Zitat:
Zitat von Schwarzfahrer
(Beitrag 1632652)
... Auch in längeren Gesprächen mit den Verwandten dort konnten wir noch keine überzeugende Erklärung für die so viel höheren Fallzahlen finden, außer vielleicht in den Bereichen Lebensbedingungen (enger wohnen), Grundgesundheit der Bevölkerung, und evtl. kulturelle Eigenheiten (viel mehr Umarmung/BussiBussi bei Begegnungen) - alles schwer quantifizierbare und nicht einfach beeinflußbare Faktoren.
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Zu Ungarn habe ich eine sehr enge Verbindung, da die langjährige Freundin meines Sohnes Ungarin ist und sowohl sie als auch mein Sohn seit Jahren regelmäßig zwischen Ungarn und Deutschland hin und her pendeln.
Und im Gegensatz zu dir fallen mir auf Anhieb ungefähr hundert Gründe ein, warum es in Ungarn mehr Tote im Zusammenhang mit Covid-19 gibt.
Die politische Führung von Orban in der Pandemie ist alleine schon eine Katastrophe. Im Frühjahr kaufte Orban Impfstoffe ohne EMA-Zulassung in China, Indien und Russland ein, die nichtmal ungarische oder wenigstens englische Beipackzettel hatten, so dass die Ärzte, die sie nutzen und ihren Patienten verabreichten sollten, nichtmal sich selbst über die Lager und Verabreichungsmodalitäten vernünftig informieren konnten.
Das ungarische Gesundheitswesen ist massiv unterfinanziert. Es gibt viel weniger Elektiv-Operationen (künstliche Hüft- und Kniegelenke, Bypassoperationen, Herzkatheter gibt es dort nur für die Elite in einigen wenigen Budapester Privatkliniken, und wer es sich leisten kann fährt für solche Operationen oft sogar in den Westen). Und weniger Intensivbetten gibt es deshalb, weil ein Intensivbett wegen des damit verbundenen Personals und der dazu gehörenden Überwachungsgeräte nunmal viel Geld kostet.
Eine Intensivstation, die es nicht gibt bzw. die weniger Betten als die Intensivstation eines deutschen Akutkrankenhauses hat, kann dann natürlich auch nicht belegt werden. Und wenn die Intensivstation voll ist, dann bleibt ein eigentlich intensivpflichtger Patient eben auf der Normalstation, bekommt statt eines Beatmungsgerät nur Sauerstoff über eine Nasensonde. Und wenn es doof läuft stirbt er eben. Die Großmutter unserer Schwiegertochter in spe lag wegen Covid-19 im Frühjahr drei Wochen im Krankenhaus in Tiszjavauros und es sah dort so aus, als würde sie es nicht überleben. Eine Intensivstation hatte sie aber nie von innen gesehen. Zum Glück und für die Angehörigen unerwartet hatte sie aber Covid dann doch überlebt.
PCR-Tests waren in Ungarn in der gesamten Pandemie nie weit verbreitet und FFP-2-Masken ein Fremdwort. Überhaupt werden dort seit dem Frühjahr in nahezu keiner Situation mehr Masken getragen. Das Fußballstadion in Budapest war während der EM das einzige Stadion, das bis auf den allerletzten Platz gefüllt war.
Triathlonwettkämpfe haben 2021 in Ungarn alle stattgefunden und zwar so gut wie immer ohne Hygienekonzept. Ich habe im Sommer und Frühjahr, als unsere inzidenzzahlen noch niedrig waren und trotzdem alle großen Wettkämpfe in den Spätsommer verschoben wurden, gelegentlich sogar etwas neidisch nach Ungarn geblickt, wo das Sport-Leben und Kulturleben längst komplett normalisiert war.
Die Liste könnte ich jetzt noch deutlich weiterführen und z.B. auch erwähnen, dass es in Ungarn zwar 2020 mal einen Lockdown von wenigen Wochen gegeben hatte (viel kürzer als der Herbstlockdown in Deutschland damals), dieser Minilockdown für die Bevölkerung aber viel schlimmer war, als das worüber sich in Deutschland die querdenkenden Lockdowngegner aufregten: in Ungarn gibt es nämiich kein Kurzarbeitergeld und auch keine großzügigen Home-Office-Regelungen: wer dort nicht arbeiten konnte, bekam auch kein Geld. Punkt.