche und archaischen Urvorstellungen. Aus beiden, der "natürlichen" Arbeitsteilung und den Urvorstellungen ergaben sich die patriarchalen Herrschaftsideologien. Die Herrschaft der Männer über die Frauen begleitet die Menschheit fast die gesamte Zeit ihrer weiteren Geschichte.

Schwarzfahrer 06.02.2019 10:48

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1433953)
Es ist ein kulturelles Problem, natürlich. Insbesondere ist es aber ein Problem des Christentums, vor allem des Katholizismus.
...
Berührt sind nicht nur das Frauenbild, sondern auch das generelle Verhältnis zur Sexualität. ...
Diese Saat geht bis heute auf, und zwar in Form von sexuellen Verklemmungen bis hin zu Neurosen, in Form von Beschneidungen bei Kleinkindern (männlich) oder zehnjährigen Mädchen, ...

Bei allem Respekt, Arne, aber die Beschneidung von Mädchen wirst Du wohl kaum ernsthaft der christlichen Religion zuschreiben wollen. Diese barbarische Tradition ist älter als die großen Religionen, und wird heute fast nur noch von einer Religionsgruppe ernsthaft praktiziert und gefordert - und das sind nicht die Christen. Ein Großteil Deiner Ausführungen mag so stimmen, aber das meiste, und speziell die Beschneidung, ist kaum "insbesondere" ein Problem des Christentums, zumindest nicht in unserer Zeit. Da muß ich Schopenhauer Recht geben:

Zitat:

Zitat von schoppenhauer (Beitrag 1433963)
Ja, das war schon alles sehr schräg in der Zeit, als das Christentum entstand. ... Wir können auf jeden Fall eine tolle Entwicklung beobachten in den letzten 50 Jahren.
Weit mehr Sorgen bereitet mir da die Rolle der Frau im Islam. Oder aber bei den orthodoxen Juden.

Die Tataschen im Umgang mit Frauen, an denen eine Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen festgemacht werden können, sind besonders im Islam, aber auch in vielen Sekten und bei orthodoxen Juden von ganz anderer Qualität, als die in den christlich geprägten Ländern Europas und Amerikas.

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1433970)
Bereits in unserem Nachbarland Polen, das sehr katholisch ist, muss man einige Abstriche machen. Vom christlichen Afrika ganz zu schweigen.

Wiederum sind die Probleme dieser beiden Gebiete höchst unterschiedlich im Ausmaß und Qualität. Was übrigens für mich ein Beleg ist, daß die Religionen nicht Ursache dieser Diskriminierung der Frauen sind, sondern diesem archaisch-patriarchalischem Trend, der je nach Kultur verschiedene Blüten trieb, nur den Rahmen, die Legitimation liefern. Und die afrikanischen Christen kommen aus einer ganz anderen "heidnischen", also nicht-christlichen Kultur, als die Polen, mit entsprechend anderen Voraussetzungen im Umgang mit Frauen, so daß dort auch das Christentum anders interpretiert wird.

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1433985)
Meiner persönlichen Ansicht nach liegen die Wurzeln des Patriarchats letztlich in archaischen Urvorstellungen der Menschen. Die Herrschaft der Männer über die Frauen begleitet die Menschheit fast die gesamte Zeit ihrer Geschichte.

Eben; das gibt es leider auch ohne die "großen" Religionen.

Klugschnacker 06.02.2019 11:25

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1433990)
Bei allem Respekt, Arne, aber die Beschneidung von Mädchen wirst Du wohl kaum ernsthaft der christlichen Religion zuschreiben wollen.

Die Sexualfeindlichkeit tritt im Alten Testament deutlich hervor. Es ist die gemeinsame Grundlage von Judentum, Christentum und Islam. Mir ging es um diese geistigen Grundlagen, auch wenn im Christentum Europas keine Mädchen beschnitten werden. Stattdessen gibt es jedoch zahlreiche andere Mittel, um die Sexualität der Frauen zu kontrollieren, zum Beispiel die äußerst wirksame soziale Ächtung.

Recht hast Du meiner Meinung nach in dem Punkt, dass die Religionen nicht die eigentliche Quelle solcher Diskriminierungen sein mögen, sondern sie lediglich erfolgreich legitimiert und systematisiert haben. Wer für Frauenrechte eintrat, wandte sich – nun religiös aufgeladen – gegen den angeblichen Willen Gottes, also gegen die höchste nur denkbare Autorität.

Rälph 06.02.2019 12:18

Ich habe gerade einmal auf der Homepage der Erzdiozöse Freiburg nachgeschaut, wie speziell das Thema Homosexualität hier vor Ort so gesehen wird.


https://www.ebfr.de/html/content/hom...npastoral.html
Die Liebe Gottes gilt allen Menschen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung.
...
Wir fördern, dass homosexuellen Menschen in unserer Kirche mit Toleranz, Achtung und Respekt begegnet wird, damit sie ihren Platz in unseren Gemeinden, Gruppen und Verbänden einnehmen können.


(Leider funktioniert der Download der Infoschreiben nicht)

https://www.frauenreferat-erzdioezes...=1&tid=2063155
Voll Energie, leicht, beschwingt und selbstbewusst durchs Leben gehen – schön wär´s! Die Realität sieht für lesbische Frauen in unserer Gesellschaft oft anders aus, kostet Energie und lässt manchmal „flügellahm“ sein. Wir machen uns in diesen Tagen auf die Suche nach Kraftquellen und gehen biografischen Erfahrungen nach, die uns in unterschiedlichen Lebenssituationen gestärkt haben und an denen wir wachsen konnten.


Ich finde, das hört sich nach einem recht offenen und toleranten Umgang an.

Jörn 06.02.2019 12:41

@Rälph

Dies gilt nur unter der Annahme, dass die betroffenen Personen völlig enthaltsam leben. Dann ist ihre Sünde nämlich vergleichbar mit der Erbsünde: Sozusagen eine stille Last, die jeder zu tragen hat, ohne dass er selbst etwas getan hätte.

Sobald aber der Pfad der völligen Keuschheit verlassen wird, endet auch das Wohlwollen der Kirche.

Die Erzdiözese Freiburg ist zu feige, um in ihren Texten klipp und klar zu sagen, was Sache ist. Man klopft sich lieber selber auf die Schultern, wie tolerant man sei -- ohne es tatsächlich zu sein. Man verfolgt dort bis aufs kleinste Detail die Linie des Vatikans.

Stephan Burger, der Erzbischof von Freiburg, gehört übrigens zu den ganz besonders verwirrten Predigern in Deutschland, und es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Freiburger Diözese dadurch modernisiert. Er gilt als selbst für katholische Verhältnisse konservativ, und das will etwas heißen.

Er lässt sich mit "Eure Exzellenz" ansprechen.

Klugschnacker 06.02.2019 12:41

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1434014)
Ich finde, das hört sich nach einem recht offenen und toleranten Umgang an.

Die katholische Kirche zeigt sich vordergründig tolerant gegenüber gleichgeschlechtlich liebenden Menschen. Das bedeutet in Kurzform: Man darf homosexuell sein, diese Sexualität aber nicht leben. Homosexuelle Handlungen sind "in keinem Fall zu billigen".

Im Katechismus, den verbindlichen Lebensregeln der Katholiken, ist das eindeutig klargestellt:

Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet..., hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, „daß die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind" (CDF, Erkl. „Persona humana" 8). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.

Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen.

Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich - vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft -‚ durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern.

Rälph 06.02.2019 13:48

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434019)
@Rälph

Dies gilt nur unter der Annahme, dass die betroffenen Personen völlig enthaltsam leben. Dann ist ihre Sünde nämlich vergleichbar mit der Erbsünde: Sozusagen eine stille Last, die jeder zu tragen hat, ohne dass er selbst etwas getan hätte.

Sobald aber der Pfad der völligen Keuschheit verlassen wird, endet auch das Wohlwollen der Kirche.

Die Erzdiözese Freiburg ist zu feige, um in ihren Texten klipp und klar zu sagen, was Sache ist. Man klopft sich lieber selber auf die Schultern, wie tolerant man sei -- ohne es tatsächlich zu sein. Man verfolgt dort bis aufs kleinste Detail die Linie des Vatikans.

Wer glaubt denn so was: Homosexuellen wird in den Gemeinden die Türe aufgehalten unter der Forderung nach Enthaltsamkeit? "Du darfst bei uns mitmachen, aber poppen ist ab sofort nicht mehr, klar!? Sonst kommst du nämlich in die Hölle!!!" Das ist doch lächerlich. Für wie naiv hälst du diese Leute?
Bin mir sicher, dass sich viele Geistliche einen Dreck um den Katechismus scheren. Aber du hast schon Recht: Möglicherweise sind sie zu feige, es mit dem Vatikan aufzunehmen, ja. Aber die berufliche Karriere wäre dann eben auch zu Ende.

Ich war vor einiger Zeit auf einer lustigen Jugendgruppen-Revival-Tour.
Als ich unseren ehemaligen Gruppenleiter, (er ist seit vielen Jahren Diakon und übernimmt zu 90% die Aufgaben des Pfarrers) mit umfangreichem Triathlon-Szene-Wissen ausgestattet, auf irgendeinen Unsinn aus dem Katechismus ansprach, meinte er:
"Der Katechismus interessiert mich nicht."

Jörn 06.02.2019 14:26

@Rälph
Schöne Geschichte.

Ich wette eine Million Euro in bar, dass der sympathische Diakon dennoch kein homosexuelles Paar verheiraten wird und sich der Diakon zu 100% an den Katechismus halten wird.

Kehren wir zum ursprünglichen Thema zurück. Dieses bestand aus dem Eingeständnis von Papst Franz zu Missbrauchsfällen bei Nonnen. Das "andere Thema" wurde ja bereits erschöpfend behandelt.

Klugschnacker 06.02.2019 14:36

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1434039)
"Der Katechismus interessiert mich nicht."

Er interessiert die meisten Katholiken in Deutschland nicht, sofern ihnen daraus unangenehme Konsequenzen entstehen. Beispielsweise werden natürlich Verhütungsmittel eingesetzt, und Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist für die meisten eine Selbstverständlichkeit. Auch das Recht zur Ehescheidung und Wiederheirat wird gerne wahrgenommen. Ich denke, dass die Mehrheit der deutschen Katholiken den Katechismus gar nicht kennt, ebensowenig wie das Alte und das Neue Testament.

Die Haltung Deines Freundes ist häufig anzutreffen. Sie lautet in Kurzform, dass der Glaube der Amtskirche schlecht, der eigene aber gut sei. Oft wird ein Kontrast zwischen der Theologie der Kirchen, und den eigentlichen Absichten Jesu hergestellt. Letztere kennen wir jedoch nicht, da so gut wie gar nichts von ihm zweifelsfrei überliefert wurde. Meistens handelt es sich daher um Wunschdenken.

Es besteht generell das Problem, dass das Christentum keinen moralischen Kompass hat. Du kannst mit ihm ebensogut homosexuelle Handlungen verteufeln oder im Sinne der Nächstenliebe gutheißen. Das gilt auch für alle anderen moralischen Fragen, von der Stellung der Frau bis zum Töten von Menschen. Es gibt daher auch nicht das "wahre" Christentum unabhängig vom Zeitgeist und persönlichen Präferenzen.
:Blumen:

Rälph 06.02.2019 16:58

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434050)
Es gibt daher auch nicht das "wahre" Christentum unabhängig vom Zeitgeist und persönlichen Präferenzen.
:Blumen:

Eben. Aber hier wird oft so getan, als würde der Katechismus das wahre Christentum erklären und repräsentieren oder täusche ich mich?

Klugschnacker 06.02.2019 19:27

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1434075)
Eben. Aber hier wird oft so getan, als würde der Katechismus das wahre Christentum erklären und repräsentieren oder täusche ich mich?

Für Katholiken ist der Katechismus verbindlich. Er sei notwendig, um die Einheit des katholischen Glaubens zu wahren – sonst könne ja jeder glauben, was er will.

Ich weiß nicht genau, was Du Dir unter einem anderem Christentum vorstellst, das sich weniger um Amtskirche, Katechismus usw. kümmert. Folgendes ist den allermeisten Christen, die ich kenne, weitgehend oder vollständig unbekannt:

- Der katholische Katechismus
- Das Alte Testament
- Das Neue Testament
- Was Jesus gesagt hat
- Was Jesus getan hat
- Was Jesus zugeschrieben wird, er aber weder gesagt noch getan hat
- Wer Paulus und Augustinus sind
- Was Luther wollte
- Die 10 Gebote in ihrer vollständigen Form

Bekannt ist den meisten die vage Verbindung von Jesus <-> Nächstenliebe, wobei die näheren Umstände wieder unbekannt sind. Die Betonung von Jesus und Nächstenliebe ist ein neues Phänomen, das es im Katholizismus seit etwa 1960 gibt. Entsprechend steht weder in den 10 Geboten noch im Glaubensbekenntnis etwas von Nächstenliebe oder Liebe.

That’s it. Was soll man sich da als "wahres Christentum" vorstellen? Hast Du eine Idee?
:Blumen:

Rälph 07.02.2019 19:16

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434095)
Ich weiß nicht genau, was Du Dir unter einem anderem Christentum vorstellst, das sich weniger um Amtskirche, Katechismus usw. kümmert. Folgendes ist den allermeisten Christen, die ich kenne, weitgehend oder vollständig unbekannt:

- Der katholische Katechismus
- Das Alte Testament
- Das Neue Testament
- Was Jesus gesagt hat
- Was Jesus getan hat
- Was Jesus zugeschrieben wird, er aber weder gesagt noch getan hat
- Wer Paulus und Augustinus sind
- Was Luther wollte
- Die 10 Gebote in ihrer vollständigen Form

Bekannt ist den meisten die vage Verbindung von Jesus <-> Nächstenliebe, wobei die näheren Umstände wieder unbekannt sind. Die Betonung von Jesus und Nächstenliebe ist ein neues Phänomen, das es im Katholizismus seit etwa 1960 gibt. Entsprechend steht weder in den 10 Geboten noch im Glaubensbekenntnis etwas von Nächstenliebe oder Liebe.

That’s it. Was soll man sich da als "wahres Christentum" vorstellen? Hast Du eine Idee?
:Blumen:

Das glaube ich dir sofort! (Who t.f. is Augustinus?:Lachanfall: )
Ich sehe das aber positiv. Die Präferenzen verschieben sich und Dinge werden nicht blind übernommen. Man könnte fast sagen, dass die Weigerung, den alten Kram zu übernehmen, einem Aufstand gleichkommt. Viele wenden der Kirche den Rücken zu und die, die bleiben, machen ihr eigenes Ding. Ist doch gut, besonders, wenn der Aspekt der Nächstenliebe in den Focus rücken sollte (was für mich allerdings durchaus fraglich ist, ob das global wirklich so stattfindet).

Das Christentum, das ich persönlich kenne ist aber eine friedliche und offene Gemeinschaft von Menschen, an der jeder ohne irgendwelche Vorbehalte teihaben darf.

merz 08.02.2019 00:20

Die dann aber auch - man verzeihe mir die Sprache zu später Stunde - irgendwie hohl und unspezifisch ist, da ist nichts mehr was man nicht woanders besser bekommt .....

m.

Klugschnacker 08.02.2019 02:40

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1434221)
Ist doch gut, besonders, wenn der Aspekt der Nächstenliebe in den Focus rücken sollte ...

Die allermeisten Christen sind per Kindestaufe zum Christentum gekommen, also unfreiwillig und ohne eigene geistige Beteiligung. Viele davon schließen sich später humanistischen Idealen an, zum Beispiel den Menschenrechten, und halten diese für christliche Werte. Man akzeptiert oder unterstützt am Christentum das, was zu humanistischen Idealen passt und erklärt den Rest des christlichen Glaubens für nebensächlich, zum Beispiel die ewige Hölle.

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1434221)
Man könnte fast sagen, dass die Weigerung, den alten Kram zu übernehmen, einem Aufstand gleichkommt. Viele wenden der Kirche den Rücken zu und die, die bleiben, machen ihr eigenes Ding.

Am Schluss läuft es auf die Frage hinaus, ob Jesus für einen Gott oder einen Menschen gehalten wird. Oder mit anderen Worten: Ist er von den Toten auferstanden, ja oder nein? An dieser Frage kommt man nicht vorbei. Das sagte bereits Paulus: "Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich."
:Blumen:

Wenn man sich weigert, bestimmte Teile der Bibel oder ihrer Auslegungen zu glauben, stellt sich die Frage, ob nicht noch weitere Aussagen ebenfalls falsch sind. Warum glaubt man an Engel, nicht aber an den Teufel? Warum nicht an ewige Höllenstrafen, jedoch an ewiges Leben? Warum nicht an Wunder, wohl aber an die Allmacht Gottes?

Bezweifelt man einen einzigen Vers der Bibel (und damit seine göttliche Urheberschaft), steht automatisch den ganze Bibel auf dem Prüfstand. Wenn ein Vers falsch ist, können alle falsch sein.

Mit welchem Kriterium will man entscheiden, was richtig und glaub-würdig ist, und was nicht? Falls dieses Kriterium die Vernunft ist, führt das meiner Meinung nach früher oder später zum Atheismus.
:Blumen:

Jörn 08.02.2019 04:45

Zitat:

Zitat von Rälph (Beitrag 1434221)
Das Christentum, das ich persönlich kenne ist aber eine friedliche und offene Gemeinschaft von Menschen, an der jeder ohne irgendwelche Vorbehalte teihaben darf.

Auch Moslems?

Die Frage mag klingen, als sei sie nicht ernst gemeint. Aber wenn eine Glaubensgemeinschaft sagt, es gäbe keine Vorbehalte, dann würde man doch vermuten, dass hier nicht die Haarfarbe gemeint ist, sondern der Glaube; dass also jeder ungeachtet seines Glaubens teilnehmen darf und nicht ungeachtet seiner Haarfarbe.

Oder ist es genau umgekehrt? Dass also jeder teilnehmen darf, egal welche Haarfarbe er hat, solange er nur dem vorgeschriebenen Glauben folgt?

Auf den Punkt gefragt: Welche Kriterien sind fest vorgeschrieben und wo nimmt man es nicht so genau? Wenn der Glaube frei ist: Ist es dann überhaupt eine Glaubensgemeinschaft? Und wenn lediglich die Haarfarbe variabel ist: Wäre das nicht etwas läppisch?

Zum Vergleich: Humanistische Vereine, politische Parteien, Sportvereine oder Freizeitgruppen nehmen ganz selbstverständlich alle Menschen auf (eventuell unter Beachtung einer gesetzlichen Altersgrenze). Das gilt auch für Fanclubs, Lesezirkel, Wandergruppen oder Schulen: Sie stehen jedem offen. Deswegen kann man mit Fug und Recht behaupten, dass in diesen Gruppen "jeder ohne irgendwelche Vorbehalte teilhaben darf".

Deine christliche Gemeinde scheint sich aber doch gerade darin von den oben genannten Gruppen zu unterscheiden, dass nicht jeder teilhaben darf, und dass es Vorbehalte (Bedingungen) gibt -- und es würde mich doch sehr wundern, wenn's die Haarfarbe wäre.

Ich würde vermuten, dass Deine christliche Gemeinde sich vielleicht sogar ausschließlich darüber definiert, wer teilhaben darf und welche Vorbehalte es gibt.

Was ist mit Menschen, die in dieser Gemeinde kirchlich heiraten, sich scheiden lassen und danach erneut heiraten? Sind diese Menschen zum Gottesdienst und speziell zur Eucharistie zugelassen? Gibt die Gemeinde ihren offiziellen Segen, in Form einer erneuten kirchlichen Heirat? Oder gibt es Vorbehalte?

Was ist mit Pfarrern dieser Gemeinde, die eine Frau heiraten? Kann der Pfarrer dann weiterhin ohne irgendwelche Vorbehalte teilhaben? Oder wird er rausgeschmissen? Falls er rausgeschmissen würde, scheint mir das ein eindeutiger Vorbehalt zu sein, oder ist das spitzfindig?

Nehmen wir an, der Pfarrer will keinen Ärger und verzichtet auf die Heirat. Aber er hat eine feste Freundin und steht dazu. Wird er rausgeschmissen?

Was ist mit Religionslehrern, die von dieser Kirchengemeine zum Unterricht bestimmt wurden, und die den Schülern mitteilen, dass sie die Geschichte von der jungfräulichen Maria für albern und erfunden halten? Behalten diese Lehrer ihre Anstellung? Oder gibt es Vorbehalte?

Schwarzfahrer 08.02.2019 10:31

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434249)
Zum Vergleich: Humanistische Vereine, politische Parteien, Sportvereine oder Freizeitgruppen nehmen ganz selbstverständlich alle Menschen auf (eventuell unter Beachtung einer gesetzlichen Altersgrenze). Das gilt auch für Fanclubs, Lesezirkel, Wandergruppen oder Schulen: Sie stehen jedem offen. Deswegen kann man mit Fug und Recht behaupten, dass in diesen Gruppen "jeder ohne irgendwelche Vorbehalte teilhaben darf".

Klingt im Prinzip toll - ist aber an der Realität vorbei. Jeder Verein, jede Partei sucht sich seine Mitglieder auch selbst aus, behält sich auch das Recht vor, unliebsame Mitglieder wieder auszustoßen, die sich nicht an ihre geschriebenen oder auch ungeschriebenen Regeln halten (wollen). Eklatanteste Beispiele sind aktuell z.B. Sportvereine, die AfD-Wähler oder Mitglieder aus ihren Reihen ausschließen wollen (wobei politische Meinung herzlich wenig mit Sport zu tun haben sollte), die SPD will Sarrazin ausschließen, und man erwartet zu Recht, daß die AfD ihre Rechtsausleger loswird. Und jeder hätte Verständnis, daß ein vollständig aus Nichtrauchern bestehender Verein keine Mitglieder mag, die in den Vereinsräumen ungehemmt rauchen. Von SchrebergartenVereinen und ihren Regeln ganz zu schweigen...

Jede soziale Gruppe, ob Verein, Religionsgruppe oder Partei mag offen sein für alle - aber der Vorbehalt, daß sich Teilnehmer an die Regeln der jeweiligen Gruppe zu halten haben, ist grundsätzlcih da. Ohne diese Abgrenzung gäbe es die spezifische Gruppe als solche gar nicht, sondern es wäre eine beliebige, identitätslose Gruppierung von Menschen. Über die Sinnhaftigkeit oder moralische Rechtfertigung der Regeln mag trefflich gestritten werden, aber Dein konstruierter Unterschied zu den Kirchen ist falsch - es gibt keinen.

Klugschnacker 08.02.2019 12:35

Schwarzfahrer: Wäre nach Deinem Argument folgendes dasselbe:

• "Kein Zutritt für Minderjährige!"
• "Kein Zutritt für Juden!"
• "Kein Zutritt für Homosexuelle!"
• "Kein Zutritt für Servicepersonal!"

Mir scheint, dass man an diesem Beispiel erkennen kann, dass es entscheidend auf die Begründungen solcher Regeln ankommt. Damit möchte ich Dir natürlich nichts in den Mund legen, was Du nicht sagen wolltest; ich möchte lediglich meinen Punkt verdeutlichen.

Ich möchte die Angelegenheit kurz verallgemeinern. Welche Anforderungen sind an ein moralisches System und seine Regeln zu stellen? Dazu zwei Gedanken:
  • Wir sind grundsätzlich bereit, moralische Systeme durchzusetzen, notfalls mit Gewalt.
  • Daraus erwächst die Verpflichtung, moralische Systeme zu begründen. Es muss begründet werden, warum ein bestimmtes moralische System besser ist als ein konkurrierendes anderes moralische System.

Ein Beispiel für die Anwendung von Gewalt für die Durchsetzung eines moralischen Systems sind unsere Gesetze. Wer gegen sie verstößt, bekommt es mit der Staatsgewalt zu tun. Zum Beispiel in Form von Geld- oder Haftstrafen. Es geht also nicht unbedingt um körperliche Gewalt, sondern um die Ausübung von Macht.

Diese Gewalt- oder Machtausübung müssen wir rechtfertigen. Es muss bewiesen oder plausibel gemacht werden, warum ein moralische System besser ist als ein anderes. Im folgenden argumentiere ich dafür, dass das Christentum solche notwendigen Begründungen nicht hat.

Religiös begründete Moral beruft sich auf religiöses Wissen. Das ist stets geoffenbartes Wissen: Ein Engel erschien im Traum, ein Busch sprach, ein Gott reichte Steintafeln herab. Eine Offenbarung als Wissensquelle ist heutzutage für einen großen Teil unserer Gesellschaft kein überzeugendes Argument mehr. Seine Überzeugungskraft reicht nicht mehr aus, um eine so begründete Moral gegenüber Andersdenkenden durchzusetzen.

Deshalb demonstrieren heutzutage Schüler selbst an einer katholischen Schule gegen die Entlassung eines Lehrers, der seinen Lebenspartner heiraten will, während sie andere moralische Regeln durchaus akzeptieren. Es geht um die Begründung.

Das Fehlen von Begründungen für das christliche Moralsystem zerreisst die Kirche auch von innen. In praktisch allen moralischen Fragen ist sie in sich uneinig. Darf eine Frau ein geistliches Amt innehaben? Ist Scheidung und Wiederheirat okay? Gilt das Tötungsverbot immer oder gibt es Ausnahmen? Darf eine lesbische Frau Pfarrer werden? Ist elektrischer Strom eine Sünde? Kommt Hitler in den Himmel und Gandhi in die Hölle?

Zu all diesen Fragen (und vielen weiteren) gibt es im Christentum die unterschiedlichsten Lehrmeinungen, trotz teilweise zweitausend Jahren intensiven Nachdenkens über den Willen des Gottes, an den sie alle gemeinsam glauben, und der sich ihnen angeblich offenbart hat. Damit möchte ich ausdrücken, dass es zwar zahlreiche moralische Standpunkte im Christentum gibt, aber eben keine Begründungen für sie, mit denen sich entscheiden ließe, welcher moralische Standpunkt richtig ist.

Wichtig ist mir, zu betonen, dass ich niemanden persönlich verletzen oder kritisieren möchte.
:Blumen:

Jörn 08.02.2019 13:05

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434283)
Jeder Verein, jede Partei sucht sich seine Mitglieder auch selbst aus, behält sich auch das Recht vor, unliebsame Mitglieder wieder auszustoßen, die sich nicht an ihre geschriebenen oder auch ungeschriebenen Regeln halten (wollen).

Einverstanden. Du schreibst, die Kirche sei wie alle anderen Gruppen, weil sie die Mitgliedschaft abhängig macht von bestimmten Dingen.

Genau das ist mein Punkt. Behauptet wurde, eine bestimmte Kirchengemeinde wäre a) offen für jeden, und b) auch noch vorbehaltlos. Aber nun sieht es so aus, als würde beides nicht zutreffen.

Warum ist das wichtig? Es ist wichtig, weil es uns zu den zentralen, nicht verhandelbaren Inhalten und Zielen dieser Gemeinschaft führt. Nur aus diesem Grund bringe ich es in die Debatte ein.

Wenn ein Religionslehrer (oder Professor) rausgeschmissen wird, weil er die Jungfräulichkeit von Maria bezweifelt, dann darf man annehmen, dass es sich um einen nicht verhandelbaren Inhalt handelt.

Anschließend könnte man untersuchen, ob dieser Inhalt in allen katholischen Gemeinden so geglaubt und gehandhabt wird. Es wird nämlich in der Debatte laufend behauptet, dass kein Mensch den offiziellen Quatsch der Amtskirche glauben würde, und dass die Kritik daran folglich substanzlos wäre. Wenn es aber kein Mensch glaubt, dann müssten sich eine Menge Gemeinden finden, in denen die Leugnung der Jungfrauengeburt keine Konsequenzen hat.

Aber man findet sie nicht.

Man findet auch keine geschiedenen und wiederverheirateten Ehepartner, die das offizielle Sakrament ihrer katholischen Gemeinde empfingen. Man findet keine katholischen Pfarrer, die eine Beziehung zu einer Frau eingingen und weiterhin Pfarrer blieben.

Man findet nicht einen einzigen Gläubigen, der getauft, konfirmiert oder verheiratet wurde, wenn er zuvor sagte: "Also Leute, vom Glaubensbekenntnis glaube ich nur die Hälfte".

Zwar mag es katholische Privatleute geben, die nicht an die Jungfräulichkeit glauben und die auch die Ehe von Priestern befürworten würden. Aber sie haben in der kath. Kirche keine Macht und sind gesellschaftlich in diesem Punkt nicht relevant. Und weil sie nicht relevant sind, können sie auch nicht die Kritik an den Amtskirchen abschwächen.

Wenn in 100% aller kath. Kirchengemeinden scharfe Sanktionen drohen, falls nicht an die Jungfräulichkeit geglaubt wird, dann ist die Kritik daran auch zu 100% berechtigt.

keko# 08.02.2019 13:42

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434309)

Wichtig ist mir, zu betonen, dass ich niemanden persönlich verletzen oder kritisieren möchte.
:Blumen:

Hi Klugschnacker, ich behaupte mal frei, das tust du auch nicht. Mich jedenfalls sicher eingeschlossen.
Das für mich nach wie vor eigentlich Befremdliche ist, dass du und dein Bruder letztendlich gar kein gutes Haar an Katholiken lasst oder irgendwas, das für jemanden positiv ist. Das wird dann in immer gleicher Art relativiert und negiert. Das sei dir aber unbenommen, wir haben das monatelang ausdiskutiert :Cheese: Dieses Rigorose schreckt mich ab, egal ob von Katholiken, Atheisten, Linken, Rechten usw. Es wirkt auf mich schwerlastig, gezwungen und nicht erstrebenswert. :Blumen:

Jörn 08.02.2019 13:45

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1434318)
dein Bruder letztendlich gar kein gutes Haar an Katholiken lasst

Ich persönlich kritisiere keine Katholiken, sondern den Katholizismus. Ich habe ungefähr 200 mal darauf hingewiesen.

Schwarzfahrer 08.02.2019 13:47

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434309)
Schwarzfahrer: Wäre nach Deinem Argument folgendes dasselbe:

• "Kein Zutritt für Minderjährige!"
• "Kein Zutritt für Juden!"
• "Kein Zutritt für Homosexuelle!"
• "Kein Zutritt für Servicepersonal!"

Mir scheint, dass man an diesem Beispiel erkennen kann, dass es entscheidend auf die Begründungen solcher Regeln ankommt. Damit möchte ich Dir natürlich nichts in den Mund legen, was Du nicht sagen wolltest; ich möchte lediglich meinen Punkt verdeutlichen.

Schon klar, ich bin nicht empfindlich :Blumen:. Natürlich kommt es auf die Begründung an - wobei diese seltenst objektiv ist, sondern aus der subjektiven Sicht der betroffenen Gruppe geschieht. Für Menschen, die von klein auf Haß auf Juden und Homosexuelle gelernt haben, sind die obigen Beispiele wohl vergleichbar. Für mich sind Nr. 1 und 4 u.U. begründbar, 2 und 3 nie. Allerdings ist "wir bedienen keine AfD-Mitglieder" und "wir bedienen keine Moslems" mit 2 und 3 gleichzustellen, finde ich, und genauso bedenklich - obwohl es heute sehr unterschiedlich bewertet wird.

Zitat:

Welche Anforderungen sind an ein moralisches System und seine Regeln zu stellen? Dazu zwei Gedanken:
  • Wir sind grundsätzlich bereit, moralische Systeme durchzusetzen, notfalls mit Gewalt.
  • Daraus erwächst die Verpflichtung, moralische Systeme zu begründen. Es muss begründet werden, warum ein bestimmtes moralische System besser ist als ein konkurrierendes anderes moralische System.

M.M.n. kommt aber die Begründung eines jeden moralischen Systems nie ganz aus dem System heraus; es sind selten komplett "objektive" Maßstäbe für Begründbarkeit, sondern primär Annahmen, die in diesem moralischen System als Axiome gesetzt sind. Daher ist es problematisch anzunehmen, daß man objektiv im Sinne einer allgemeinen Wahrheit sagen kann, daß ein bestimmtes moralische System besser ist als ein konkurrierendes anderes moralische System, da die Skala von besser oder schlechter im moralischen System des Betrachters verankert ist. Religionen setzen den Anker bei einem undefinierten höheren Wesen, um es über das menschliche Urteil zu stellen. Aber auch ohne Religion haben verschiedene Kulturen unterschiedliche moralische Prioritäten und Axiome, und jeder hält natürlich seine für höherwertig, und kann dies auch irgendwie begründen - und muß es auch, um einen moralischen Halt in einer Gruppe zu haben. Ich halte es für einen unwahrscheinlichen Traum, daß "die Menschheit" sich jemals auf einheitliche moralische Werte und Standards einigt - es ist schon viel erreicht, wenn die verschiedenen Systeme in sich zufrieden sind, ohne ihre Werte anderen außerhalb der Gruppe aufzwingen zu wollen, oder die Werteskalen anderer als minderwertig herabsetzen. Wenn ich einer Gruppe zugehören will, muß ich nun mal ihre Werte akzeptieren, (oder kann versuchen, Einfluß darauf zu nehmen über Argumente); wenn ich mit diesen Werten nicht zurechtkomme, dann verzichte ich auf die Teilnahme. Mir fehlt das Verständnis z.B., warum jemand als Geschiedener Wert auf die kirchlichen Sakramente von einer Kirche legt, die ihn ablehnt - er kann dann zu den Protestanten gehn. Wer mich nicht will, den will ich auch nicht. aber ich bin ja nicht marketingrelevant:Lachen2:

Schwarzfahrer 08.02.2019 13:56

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434313)
Genau das ist mein Punkt. Behauptet wurde, eine bestimmte Kirchengemeinde wäre a) offen für jeden, und b) auch noch vorbehaltlos. Aber nun sieht es so aus, als würde beides nicht zutreffen.

Natürlich, aber es trifft ebensowenig auf Deine Beispiele zu, das wollte ich nur herausstellen. (wobei die lokale Gemeinde sehr wohl die Offenheit haben kann, aber nicht von der Amtskirche gestützt wird darin).

Zitat:

Wenn ein Religionslehrer (oder Professor) rausgeschmissen wird, weil er die Jungfräulichkeit von Maria bezweifelt, dann darf man annehmen, dass es sich um einen nicht verhandelbaren Inhalt handelt.
Richtig; das passiert auch oft im politischen Bereich mit Professoren ähnlich (z.B.Jordan Peterson). Er muß das als Mitglied wissen, und kann sich entscheiden: ich schließe mich der Meinung an, oder wenn nicht, trete ich aus, oder versuche die amtliche Meinung zu beeinflussen, oder eben zu ignorieren, und mein Lebensumfeld meinen Vorstellungen entsprechend zu gestalten, in der Hoffnung, daß sich dadurch langfristig etwas ändert (letztere Haltung ist wohl auch eine der Mehrheitshaltungen in Diktaturen - höchst menschlich und pragmatisch).

Zitat:

Es wird nämlich in der Debatte laufend behauptet, dass kein Mensch den offiziellen Quatsch der Amtskirche glauben würde, und dass die Kritik daran folglich substanzlos wäre.
Ja, kaum einer glaubt es; die Kritik an den Christen ist dadurch substanzlos. Kritik an der Amtskirche natürlich nicht - die beiden sind für mich zwei paar Stiefel, wie auch eben die Sovjetbürger nicht gleich Zentralkommitee der KPDSU waren.

Zitat:

Wenn in 100% aller kath. Kirchengemeinden scharfe Sanktionen drohen, falls nicht an die Jungfräulichkeit geglaubt wird, dann ist die Kritik daran auch zu 100% berechtigt.
Richtig, aber es muß klar sein, daß die Sanktionen meist nicht durch die Kirchengemeindemitglieder, sondern durch die höheren Instanzen der Amtskirche drohen, und diese Unterscheidung ist für viele Christen sehr wichtig.

Klugschnacker 08.02.2019 14:17

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434323)
M.M.n. kommt aber die Begründung eines jeden moralischen Systems nie ganz aus dem System heraus; es sind selten komplett "objektive" Maßstäbe für Begründbarkeit, sondern primär Annahmen, die in diesem moralischen System als Axiome gesetzt sind. Daher ist es problematisch anzunehmen, daß man objektiv im Sinne einer allgemeinen Wahrheit sagen kann, daß ein bestimmtes moralische System besser ist als ein konkurrierendes anderes moralische System, da die Skala von besser oder schlechter im moralischen System des Betrachters verankert ist.

Nehmen wir mal versuchsweise die moralischen Maßstäbe, also moralische Bewertungen, welche aus dem christlichen Glauben selbst kommen. Also keine von außen angelegte Bewertungen moralischer Fragen, sondern die Maßstäbe des Christentums selbst.

Mein Argument lautet: Auch unter Anwendung der eigenen christlichen Maßstäbe lassen sich die moralischen Standpunkte des Christentums nicht rechtfertigen oder bewerten. Das sieht man daran, dass es im Christentum zu praktisch allen moralischen Fragen unterschiedliche, sich teilweise direkt widersprechende Standpunkte gibt, die sich allesamt auf denselben Gott berufen, der sich ihnen offenbart habe.

Ein moralisches System, mit dem man moralische Standpunkte ebenso wie deren Gegenteil begründen kann, ist kein moralisches System, sondern Willkür.

Beispiel: Bei Protestanten in Deutschland können Frauen Pfarrer werden, die in lesbischer Lebensgemeinschaft leben. Katholische Priester leben im Zölibat und halten die Ausübung von Homosexualität für "keinesfalls zu billigen". Beide begründen ihre Standpunkte mit dem geoffenbarten Willen Gottes.

Verstehst Du, was ich meine? :Blumen:

Jörn 08.02.2019 14:19

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434325)
Richtig, aber es muß klar sein, daß die Sanktionen meist nicht durch die Kirchengemeindemitglieder, sondern durch die höheren Instanzen der Amtskirche drohen, und diese Unterscheidung ist für viele Christen sehr wichtig.

Du schreibst, dass es den Kirchenmitgliedern sehr wichtig wäre, mit den offiziellen Funktionären nicht in einen Topf geworfen zu werden.

Aber eben diese Behauptung steht auf dem Prüfstand. Wie wichtig ist es ihnen? Wie äußert es sich? Äußert es sich überhaupt?

Wenn es ihnen wichtig wäre, müsste es sich doch äußern? Wenn es die Mehrheit beträfe, würde sie sich irgendwann auch durchsetzen. Also warum setzen sie sich nicht durch?

Wenn sie sich nicht durchsetzen, sind sie gesellschaftlich nicht relevant. Aber die Kirchen erhalten ihre weit reichenden Privilegien nur deshalb, weil sie angeblich gesellschaftlich relevant seien.

Anders gesagt: Wenn die Amtskirchen überhaupt gar nicht die Mehrheit der Gläubigen vertreten, dann haben sie auch keinen Anspruch auf die Privilegien.

Jörn 08.02.2019 14:34

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434323)
Religionen setzen den Anker bei einem undefinierten höheren Wesen, um es über das menschliche Urteil zu stellen.

Du schreibst, die Religionen würden ein bestimmtes Axiom verwenden, also eine Grundannahme, die als Basis für alle anderen Schlussfolgerungen dient.

Worin besteht das Axiom genau? Ist es das "undefinierte höhere Wesen"?

Es lohnt sich, hier genau hinzusehen. Ist es wirklich das "undefinierte höhere Wesen", oder ist es vielmehr nur die Erzählung davon? Ist es wirklich die Gottheit, oder ist es in Wahrheit die Behauptung eines Priesters?

Um den Unterschied zu illustrieren: Es ist ein Unterschied, ob ich ein Wunder untersuche (Brot hat sich tausendfach vermehrt), oder ob ich in Wahrheit nur die Erzählung davon untersuche. Habe ich die Brote oder habe ich nur ein Papier?

Was ich damit erreichen will: Ich stimme Dir zu, dass alle Moralsysteme auf bestimmten Grundannahmen basieren. Diese sind aber unterschiedlich belastbar und unterschiedlich plausibel. In manchen Fällen könnten sie auch widersprüchlich oder undefinierbar sein (das ist Arnes Punkt).

Für mich ist wichtig, dass ich mich nicht schulterzuckend damit zufrieden geben muss, wenn mir ein Axiom präsentiert wird, das angeblich nicht weiter hinterfragt werden kann. Ich kann durchaus verlangen, dass das Axiom plausibel und widerspruchsfrei ist. Die Axiome des Christentums sind weder plausibel noch widerspruchsfrei.

Ich bin gar nicht so sicher, ob es überhaupt Axiome sind oder ob nur der Anschein erweckt wird.

Klugschnacker 08.02.2019 15:02

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434325)
Richtig, aber es muß klar sein, daß die Sanktionen meist nicht durch die Kirchengemeindemitglieder, sondern durch die höheren Instanzen der Amtskirche drohen, und diese Unterscheidung ist für viele Christen sehr wichtig.

Ich weiß, was Du meinst. Wir stimmen in vielen grundsätzlichen Punkten miteinander überein. Dennoch möchte ich hier kurz einhaken.

Die Durchsetzung christlicher Moral erfolgt ganz wesentlich über die soziale Ächtung. Sie wird meist nicht von den höheren Instanzen der Amtskirche verübt, sondern von den gläubigen Menschen selbst. Ich gebe Dir recht, falls Du ausdrücken wolltest, das dieser soziale Druck heutzutage und in Deutschland nachgelassen hat.
:Blumen:

Schwarzfahrer 08.02.2019 15:08

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434328)
Mein Argument lautet: Auch unter Anwendung der eigenen christlichen Maßstäbe lassen sich die moralischen Standpunkte des Christentums nicht rechtfertigen oder bewerten. Das sieht man daran, dass es im Christentum zu praktisch allen moralischen Fragen unterschiedliche, sich teilweise direkt widersprechende Standpunkte gibt, die sich allesamt auf denselben Gott berufen, der sich ihnen offenbart habe.
...
Verstehst Du, was ich meine? :Blumen:

Ich glaube schon. Es ist aber keine spezielle Eigenschaft des Christentums. Diese Möglichkeit der unterschiedlichen Interpretation einer Basis, nenne es Religion oder Ideologie, ist allen Systemen inherent und wird eifrig genutzt, dank dem menschlichen Erfindungsreichtum, alles im eigenen Interesse, ggf. auch ins Gegenteil, umzuinterpretieren (Stichwort Dialektik).
Sowohl Windkraftbefürworter als auch Windkraftgegener berufen sich auf das Hehre Ziel Naturschutz; Impfgegner wie Impfbefürworter schlagen sich die Köpfe nur zum Schutz der Gesundheit der Menschen ein, Steuersenkungen und Steuererhöhungen werden gerne mit dem Ziel der Arbeitsplatzbeschaffung angepriesen, etc. Dein Stichwort "Willkür" läßt sich noch auf viele andere Systeme anwenden in diesem Sinne.

Klugschnacker 08.02.2019 15:17

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434337)
Ich glaube schon. Es ist aber keine spezielle Eigenschaft des Christentums. ... Dein Stichwort "Willkür" läßt sich noch auf viele andere Systeme anwenden in diesem Sinne.

Dein Argument lautet zusammengefasst, das Christentum kann seine moralischen Standpunkte nicht begründen, andere Ideologien oder Weltanschauungen jedoch auch nicht. Ungefähr korrekt?
:Blumen:

Schwarzfahrer 08.02.2019 15:19

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434329)
..Wenn sie sich nicht durchsetzen, sind sie gesellschaftlich nicht relevant. .

Doch, nur weil sie das System der Amtskirche nicht ändern, sind sie relevant, weil sie die gelebte Praxis in der Gesellschaft verändern, so wie mich Arne verstanden hat:
Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434335)
Ich weiß, was Du meinst. ...Die Durchsetzung christlicher Moral erfolgt ganz wesentlich über die soziale Ächtung. Sie wird meist nicht von den höheren Instanzen der Amtskirche verübt, sondern von den gläubigen Menschen selbst. Ich gebe Dir recht, falls Du ausdrücken wolltest, das dieser soziale Druck heutzutage und in Deutschland nachgelassen hat.
:Blumen:

Zitat:

Aber die Kirchen erhalten ihre weit reichenden Privilegien nur deshalb, weil sie angeblich gesellschaftlich relevant seien
Anders gesagt: Wenn die Amtskirchen überhaupt gar nicht die Mehrheit der Gläubigen vertreten, dann haben sie auch keinen Anspruch auf die Privilegien.
Volle Zustimmung, ohne Widerspruch. Nicht die Kirchen sind gesellschaftlich relevant (in D), sondern die Gläubigen. Das kann aber in anderen Ländern auch anders aussehen.

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434331)
...Für mich ist wichtig, dass ich mich nicht schulterzuckend damit zufrieden geben muss, wenn mir ein Axiom präsentiert wird, das angeblich nicht weiter hinterfragt werden kann. Ich kann durchaus verlangen, dass das Axiom plausibel und widerspruchsfrei ist. Die Axiome des Christentums sind weder plausibel noch widerspruchsfrei.

Axiome werden per Definition innerhalb des Systems nicht hinterfragt oder begründet. Sobald ich das versuche, muß ich zwangsweise außerhalb des Systems sein, und bin damit in meiner Kritik und Wertung frei - aber nur innerhalb meines eigenen Systems, das auch auf Axiome baut, welche allerdings jemand aus einem anderen System auf Grund seiner Axiome ebenfalls hinterfragen und bezweifeln kann. Axiome von Moral- und Glaubenssystemen sind (anders als in der Mathematik) seltenst universell plausibel und widerspruchsfrei, egal ob es die der Christen, Kommunisten, Neoliberalen oder Öko-Aktivisten sind.

Jörn 08.02.2019 15:41

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434339)
Nicht die Kirchen sind gesellschaftlich relevant (in D), sondern die Gläubigen.

Wie äußert sich das? So, dass ich es sehen und überprüfen kann?

Die Kirchen sind der größte Arbeitgeber in Deutschland (nach dem Staat). Sie sitzen in den Rundfunkräten und Ethik-Kommissionen der Regierung. Sie verfügen über Milliarden Euro. Sie haben Verträge mit allen Landesregierungen und der Bundesregierung. Sie bestimmen über TV- und Rundfunksendungen und legen deren Inhalte frei fest. Sie legen die Inhalte des konfessionellen Religionsunterrichts fest.

Nichts davon trifft auf den einzelnen Gläubigen zu -- auch nicht als Gemeinschaft. Wenn sie sich zusammenschlössen (was teilweise schon geschieht), haben diese Gruppen trotzdem keine der genannten Privilegien. Keine dieser Gruppen stellt auch nur einen einzigen Religionslehrer oder hat eine einzige Trauung vorgenommen.

Ich habe also erhebliche Zweifel an der Aussage, dass die Kirchen nicht relevant wären, wohl aber die einzelnen Gläubigen. Es muss ja nicht schwarz-weiß sein. Aber zu sagen, dass die Kirchen keinen Einfluss hätten, scheint mir schwer belegbar zu sein.

Keine andere Gruppe hat derart weit reichende Privilegien in Deutschland wie die zwei christlichen Amtskirchen.

Klugschnacker 08.02.2019 16:29

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434339)
Axiome werden per Definition innerhalb des Systems nicht hinterfragt oder begründet. Sobald ich das versuche, muß ich zwangsweise außerhalb des Systems sein...

Die Kirchen und mit ihnen das Christentum erheben einen universalen Wahrheitsanspruch, der sich auf unsere konkrete, erfahrbare Welt bezieht.

Die Theologen sprechen nicht von einem isolierten philosophischen System, innerhalb dessen bestimmte Glaubensannahmen (Axiome) Geltung hätten. Sondern es geht um unsere reale Welt.

Deshalb kann man christliche Behauptungen an der realen Welt messen, zumindest dort, wo das möglich ist. Stand die Sonne einen Tag lang still? Ist die Erde 6000 Jahre alt? Stammen sämtliche Arten von der Arche Noah ab? Entstand die Erde vor der Sonne? Teilte uns der Schöpfer des Universums tatsächlich seine Ansichten über Verhütungsmittel mit? Wann und wem?

Dies ist mein Argument: Wir haben es nicht mit Axiomen zu tun, sondern mit Tatsachenbehauptungen. Es steht uns frei, sie zu hinterfragen.
:Blumen:

Schwarzfahrer 08.02.2019 16:37

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434338)
Dein Argument lautet zusammengefasst, das Christentum kann seine moralischen Standpunkte nicht begründen, andere Ideologien oder Weltanschauungen jedoch auch nicht. Ungefähr korrekt?
:Blumen:

Genau. Eure Argumente sind nicht falsch, aber auch nicht exklusiv auf das Christentum zu beziehen. Moral ist nicht objektiv begründbar, glaube ich.
Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434338)
Dies ist mein Argument: Wir haben es nicht mit Axiomen zu tun, sondern mit Tatsachenbehauptungen. Es steht uns frei, sie zu hinterfragen

Natürlich. Aber alle Axiome sind erst mal Tatsachenbehauptungen, die nicht hinterfragt werden wollen. Kann man aber immer trotzdem tun. Genauso, wie ich die Gültigkeit von "alternativlosen" Aussagen wie menschgemachter Klimawandel, CO2 als alles überragendes Problem, der Wachstumszwang in der Ökonomie, Homöopathie u.v.a.m. hinterfragen kann. Das macht den selbständig denkenden Menschen doch aus.

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434343)
Ich habe also erhebliche Zweifel an der Aussage, dass die Kirchen nicht relevant wären, wohl aber die einzelnen Gläubigen. Es muss ja nicht schwarz-weiß sein. Aber zu sagen, dass die Kirchen keinen Einfluss hätten, scheint mir schwer belegbar zu sein.

In Bezug darauf, wie Religion sich in der Gesellschaft manifestiert, wie es gelebt wird, ist für mich der Einfluß der Gläubigen, die es tatsächlich leben, wesentlich wichtiger als die Präsenz der Kirchen als Arbeitgeber und im Rundfunkrat. Entscheidend für mich sind Aktionen die aus den Gemeinden kommen (sei es Jugendgruppen, Nachbarschaftshilfe, Kulturveranstaltungen, etc.)m weil diese _Sachen die Menschen direkt wahrnhemen und mit Religion und Kirche identifizieren. Die Macht und Dogmatik der Amtskirche beschränkt sich auf innere Angelegenheiten, und etwas Propaganda - beides geht am "normalen Menschen" weitgehend vorbei. Höchstens in Ethik-Kommissionen mag etwas gesellschaftlicher Einfluß erreichbar sein, aber das Leben der Menschen beeinflußt sie m.M.n. marginal.

qbz 08.02.2019 16:55

Sieht eine Erzieherin im Kindergarten bei einem Kind ein Pentakel als Schmuckanhänger und wie es in den Sandkasten um sich herum drei Kreise malt, dabei murmelnd:
„Auf das Hexenrecht wirst du bauen in wahrhaftiger Liebe und echtem Vertrauen" sowie "Zieh den Kreis dreimal aus und halte alles Böse raus."
grübelt sie, ob sie nicht eine Kinderpsychologin einschalten oder gar das Jugendamt zu einem Hausbesuch bitten soll.
Spricht das Kind mit einem Kreuz als Anhänger vor dem Mittagsschlaf so vor sich hin:
"Hab ich Unrecht heut getan,
sieh es lieber Gott nicht an.
Deine Gnad und Jesu Blut,
machen allen Schaden gut."
vervollständigt die Erzieherin: Amen.

qbz 08.02.2019 17:07

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434350)
......
Die Macht und Dogmatik der Amtskirche beschränkt sich auf innere Angelegenheiten, und etwas Propaganda - beides geht am "normalen Menschen" weitgehend vorbei.
.....

Sehe ich leider nicht so. Die meisten christlichen Menschen taufen ihre Kinder gleich nach der Geburt, weil die grossen Kirchen das von ihren Mitgliedern fordern. Auch bei religionsunterschiedlichen Ehen muss der nichtkatholische Teil z.B. unterschreiben, im Falle einer kirchlichen Heirat, dass die Kinder gleich nach der Geburt getauft und katholisch erzogen werden. Damit erwerben die meisten als "Geschäftsunfähige" schon die Kirchenmitgliedschaft, die man leider erst durch den aktiven Austritt nach Eintritt der Volljährigkeit beenden kann, und die Taufe bleibt ein Leben lang gültig für die Kirche.

Klugschnacker 08.02.2019 17:21

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434350)
Entscheidend für mich sind Aktionen die aus den Gemeinden kommen (sei es Jugendgruppen, Nachbarschaftshilfe, Kulturveranstaltungen, etc.)m weil diese _Sachen die Menschen direkt wahrnhemen und mit Religion und Kirche identifizieren.

Da kann ich mitgehen. Aus den Gemeinden kommen durchaus auch gute Dinge, die ich unterstützen kann. Allerdings auch einige, die ich ablehne, wie etwa das systematische Anlügen von Kindern; leider kann man auch den massenhaften sexuellen Missbrauch von kleinen Jungs nicht unerwähnt lassen, der sich auf Gemeindeebene abspielt. Dennoch halte ich es für richtig, auch die positiven Aspekte zu sehen und zu würdigen.
:Blumen:

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434350)
Die Macht und Dogmatik der Amtskirche beschränkt sich auf innere Angelegenheiten, und etwas Propaganda - beides geht am "normalen Menschen" weitgehend vorbei.

In diesem Punkt erlebe ich die unterschiedlichsten Standpunkte. Mal ist das Christentum die Grundlage unserer Kultur, sogar der Kern unseres Grundgesetzes, mal spielt es praktisch keine gesellschaftliche Rolle außer in ein paar Kommissionen. Entsprechend wird die Rolle der Kirchen unterschiedlich wahrgenommen.

Immerhin haben die christlichen Kirchen die Macht, kleine Kinder, von der ersten Grundschulklasse an, zwei Stunden pro Woche im rechten Glauben zu unterweisen. Ich sehe darin durchaus eine relevante Ausübung gesellschaftlicher Macht.

Jörn 08.02.2019 18:09

Zitat:

Zitat von Schwarzfahrer (Beitrag 1434350)
ist für mich der Einfluß der Gläubigen, die es tatsächlich leben, wesentlich wichtiger als die Präsenz der Kirchen als Arbeitgeber und im Rundfunkrat. Entscheidend für mich sind Aktionen die aus den Gemeinden kommen (sei es Jugendgruppen, Nachbarschaftshilfe, Kulturveranstaltungen, etc.)m weil diese _Sachen die Menschen direkt wahrnhemen und mit Religion und Kirche identifizieren. Die Macht und Dogmatik der Amtskirche beschränkt sich auf innere Angelegenheiten, und etwas Propaganda - beides geht am "normalen Menschen" weitgehend vorbei. Höchstens in Ethik-Kommissionen mag etwas gesellschaftlicher Einfluß erreichbar sein, aber das Leben der Menschen beeinflußt sie m.M.n. marginal.

Es mag durchaus zutreffen, dass die Gläubigen harmlos und gutherzig sind*, und dass dies gesellschaftlich viel wirksamer ist als die Vorschriften der Kirchen, um die sich angeblich niemand kümmert.

Steckt darin aber nicht eine gewisse Scharlatanerie?

Die Masse der Gläubigen dient den Kirchen als Ausweis für ihre Relevanz, und nur deswegen erhalten sie ihre Privilegien. Wenn sich nun herausstellt, dass die Kirchen überhaupt keine Zustimmung unter den Gläubigen finden: Warum können dann die Kirchen diese Zustimmung trotzdem als Argument verwenden?

Wenn die vielen Gläubigen als Steigbügelhalter dienen für ein paar Kirchenfunktionäre, die überhaupt nicht das tun, was die Gläubigen für richtig halten: Warum lassen sich die Gläubigen dann als Steigbügelhalter benutzen?

Entweder stimmen die vielen Gläubigen den Kirchen zu und sind dadurch relevant und erhalten Privilegien. Oder wir stellen fest, dass die Kirchen ihre Gefolgschaft verloren haben, und dann müssen auch die Privilegien neu verteilt werden.

----

*Die Gutherzigkeit der Gläubigen steht allerdings auch nicht zur Debatte, sondern, ob ihre Annahmen und Folgerungen korrekt sind.

Schwarzfahrer 08.02.2019 19:46

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1434355)
Sehe ich leider nicht so. Die meisten christlichen Menschen taufen ihre Kinder gleich nach der Geburt, weil die grossen Kirchen das von ihren Mitgliedern fordern. Auch bei religionsunterschiedlichen Ehen muss der nichtkatholische Teil z.B. unterschreiben, im Falle einer kirchlichen Heirat, dass die Kinder gleich nach der Geburt getauft und katholisch erzogen werden.

Der Druck das Kind zu taufen oder kirchlich zu heiraten kommt m.M.n. vor allem aus dem jeweiligen familiären Umfeld mehr als von "der Kirche", und basiert meist eher auf Tradition (es war schon immer so) als auf Glauben. Außerhalb der Familie interessiert es meist keinen, ob man kirchlich geheiratet hat, oder die Kinder getauft hat - die gesellschaftlichen Konsequenzen, wenn man es nicht tut, sind vernachlässigbar.

Schwarzfahrer 08.02.2019 19:52

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1434356)
In diesem Punkt erlebe ich die unterschiedlichsten Standpunkte. Mal ist das Christentum die Grundlage unserer Kultur, sogar der Kern unseres Grundgesetzes, mal spielt es praktisch keine gesellschaftliche Rolle außer in ein paar Kommissionen. Entsprechend wird die Rolle der Kirchen unterschiedlich wahrgenommen.

Das Christentum ist die Grundlage unserer Kultur, nicht die Amtskirche; die war höchstens ein wesentlicher politischer Akteur in unserer (länger vergangener) Geschichte, und hat natürlich zur Verankerung und Dominanz des Christentum in Westeuropa kräftig beigetragen. Aber die Kultur wurde schon immer durch das gelebte Christentum geprägt, nicht durch die Dogmen.
Zitat:

Immerhin haben die christlichen Kirchen die Macht, kleine Kinder, von der ersten Grundschulklasse an, zwei Stunden pro Woche im rechten Glauben zu unterweisen. Ich sehe darin durchaus eine relevante Ausübung gesellschaftlicher Macht.
Diese Macht übt der Staat aus, der entschieden hat, den Kirchen diesen Vorteil zu verschaffen, und es liegt in der Macht des Staates, jederzeit damit aufzuhören. Die Kirchen könnten dies aus eigener Macht nie durchsetzen, wenn der Staat sich weigern würde, dafür die die gesellschaftliche Macht der Kirchen zu gering.

Schwarzfahrer 08.02.2019 19:58

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1434359)
Die Masse der Gläubigen dient den Kirchen als Ausweis für ihre Relevanz, und nur deswegen erhalten sie ihre Privilegien. Wenn sich nun herausstellt, dass die Kirchen überhaupt keine Zustimmung unter den Gläubigen finden: Warum können dann die Kirchen diese Zustimmung trotzdem als Argument verwenden?

Wenn die vielen Gläubigen als Steigbügelhalter dienen für ein paar Kirchenfunktionäre, die überhaupt nicht das tun, was die Gläubigen für richtig halten: Warum lassen sich die Gläubigen dann als Steigbügelhalter benutzen?

Entweder stimmen die vielen Gläubigen den Kirchen zu und sind dadurch relevant und erhalten Privilegien. Oder wir stellen fest, dass die Kirchen ihre Gefolgschaft verloren haben, und dann müssen auch die Privilegien neu verteilt werden.

Ersetze Kirchen durch Parteien und Gläubiger durch Wähler - und Du hast in diesem Text grundlegende, leider häufig höchst irrationale menschliche Verhaltensweisen beschrieben. :Lachen2: Die Realität, der Mensch als Masse, ist leider selten so gnadenlos logisch, wie Du, und die Kirchen und der Umgang damit kein Sonderfall, sondern der Normalfall.


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