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Angliru 12.12.2018 08:54

Meine 2 Cents zum Thema:

Wären die Leute beim Radkauf richtig beraten worden, dann würde eine Anpassung nicht notwendig sein. Es ist grundsätzlich ein Fehler sich fertige Bikes zu kaufen, welche, vergleichbar mit nem teueren Anzug von der Stange, zwar nicht schlecht sind, aber halt nicht perfekt zu jmd. passen. Die Beratung gehört vor den Kauf. Die ex post Beratung dient eigentlich mehr der Rettung des Nichtoptimalen und sagt mehr über den Verkäufer des Rads aus.

Oftmals haben Verkäufer keinen Plan oder sind so extrem gewinnorientiert, dass die froh drum sind, dass irgendein Depp denen die teure Kiste abkauft.

Eigentlich müsste man vor dem Radkauf zu einem Verkäufer, der extreme Erfahrung im Rennradbereich hat, dh entweder Ex-profi oder Ex-Mechamiker bei einem Pro-Team. Das Geschäft sollte viele Modelle führen und da sollte erst der passende Rahmen gesucht und mit passenden Komponenten aufgebaut werden. Natürlich ist es teurer als ein Gesamtrad für 6k im Sale, aber bei den Summen, die man für die Räder zahlt, sollte es selbstverständlich sein, gut beraten zu werden.

Was wir hier an den Threads sehen, ist es nicht der Fall.

Der Bike-Anpasser ist in meinen Augen derjenige der halt die Fehler der anderen versucht soweit es geht zu verbessern, oftmals mit mäßigem Erfolg, weil man sonst das Rad austauschen müsste. Der Ruf resultiert aus den zu hohen Erwartungen der Kunden. Da wird ne Bombenoptimierung erwartet, welche aufgrund des bereits oftmals begangenen Fehlkaufs kaum so groß ausfällt. Dann gibt's die Tuner, die ihre Bikes schon soweit ausreizen, dass da beim Fitter nicht geht.

Aus meiner Sicht müsste man vor dem Kauf sich drei großen des Rahmens aufbauen und dann schauen, wo das Optimum ist. Dies ist aber nur Profis vorbehalten, wobei dort sowieso Maßrahmen gefertigt werden.

Zusammengefasst: Wer keine hohen Erwartungen hat und sich eine Meinung (die nicht zwingend immer richtig sein muss) einholen will, geht zum Bike-Fitter. Wer Wunder erwartet, soll das Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben.

tandem65 12.12.2018 09:37

Zitat:

Zitat von sybenwurz (Beitrag 1424933)
Zitat:

Zitat von Bike-Felix (Beitrag 1424931)
...oder ist da seitens dir oder dem Händler von dem du es hast...

Der war gut!

Zitat:

Zitat von Stefan (Beitrag 1424952)
Gibts kein Bikefitting beim Distri in der Lagerhalle? ;)

In dem von Sybenwurz zitierten Satz ist ein Wort zu viel.;)

runningmaus 12.12.2018 10:00

Zitat:

Zitat von Angliru (Beitrag 1424955)
Meine 2 Cents zum Thema:

Wären die Leute beim Radkauf richtig beraten worden, dann würde eine Anpassung nicht notwendig sein. Es ist grundsätzlich ein Fehler sich fertige Bikes zu kaufen, welche, vergleichbar mit nem teueren Anzug von der Stange, zwar nicht schlecht sind, aber halt nicht perfekt zu jmd. passen. Die Beratung gehört vor den Kauf. Die ex post Beratung dient eigentlich mehr der Rettung des Nichtoptimalen und sagt mehr über den Verkäufer des Rads aus. .....

Ach, weisste.... bei dem Super -Duper Radhändler im Nachbarort ist es mir damals nicht mal geglückt ein Radl zu erwerben, weil ich denen nicht genau genug definieren konnte, was ich eigentlich damit wollte.... - schneller fahren als mit dem Trekkingrad? ...
Zuviel Beratung und Anpassung ist halt auch nicht optimal. *schulternzuck*

Das im Versand danach beim Rose erworbene (OK, mit ein bisschen Telefonberatung von denen) und selbst fertig eingestellte Rennrad konnte dann alles, was ich die nächsten 7 Jahre brauchte: RTF und Training fahren, und auch mal einen Triathlon oder Radmarathon, ... gelegentlich mal eine Einkaufsfahrt... :Huhu:

tandem65 12.12.2018 10:07

Hi Felix,

Zitat:

Zitat von Bike-Felix (Beitrag 1424931)
Direkte Frage - Hast du dein Rad denn "irgendwie" eingestellt oder ist da seitens dir oder dem Händler von dem du es hast schon was an der Position eingestellt worden?

Ich fahre jetzt seit 42 Jahren Rennrad.
Damals gab es beim Händler den Spruch passt und dann passte es.;)
Ich habe dann ausgeprägte Nackenschmerzen entwickelt.
1988 habe ich dann erstmals auch Vorbauten gefunden, Nitto Technomic für die Historiker, die es zuliessen den Lenker so zu Positionieren, daß ich länger mit weniger Schmerzen fahren konnte.
Dafür saß ich dann schon eher wie ein, wenn damals auch schmaler, Wohnzimmerschrank auf dem Rad.
1995 ist mir nach dem Dolimiti erstmals bewusst geworden, daß ich die Strecke schmerzfrei gefahren bin.
1998 habe ich mit leichten Beschwerden aus dem Ileosakralgelenk das erste mal für kanpp 2 Jahre Regelmässige Stabiübungen gemacht. Damit wurden dann meine Sitzpositionen hinfällig und ich habe deutlich angepasst.
2009 habe ich meine erste LD gemacht und habe 1 Tag vorher das erste mal für 70km auf einem TT gesessen.
2009 hat mir meine Frau ein Bike Fitting bei Llyod Thomas geschenkt.
Llyod hat mir den Vorbau 1cm angehoben und mal einen Nasenlosen Sattel montiert.
Ich war mit dem Sattel tatsächlich ruhiger auf dem Sattel, das konnte ich im Video sehen.
Ich finde das jetzt als keine riesigen Änderungen.
Ich bin auch mit seiner Arbeit zufrieden, auch wenn es keinen Wow-Effekt gab. Dafür habe ich aber ja auch mein Körpergefühl bestätigt bekommen, auch wenn es beim Sattel sehr tolerant ist. ;)
Aber, ich wäre nicht selbst auf die Idee gekommen einen Fitter aufzusuchen, da ich mit meiner Position im reinen war und keine Probleme hatte.

Bike-Felix 12.12.2018 13:54

@angirlu Ich bin allgemein der Meinung das professionelles Einstellen der Position zum Radkauf gehört. Ist allerdings seitens der Radläden nicht so leicht bzgl. Qualifikation und Zeit/ Kosten. Wobei ich da allgemein mit meinen Läden schon dran arbeite und da ja mehr Läden auf den Trichter kommen - leider meistens "nur" als extra Dienstleistung für xxx €.
Weiteres Problem ist dass oft nur eine Marke vertrieben wird und wenn das Zeitfahrrad/ Rennrad/ Aerorad o.ä. nur in der einen Größe annähernd sinnvoll aber dennoch nicht passend ist sagt kein Laden "probier mal Marke x" was ein unabhängiger Fitter machen kann - der es dann aber wieder als separate Dienstleistung anbieten "muss".

@runningmaus und tandem65, ich möchte euch ja auch nicht absprechen, dass ihr es selbst gut könnt ;) den Punkt hatte ich ja vorher bereits angesprochen. Es ist wichtig DAS sich mit der Position auseinandergesetzt wird - wer (Fahrer, Radladen, Bekannte, Bikefitter) das am "besten" kann ist sicher extrem individuell.
Sicher kann ein Fitter oft noch ein wenig raus holen - das sind dann aber meist die von tandem beschriebenen "kleinen" Änderungen.
Fraglich ist auch ob jemand mit Beinlängendifferenz etc. oder unzureichender Beweglichkeit überhaupt beschwerdefrei bleiben würde - vmtl. nicht und deshalb kommen wsl. meist die Leute mit Problem zum Dienstleister der dann im besten Fall noch eine Ursache finden & beheben kann.
Oft decken sich "Probleme" der Fahrer auch mit deren Gefühl "ich sitze zu tief, Lenker zu lang/ tief" usw. usf.

Wäre mal interessant die Radeinstellung UND die Physiologie von Menschen mit und ohne Beschwerden zu vergleichen und Rückschlüsse zu ziehen - gerade auch was langfristige Auswirkungen angeht. Merke ich mir für meine kommenden Studienjahre.

In dem regen Austausch hier kommen viele Interessante Aspekte auf, danke euch allen :Blumen:

sybenwurz 12.12.2018 15:01

Zitat:

Zitat von Angliru (Beitrag 1424955)
Es ist grundsätzlich ein Fehler sich fertige Bikes zu kaufen, ...

Nö. Jedenfalls nicht grundsätzlich.

Zitat:

Oftmals haben Verkäufer keinen Plan oder sind so extrem gewinnorientiert, dass die froh drum sind, dass irgendein Depp denen die teure Kiste abkauft.

Eigentlich müsste man vor dem Radkauf zu einem Verkäufer, der extreme Erfahrung im Rennradbereich hat, dh entweder Ex-profi oder Ex-Mechamiker bei einem Pro-Team.
Erstens ist ein Verkäufer ein Verkäufer und deswegen (oder eher gerade deshalb) noch lange kein Berater und zweitens: wo sollten so viele, wie man benötigen würde, herkommen?
Zeit ist Geld heutzutage, und das hat keiner mehr.
Deshalb sitzt man tagelang, am besten während der Arbeitszeit, vorm Rechner und guckt im Internet rum, und der Verkäufer bzw. deren Verkaufsleitung weiss genau, dass nach 20 Minuten der Kunde im Mittel bitte mit nem Rad unterm Arm an der Kasse steht. Da wird ein wenig was am Preis gedreht, dass gefällt den meisten, und auch wenns Bike hinterher nedd passt, kann man sich in der Gewissheit sonnen, dass mans billiger gekriegt hat.
Nachträglich auf Goodwill nen Vorbau tauschen ist einträglicher, als den Kunden nem Onlineshop zu überlassen.
Aber: es gibt Ketten, da ist dies das Geschäftsmodell, ansonsten ists so, weil der Kunde das so möchte.
Nicht offiziell natürlich, die Mechanismen die dazu führen, sind diffiziler.

Davon abgesehen hab ich mit Profis, egal ob ausm Radrenn- oder Radrennschrauberzirkus so meine Problem, weil da tendenziell einiges anders läuft als im richtigen Leben.
Die Tour zeigt ja gerne anlässlich von Paris-Roubaix irgendwelche Lifehacks (wie es neudeutsch heisst), aber es muss niemand glauben, dass solche Kniffe und noch viel mehr da aussergewöhnlich seien. Die schlimmsten Todsünden am Rad, teils echt wirklich lebensgefährlich, hab ich in der Nachbarschaft eines Ladens von nem Ex-Rennfahrer gesehen. Zum einen weil wegen erstemal gar keine Ahnung und zweitens, weil irgendwelche Teile rumlagen, die wegmussten und dann mit viel Phantasie aber null Fachwissen und Sachverstand zusammengeschustert wurden.
Das ist ne andere Welt mit eigenen Massstäben, die will hier bei nem annähernd fünfstellig kostenden und ansonsten satt vierstelligen Bike niemand kennenlernen.


Aber du sprichst ein generelles Szenario an, mit dem ich so meine Probleme hab.
Einerseits die Mannschaft im Laden, die den Kunden direkt vor sich hat und andererseits ne Internetcommunity, die anhand von Bilder urteilen soll, wie die Sitzposition ver(schlimm)bessert werden kann.
Wir haben uns da in ne meiner Meinung nach aussichtslose Lage manövriert, nachdem jede/r drauf bedacht ist, die Kumpels und Kumpane ausm Forum und vom Stammtisch zufriedenzustellen anstatt erstmal selbst zu gucken, was man braucht.
Einerseits fragt hier jede/r wegen jedem Schice und es hagelt sofort endlos Links, aber nur selten kommt die Frage, was denn vor Ort aufzutreiben wär.
Was ist denn so schlimm, wenn man ne Lampe, die man im Laden probeleuchten kann, vor Ort kauft, und der Rest vom Forum stattdessen irgendnen Chinaknaller bevorzugen würde?
Was spricht denn dagegen, ein Rad beim Händler um die Ecke zu kaufen, obwohl eines per Eigenimport aus Fernost deutlich billiger gewesen wäre und selbst von irgendnem Onlinevertrieb gelabelt und mit n bissl sowas wie Garantie versehen noch günstiger gekommen wär?
Niemand schreibt vor, dass man Zeug ausm Internet kaufen und dann mithilfe einer Internetcommunity modifizieren muss oder ersparte Beträge dann nem Bikefitter reicht statt dem verkaufenden Händler damit aufn Senkel zu gehen.
Der merkt schon irgendwann, wonach Nachfrage herrscht, sowohl bikemässig wie auch was die Einstellung und Anpassung angeht.
Aber wenn man sichs halt nur durch die Ausbeutung anderer (in dem Fall beispielsweise Arbeiter in taiwanesischen, kambodschanischen oder chinesischen Fabriken oder Versanddienstleisterangestellte(wobei es Sklaven mittlerweile fast besser treffen würde) gutgehen lässt, muss man halt den ein oder anderen Kolateralschaden wie Bauteile nachzuordern oder Bikefitter besuchen in Kauf nehmen.
Ich frag mich ständig, ob es reiner Zufall oder eigene Anspruchslosigkeit ist, dass ich dort, wo ich vor Ort einkaufe, immer (naja: fast immer) zufrieden bin, auf Leute treffe, die was von ihrem Handwerk verstehen. Ob ich Kletterzeugs kaufe, Bücher, Landkarten, Musikalien, Klamotten, Autoteile: ich bin damit und mit der Beratung zufrieden.
Jedenfalls, bis mir irgendwer ausm Internet anderes einreden will, alles besser weiss ohne mich zu kennen, oder weils doch noch am Ende vom www und zumindest dem Anschein nach irgendnen Link gibt, wo ich genau was ich gebraucht hätte für geschenkt nachgeschmissen gekriegt hätte.

Vielleicht isses auch genau so n Zufall, dass ich immer mit Läden zusammenkomme, wo die Räder passend verkauft werden und der Kunde vernünftig draufgesetzt wird.
Zumindest, wenn er uns lässt und nicht irgendwas im Internet gelesen haben will oder gleich irgendnen Klugschicer dabei hat, der alles besserzuwissen meint.

tandem65 12.12.2018 15:39

Zitat:

Zitat von sybenwurz (Beitrag 1425072)
Nö. Jedenfalls nicht grundsätzlich.

Als ob Bausätze das richtige auch nur für den Durchschnitt wären.

Mein 2. Rennrad mit passt scho Geometrie war halt eben von einem Ehemaligen Radprofi.
Das scheint ir nicht der Stein der Weisen zu sein. ;)

Bike-Felix 12.12.2018 16:01

Zitat:

Zitat von sybenwurz (Beitrag 1425072)
...

Danke für diesen ausführlichen Bericht aus der Sicht der Läden
:Blumen: :Blumen: :Blumen:

Bikefitter oder nicht, hier wird mal ein allgemeines Problem im Bereich des Radkaufs (plus Zubehör) angesprochen!!!

Lowo 15.12.2018 12:36

Ich war auch bei einem Bikefitter und danach fuhr ich sowohl schneller als auch angenehmer. Also meines Erachtens eine deutlich bessere Investition als zum Beispiel teure Laufräder.
Zu der Geschichte mit den Amateuren im Volkstriathlon, ich gehöre auch dazu :) Gehe jetzt jedoch auf die olympische Distanz. Nichts desto trotz, auch da kann man Ambitionen haben. Kam von Platz 200 plus x auf 10ter in meiner Altersklasse. Peile jetzt einen Platz unter den ersten 3 an. Natürlich bin ich damit kein Profi, aber dafür doch Ziele. Und dabei kann ein Bikefitter sicherlich hilfreich sein.

Bike-Felix 31.12.2018 11:40

Über Sinn, Unsinn und Notwendigkeit von Bikefitting
 
Zuerst einmal – ist Bikefitting der heilige Gral der Radwelt? Nein. Ist Bikefitting im Radsport (auch Hobbyfahrer, Mountainbiker etc.) notwendig? Ja.

Zuerst einmal müssen wir uns davon lösen bei Bikefitting immer direkt davon zu sprechen, dass selbiges von einem Dienstleister erfolgen muss der selbiges anbietet. Bikefitting, dynamische Sitzpositionsanalyse, Fahrradbiometrie – all das meint im Wesentlichen dasselbe: Die adäquate Einstellung der Sitzposition des Radfahrers an seine eigenen Ziele und Voraussetzungen – die nicht nur von entsprechenden Dienstleistern gefunden werden kann.

Dass eine adäquate Position nicht egal ist, ist sicher jedem klar – aus vielerlei Gesichtspunkten. Sonst würde und könnte ja jeder auf einem Kinderrad mit Sattel komplett im Sitzrohr versenkt fahren um nur ein Beispiel zu nennen.
Die Basis stellt adäquat passendes Material dar, zuallererst einmal die Rahmengröße (inkl. Der Kontaktstellen Sattel und Lenker) sowie die Schuhe (Kontaktstelle Fuß – Pedal). Diese Anforderung sollte beim Radkauf erfüllt werden – von einem guten Radladen mit viel Erfahrung.

Hier treten die ersten Probleme auf. Erstens der Onlinehandel (passende Produkte ohne voriges Probieren zu finden gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen), zweitens Radhersteller die den Kontaktstellen nicht genug Aufmerksamkeit schenken und hier „schlechte“ (vermutlich günstige) Teile verbauen und drittens das Problem, dass der Laden nicht unbedingt das passende Modell für den Kunden hat (Herstellergeometrie passt nicht zur Anatomie) oder lieber Restposten als passende Modelle verkauft. Hier ist aber auch oftmals der Kunde „selbst Schuld“ wenn er kostengünstige Räder/ Komponenten/ Bekleidung über die Passform stellt.

Eine – nicht repräsentative, aber dennoch gute – Umfrage der Sporthochschule Köln im Rahmen einer Dissertation hat ergeben, dass das Groß der über 1000 Teilnehmer über Beschwerden im Alltag klagt – 87% um Zahlen zu nennen. Von den Radfahrern (viele Trekkingfahrer, Mountainbiker, Radsportler und auch Triathleten) beschwerten sich sogar 95% über eine oder mehrere Beschwerden auf dem Rad. Welche Beschwerden vom Alltag aufs Rad mitgenommen werden ist mir gerade nicht bekannt.
Sicher sind diese Ergebnisse davon abhängig, dass hauptsächlich Fahrer mit Beschwerden an der Umfrage teilnahmen – wenn nichts zwickt beschwert sich auch niemand. Dennoch zeigt dies eine große Problematik bei Radfahrern auf, denn sicher nicht alle Beschwerden werden vom Alltag mit aufs Rad genommen.

Also kann man davon ausgehen, dass diese Probleme entstehen, weil entweder die Produkte an den Kontaktstellen nicht passen und/ oder die einzelnen Parameter der Position (Fuß – Pedal Interface, Gesäß – Sattel, Hände – Lenker; und alle davon betroffenen Körperregionen) nicht adäquat eingestellt wurden.

Folgt man einem Ansatz, den Phil Burt, der Physiotherapeut der englischen Radprofis vertritt, so gibt es Athleten, die minimalste Veränderungen merken genauso wie Athleten die auf Veränderungen kaum reagieren – mit Bezug zur Sitzposition, Rädern allgemein oder Training.
Mancher toleriert also die oben genannten „Fehleinstellungen“ besser als der andere. Vermutlich sind das also diejenigen die entweder sagen „Bikefitting braucht kein Mensch, geh einfach schnell fahren“ gegenüber denen die Beschwerdegeplagt nach Lösungen suchen.

Vergleichen wir also die Möglichkeiten zu Einstellung der Position.

Erstens der Athlet selbst aufgrund von Online Kauf oder Interesse an der Materie. Was braucht der Athlet? Erst einmal ein Grund – Know How zur Thematik, diese kann sich zum Glück mittlerweile jeder aufgrund guter Fachliteratur aneignen. Weiter braucht es ein adäquates Körpergefühl, um Veränderungen zu spüren. Dieses fehlt leider mittlerweile vielen Menschen allgemein. Zu guter Letzt noch Zeit & Motivation an dieser Stellschraube eigenmächtig zu drehen – hier scheiden sich die Geister von voller Hingabe für das Hobby bis ins Detail zu „einfach radeln wenn Zeit ist, der Rest soll vorher schon passen.“

Zweitens der Radladen. Hier wird leider aufgrund von fehlender Zeit – in der Hauptsaison bei vollem Laden kann nicht jedem Kunden gleich eine Stunde oder mehr gewidmet werden um das Rad individuell einzustellen – und manchmal auch fehlendem Know How lediglich die Cleats symmetrisch angeschraubt ohne den Fuß im Schuh zu betrachten, Sitzhöhe wird mit Ferse – zu – Pedal – Methode schnell grob ermittelt und wenn das Rad offensichtlich zu lang ist noch ein kürzerer (und bei Kundenwunsch steilerer) Vorbau montiert.
Manche Läden rüsten bereits nach und vermessen den Kunden statisch – nehmen also per Laser oder ähnlichen Methoden anthropometrische Maße und verlassen sich für Geometrie & Positionsdaten auf den Algorythmus (vgl. SmartFit, Retül Match etc.). Wie bereits festgestellt werden konnte ist die Beweglichkeit des Kunden jedoch essentiell und wird hier nicht erfasst.

Drittens der Bikefit – Anbieter. Ohne einheitliche Standards (allein für die Lotmethode gibt es ca. vier verschiedene Messpunkte am Knie – für ein bis zwei Referenzpunkte an der Kurbel) und klare Qualitätsmerkmale werden hier verschiedene Ansätze verfolgt. Personal ohne einheitliche Qualifikation nutzt teure Messtechnik, es wird mit Winkelmessungen, aufwendigen 2D/ 3D Instrumenten, Druckmessung, Elektromyographie usw. usf. gemessen und interpretiert. Oft wird sich auf Wissenschaft berufen, die keiner wirklich zitieren kann und der Mensch in Winkel und Schemata „gepresst“ die nicht für jeden passen können. Dienstleister ohne adäquate Vorbildung führen Muskelfunktionsdiagnostiken durch und wissen unter Umständen kaum, was mit den Ergebnissen nun anzufangen ist.

Eine „optimale“ Sitzposition ist möglich – jedoch nicht nach Schema, nicht von dem einen auf den anderen übertragbar und auch nur für jedes Individuum für seine speziellen Vorgaben und Vorhaben.
Diese erfordert ein Zusammenspiel mehrerer Teilgebiete. Da wären: die Biomechanik für die Kraftübertragung und für manch einen noch für die Aerodynamik. Diese ist in Relation zu setzten zur Anatomie des Individuums (welche sich aufgliedert in die Anthropometrie, also die Abmessung der Körperteile wie Beinlängen, Körpergröße, Rumpflänge etc. und die Beweglichkeit des aktiven Bewegungsapparates, also der Muskeln, Sehnen und Bänder). Sportmedizin, Physiotherapie und Sportorthopädie ergänzen die obigen Punkte um das Vorwissen zu Beschwerden und Verletzungen sowie die zugehörigen Risiken und die Prävention. Sporttechnologie und Sportorthopädietechnik ergänzen das Gesamtbild um den Faktor Ergonomie – also das Zusammenwirken zwischen: Mensch und Sportgerät – oder auch den Komfort.

Biomechanik ist Physik, und physikalische Gesetze gelten auch für die Übertragung der Kraft von Fahrer zu Sportgerät. Selbige Schemata finden aber ihre Grenzen in der Anatomie des Einzelnen und der Wechselwirkung zwischen Fehlhaltungen/ Stellungen (bspw. der Hüfte, der Beinlängen, muskulärer Ungleichgewichte…) und dem Sportler – Sportgerät – Interface. Hierauf kann – in Grenzen – reagiert werden. Dies erfordert aber ein immensens Fachwissen in den o.g. Fachbereichen, sportspezifische eigene Erfahrungen, Hingabe für das eigene Hobby oder den Kunden, Erfahrung in der Arbeit mit und am Menschen, wissenschaftliche Ansätze wo möglich und das Erkennen der Grenzen selbiger wo nötig (die Hummel kann wissenschaftlich gesehen nicht fliegen – tut es aber dennoch 😉 ). Auch Feedback zu vorgenommenen Veränderungen ist unerlässlich, egal ob vom Kunden zum „Einsteller“ oder vom Athleten gegenüber sich selbst. Und auch langfristige Arbeit an sich selbst und an der Position – durch selbst festgestellte Defizite oder durch extern erkannte und schlüssig dargelegte „Baustellen“ – dann aber bitte auch mit Lösungsansatz.

Auch Bikefitter haben ihre Grenzen und das sind zum einen die langfristige, minimale Feinjustage – manch einer könnte und würde sie eventuell sogar leisten, kaum ein Kunde wird dies jedoch zahlen wollen. Hier spielen auch die Tagesform des Fahrers oder Reaktion auf sich ändernde Trainingszustände (s.o.) eine Rolle.
Woran aktuell im wissenschaftlichen und messtechnischen Kontext gearbeitet wird ist die Übertragung der Arbeit vom Labor auf die Straße und hier sind auch erste sinnvolle Tools bereits auf dem Markt erschienen.
Des Weiteren erfordern Änderungen am Material – Schuhe, Einlagen, Pedale/ Cleats, Sattel usw. usf. – auch wieder Änderungen an der Position, wenn die eingestellte Position beibehalten werden soll.
Bei aller technisch möglichen Messtechnik spielt die Erfahrung des Fitters oder des Athleten die größte Rolle. Wer 100 Athleten aufs Rad gesetzt hat, hat mehr verschiedene Probleme gesehen und hoffentlich gelöst als der, der mit 5 Profis die ihn besucht haben wirbt. Genauso hilft langjährige Praxiserfahrung dem Athleten (u.U. selbst vorgenommene) Änderungen zu prüfen und zu bewerten.

Beide Seiten – Athleten wie Dienstleister – müssen sich aufeinander einstellen und sich von unrealistischen Erwartungen lösen.
Der Bikefitter/ Radhändler kann kaum erwarten, dass der Kunde sich binnen Minuten an Änderungen im Zentimeterbereich gewöhnt – Änderungen an einer über die Jahre eingearbeiteter Position. Eigene Grenzen erkennen und dem Kunden das „Problem“ erklären und anbieten mit ihm langfristig zu arbeiten – oder ihm zu zeigen wie er selbst Woche für Woche Anpassungen vornehmen kann.
Auf der anderen Seite haben viele Kunden auch „Angst“ vor neuem, unbekanntem. So stellt manch einer seine eigene Erfahrung über die Qualifikation des Gegenüber – hier kommt es schon mal zu hitzigen Diskussionen weil der Athlet jahrelang immer Rahmengröße x gefahren hat, ihm das fachkundige Personal aber zu y rät, weil die Größen halt von Hersteller zu Hersteller variieren.
Nicht zuletzt ist es essentiell dass der Kunde immer sein Feedback gibt – sei es während einer Anpassung oder auch danach nach einer Tour. Auch sollte der Athlet immer rückmelden falls er mit etwas nicht zufrieden war – auch wenn er es einfach nur zurückstellen möchte. Dennoch sollte er dem Dienstleister Feedback geben, schließlich wurde viel Geld investiert und eine zufriedenstellende Dienstleistung erwartet – genauso hat der Dienstleister das Recht eine Nachbesserung zumindest anzubieten. Ob der Kunde diese annimmt bleibt jedem selbst überlassen.
Abschließend bleibt zu sagen, dass die Mehrheit der Radfahrer ihren Drahtesel kauft (Fachhandel oder online) und ein passendes Gerät erwartet. Hier sind die Hersteller in der Pflicht die Kontaktstellen adäquat zu bestücken.
Weiterhin ist ein Umdenken der Radfahrer – Szene notwendig. Radfahren darf anstrengend sein, soll jedoch nicht weh tun. Weder im passiven Bewegungsapparat, noch im aktiven. Dies wird jedoch noch zu oft von (alteingesessenen) Sportlern und sicher auch Händlern propagiert. Stichwort der „Gewöhnung“.
Eine einwandfreie Einstellung der Sitzposition nach einheitlichen Standards sollte in Radläden ein Teil des Radkaufs sein – im Idealfall ohne große Extrakosten für den Kunden, der dann aber auch bereit sein muss, für das Rad mehr zu zahlen als im Onlineshop.
Hier sollte besonders auf Beckenschiefstände, Beinlängen etc. eingegangen werden – dies erfordert eine entsprechende Ausbildung der Dienstleister (Sportwissenschaftler, Physiotherapeuten, Orthopädietechniker…).

Denn auch wenn der abschließende wissenschaftliche Nachweis für einzelne Positionsparameter als Verletzungsrisiko fehlt, so sollte dennoch den aktuell verfügbaren Indikatoren Folge geleistet werden. Denn der menschliche Körper ist in seiner Summe komplex und das Zusammenwirken der kinetischen Kette Mensch auf dem Rad entzieht sich womöglich noch den Nachweisen der Wissenschaft – dennoch sollte schon jetzt adäquat darauf eingegangen werden. Sowohl vom Athleten als auch von einheitlich qualifizierten Dienstleistern – damit mehr Menschen mit mehr Freude Rad fahren.


Quellen:
Bike Fit, Phil Burt
Fahrradphysik & Biomechanik, Michael Gressmann
The pain free cyclist, Matt Rabin & Robert Hicks
https://gebiomized.de/2018/09/17/wis...-bikefittings/
http://esport.dshs-koeln.de/176/1/Di...ng_09final.pdf
The Body & The Bike: a kinetic chain analysis of cycling overuse injury (Visentini, 2015)
The need for a link between bike fitting and injury risk, Bini 2016
Should we seek for generalized standards in bike fitting? Bini, 2013
A clinical perspective of positioning for the endurance bicyclist, Williams et al


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