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qbz 05.11.2017 20:24

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340698)
Bis zum obigen Zitat habe ich Dir ungefähr zugestimmt. Jedoch: Die von mir dargestellte Sichtweise auf die Herkunft von Wertesystemen legitimiert nichts. Sie beschreibt lediglich einen Mechanismus.

Ebenso beschreibt die Theorie zur biologischen Evolution einen Mechanismus. Sie legitimiert dadurch nicht die Existenz der Affen, sondern erklärt einfach, warum sie da sind.

Die Einbettung in eine Ideologie kann geschehen. Ein Beispiel wäre die Vereinnahmung der Evolutionstheorie durch die Nazis. Es wäre aber ein Missverständnis, wenn wir die Evolutionstheorie abtun würden mit der Bemerkung: "Diese Theorie dient einfach zu ideologischen Legitimierung des Status Quo".

Da es sich bei der "evolutionär stabilen Strategie" um ein formales, theoretisches Konzept aus der Spieltheorie handelt, erscheinen mir die Inhalte bei der Anwendung auf die menschliche Entwicklung und Kultur (nicht biologische Evolution) beliebig, sie reichen von Pflanzen, Tieren, Menschen, Staaten, Moralinstanzen, Religionen usf. Jede Verallgemeinerung aus dem Schweineexperiment, die über instrumentelles Lernen in Gefangenschaft bei Labortieren hinausgeht, würde ich als Ideologie bestimmt charakterisieren und nicht mehr als empirisch gesicherte Wissenschaft.

In diesem FAZ-Artikel schreibt Ariel Rubinstein, ein Spieltheoretiker, über die Grenzen solcher formalen Modelle, die ich auch so ähnlich sehen würde:

"In meinen Augen ist die Spieltheorie eine Ansammlung von Fabeln und Sprichwörtern. Die Implementierung eines Modells aus der Spieltheorie ist ebenso wahrscheinlich wie die Umsetzung einer Fabel. Eine gute Fabel versetzt uns in die Lage, eine Lebenssituation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und könnte dadurch irgendwann einmal vielleicht unser Handeln und Denken beeinflussen."

spieltheorie-kann-die-spieltheorie-die-probleme-der-eurozone-loesen-und-das-iranische-atomprogramm-aufhalten-12129126-p2

Jörn 05.11.2017 20:43

qbz, würdest Du also sagen, dass die Stabilität nicht zu den notwendigen Kriterien zählt?

Bist Du der Meinung, das Prinzip des "Bestands des Stabilen" aus der Evolutionslehre sei nur ein "formales, theoretisches Konzept aus der Spieltheorie"? Es ist nicht empirisch gesichert?

aequitas 05.11.2017 21:14

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1340776)
qbz, würdest Du also sagen, dass die Stabilität nicht zu den notwendigen Kriterien zählt?

Bist Du der Meinung, das Prinzip des "Bestands des Stabilen" aus der Evolutionslehre sei nur ein "formales, theoretisches Konzept aus der Spieltheorie"? Es ist nicht empirisch gesichert?

Bei der Entstehung von Normen kann nunmal keine Ratio unterstellt werden. Deshalb werden in der Ökonomie mittlerweile auch andere Modelle genutzt, s. behavioral economics. Die Ökonomie ist nunmal auch eine Sozialwissenschaft, die zwar versucht mittels Formeln und Modellen der Naturwissenschaft nahe zu kommen, es lassen sich allerdings trotzdem keine so einfachen Gesetzmäßigkeiten wie die der Spieltheorie unterstellen.

Jörn 05.11.2017 21:20

Und die Evolution? Ist dort der "Bestand des Stabilen" nur eine vom Menschen gesetzte Norm, der keine Ratio unterstellt werden kann?

Oder lässt es sich bei der Evolution empirisch beobachten und dadurch als Fakt absichern?

Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, stehen keine ökonomischen Modelle auf dem Prüfstand, sondern es geht um die Frage, wie empirisch beobachtbare Komplexität entstand (hier die Moral), oder sehe ich das falsch?

aequitas 05.11.2017 21:33

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1340780)
Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, stehen keine ökonomischen Modelle auf dem Prüfstand, sondern es geht um die Frage, wie empirisch beobachtbare Komplexität entstand (hier die Moral), oder sehe ich das falsch?

Das siehst du nicht direkt falsch, allerdings wird versucht die Frage mittels ökonomischer Theorie zu erklären. Die Spieltheorie wird allerdings auch dort nicht zur alleinigen Theorie zur Erklärung sozialer Tatbestände genutzt.

Mir fehlt gerade die Zeit für eine derartige Diskussion, tut mir leid.

Jörn 05.11.2017 21:40

Womöglich hat das Wort "Spieltheorie" eine Nebendebatte angestoßen, die mit dem ursprünglichen Gegenstand nicht besonders viel zu tun hat.

Es ging doch nur darum, ob man sich zu einer moralischen Haltung theoretisch eine Strategie ausmalen könnte, die diese Haltung untergräbt. Etwa, dass ein Ferkelchen seine Kooperation einstellt, wenn es bemerkt, dass es auch ohne diese Kooperation an das Futter kommt. Mehr war doch eigentlich nicht gemeint, oder sehe ich das falsch?

Ein anderes Beispiel war, dass die noble Haltung des Pazifismus nicht stabil ist, weil diese Haltung untergraben werden kann, sobald jemand eben doch zu den Waffen greift. Weil diese Haltung also nicht stabil ist, finden wir sie auch nirgends. Und genau das sollte belegt werden. Am Ende landen wir nicht bei den nobelsten aller Haltungen, sondern bei jenen, die stabil sind.

Klugschnacker 05.11.2017 21:48

Zitat:

Zitat von aequitas (Beitrag 1340781)
Das siehst du nicht direkt falsch, allerdings wird versucht die Frage mittels ökonomischer Theorie zu erklären. Die Spieltheorie wird allerdings auch dort nicht zur alleinigen Theorie zur Erklärung sozialer Tatbestände genutzt.

Mir fehlt gerade die Zeit für eine derartige Diskussion, tut mir leid.

Entschuldigung, die evolutionäre Spieltheorie ist ein Zweig der Biologie. Es geht dabei um die Ausbreitung und Verteilung von Verhaltensmustern.

Meiner Ansicht nach kann sie zur Entstehung und Verbreitung menschlicher Verhaltensmuster etwas beitragen. Ethische Normen sind ja nichts anderes als Verhaltensmuster, die sich ausgebreitet haben.

Klugschnacker 05.11.2017 22:05

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340771)
Da es sich bei der "evolutionär stabilen Strategie" um ein formales, theoretisches Konzept aus der Spieltheorie handelt, erscheinen mir die Inhalte bei der Anwendung auf die menschliche Entwicklung und Kultur (nicht biologische Evolution) beliebig, sie reichen von Pflanzen, Tieren, Menschen, Staaten, Moralinstanzen, Religionen usf. Jede Verallgemeinerung aus dem Schweineexperiment, die über instrumentelles Lernen in Gefangenschaft bei Labortieren hinausgeht, würde ich als Ideologie bestimmt charakterisieren und nicht mehr als empirisch gesicherte Wissenschaft.

Dein Standpunkt ist, die menschliche Moral sei vollständig durch die Produktions- und Besitzverhältnisse bestimmt. Andere sagen, sie käme von Gott. Ich sage, sie entwickelt sich, entsprechend ihrem jeweiligen Umfeld, von selbst.

Und ausgerechnet meinen Standpunkt hältst Du für ideologisch? Das müsstest Du vielleicht noch kurz erklären. Mir scheint, Du müsstest die Ursachenkette einfach ein Stück weiter nach hinten verfolgen und Dich fragen, was die Ursachen für die Produktions- und Besitzverhältnisse sind. Sie sind das Ergebnis erfolgreicher Strategien.

Das ist genau das, was ich sage: Normen sind das Ergebnis dauerhaft erfolgreicher Strategien.
:Blumen:

merz 05.11.2017 22:17

Darf ich einhaken und nach einem weiteren Ausbau von "erfolgreich" fragen?

Ich unterstelle nicht, dass wir hier an der These - auch nur von weitem - vorbeischrammen, das sich genau das (als Verhaltensmuster oder was auch immer) dauerhaft verbreitet etabliert, was sich eben dauerhaft etabliert - deswegen die weitere Frage.

m.

qbz 05.11.2017 22:18

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340784)
Entschuldigung, die evolutionäre Spieltheorie ist ein Zweig der Biologie. Es geht dabei um die Ausbreitung und Verteilung von Verhaltensmustern.
.......

dann irrt sich Wikipedia: "Eine evolutionär stabile Strategie (abgekürzt ESS, engl. evolutionarily stable strategy) ist eine Strategie, die – vorausgesetzt genügend Mitglieder einer Population wenden sie an – durch keine Alternativstrategie verbessert werden kann.[1] Sie ist ein spieltheoretisches Konzept, das in der Theoretischen Biologie 1973 von John Maynard Smith und George R. Price formuliert wurde.[2] "

Oder hier:

ESS, Kap. 6 unter Spieltheorie

Was hält ihr von der Kritik von Ariel Rubinstein?

aequitas 05.11.2017 22:29

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340784)
Entschuldigung, die evolutionäre Spieltheorie ist ein Zweig der Biologie. Es geht dabei um die Ausbreitung und Verteilung von Verhaltensmustern.

Ja, aber die Theorie dahinter stammt aus der Ökonomie.

Klugschnacker 05.11.2017 22:39

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340794)
dann irrt sich Wikipedia: "Eine evolutionär stabile Strategie (abgekürzt ESS, engl. evolutionarily stable strategy) ist eine Strategie, die – vorausgesetzt genügend Mitglieder einer Population wenden sie an – durch keine Alternativstrategie verbessert werden kann.[1] Sie ist ein spieltheoretisches Konzept, das in der Theoretischen Biologie 1973 von John Maynard Smith und George R. Price formuliert wurde.[2] "

In Deinem Zitat steht, dass es um Biologie geht. Mehr behaupte ich nicht.


Für die stillen Mitleser: Warum steckt da der Begriff "Spiel" drin? Das hat folgenden einfachen Grund:

Die Mitglieder einer biologischen Population werden als Spieler aufgefasst. Beispielsweise bestünde eine Population als 1 Million Amseln aus 1 Million "Spielern".

Wie wird gespielt? Das zu untersuchende Verhalten gilt als Spiel oder Spielzug. Beispielsweise das Legen einer bestimmten Zahl von Eiern pro Gelege. Manche Amselpaare werden nur 1-2 Eier legen, andere 8-10, wieder andere etwas dazwischen.

So ein Spielzug hat Konsequenzen. Wer als Paar 8-10 Eier legt, hat anschließend Schwierigkeiten, ausreichend Futter heranzuschaffen. Viele Küken sterben an Unterernährung, bevor sie selbst Eier legen können. Sie schaffen es nicht in die nächste Spielrunde (Generation).

Nach vielen Spielrunden (Generationen) kristalliert sich eine Zahl von 3-6 Eiern pro Gelege als Optimum heraus. Sie verkörpert die beste Strategie.

Die Natur findet solche Balancen von selbst heraus, ohne das eine Amsel je darüber nachgedacht hätte. Solche Mechanismen gelten natürlich auch für die durchschnittliche Zahl menschlichen Nachwuchses in den jeweiligen Gesellschaften.

Die evolutionäre Spieltheorie als Zweig der Biologie untersucht, wie sich solche Strategien entwickeln und ausbreiten. Eine wichtige Erkenntnis besteht darin, dass nur ganz bestimmte Strategien eine Chance haben, sich langfristig zu halten. Man nennt diese Strategien "evolutionär stabil".

Mit diesem Rüstzeug kann man nun komplexe Verhaltensweisen von Menschen oder menschlichen Kulturen untersuchen.

qbz 05.11.2017 22:41

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1340783)
Womöglich hat das Wort "Spieltheorie" eine Nebendebatte angestoßen, die mit dem ursprünglichen Gegenstand nicht besonders viel zu tun hat.

Es ging doch nur darum, ob man sich zu einer moralischen Haltung theoretisch eine Strategie ausmalen könnte, die diese Haltung untergräbt. Etwa, dass ein Ferkelchen seine Kooperation einstellt, wenn es bemerkt, dass es auch ohne diese Kooperation an das Futter kommt. Mehr war doch eigentlich nicht gemeint, oder sehe ich das falsch?

Über die Grenzen der Interpretation dieses Lernexperimentes hatte ich mich mehrfach schon geäussert. Um den Wechsel moralischer Haltungen in menschlichen Gesellschaften zu begründen, braucht es IMHO nicht dieses Gleichnis, aber eine konkrete Analyse der jeweiligen sozialen, menschlichen Verhältnisse.

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1340783)
Ein anderes Beispiel war, dass die noble Haltung des Pazifismus nicht stabil ist, weil diese Haltung untergraben werden kann, sobald jemand eben doch zu den Waffen greift. Weil diese Haltung also nicht stabil ist, finden wir sie auch nirgends. Und genau das sollte belegt werden. Am Ende landen wir nicht bei den nobelsten aller Haltungen, sondern bei jenen, die stabil sind.

In DE muss jeder ohne Schusswaffen leben (stabil), in den USA verhält es sich umgekehrt, stabil. Übertrage das staatliche Gewaltmonopol auf Weltorganisation mit entsprechenden Kompetenzen, und die Nationen brauchen keine Kriegswaffen mehr, stabil.

Jörn 05.11.2017 22:48

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340798)
In DE muss jeder ohne Schusswaffen leben (stabil), in den USA verhält es sich umgekehrt, stabil. Übertrage das staatliche Gewaltmonopol auf Weltorganisation mit entsprechenden Kompetenzen, und die Nationen brauchen keine Kriegswaffen mehr, stabil.

Eben. Es bilden sich stabile Lösungen heraus. Und nur diese, aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten.*

Was ist ihnen gemeinsam? Der Inhalt? Nein. Sondern dass sie stabil sind.

Das ist doch das, was Arne deutlich machen will. Insofern müsstet Ihr beiden Euch doch einig sein.

*Beispielsweise trifft die Vorhersage zu, dass es sich nicht beim Pazifismus einpendeln wird, weil dieser nicht stabil ist.

Klugschnacker 05.11.2017 22:49

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340794)
Was hält ihr von der Kritik von Ariel Rubinstein?

Interessant, hat aber nichts mit unserem Thema zu tun. Rubinstein ist Wirtschaftswissenschaftler, kein Biologe. Seine Kritik bezieht sich auf die Anwendung der Spieltheorie auf wirtschaftliche Probleme, speziell das Atomprogramm im Iran und Probleme der Eurozone.

In der Biologie wird mittels der Spieltheorie untersucht, wie sich Verhaltensweisen in einer Vielzahl von Individuen ausbreiten.

Klugschnacker 05.11.2017 22:50

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1340800)
Eben. Es bilden sich stabile Lösungen heraus. Und nur diese, aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten.*

Was ist ihnen gemeinsam? Der Inhalt? Nein. Sondern dass die stabil sind.

Das ist doch das, was Arne deutlich machen will. Insofern müsstet Ihr beiden Euch doch einig sein.

*Beispielsweise trifft die Vorhersage zu, dass es sich nicht beim Pazifismus einpendeln wird, weil dieser nicht stabil ist.

Ganz genau, danke. :kruecken:

Klugschnacker 05.11.2017 23:08

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340798)
Um den Wechsel moralischer Haltungen in menschlichen Gesellschaften zu begründen, braucht es IMHO nicht dieses Gleichnis, aber eine konkrete Analyse der jeweiligen sozialen, menschlichen Verhältnisse.

Ja, dem stimme ich zu. Du betrachtest die Ursachen. Ich betrachte den Mechanismus, mit dem diese Ursachen Wirksamkeit bekommen.
Beispiel, vereinfacht: Betrachten wir die durchschnittliche Kinderzahl einer Familie in einer fiktiven Gesellschaft. Wenn es keine Rente oder Absicherung im Alter gibt, werden pro Familie viele Kinder geboren, die das Elternpaar im Alter versorgen können. Mit der Einführung eines Rentensystems verringert sich die durchschnittliche Kinderzahl.
Du betrachtest hier die Ursachen, also Rentenversicherung ja/nein. Ich betrachte die Strategien der Eltern: Viele/wenige Kinder bekommen, ohne die Ursachen zu betrachten. Ich behaupte lediglich, dass sich eine gewisse durchschnittliche Kinderzahl von selbst einstellen wird. Es geschieht in Reaktion auf die Umweltbedingung "Rentensystem ja/nein", aber ohne dass von den Eltern diese Durchschnittszahl bewusst angestrebt wird.

Trotzdem wird diese neu eingependelte durchschnittliche Kinderzahl künftig moralische Normen setzen. Denn Normen ergeben sich aus erfolgreichen Strategien zwangsläufig.

qbz 05.11.2017 23:22

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1340800)
Eben. Es bilden sich stabile Lösungen heraus. Und nur diese, aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten.*

Was ist ihnen gemeinsam? Der Inhalt? Nein. Sondern dass sie stabil sind.

Das ist doch das, was Arne deutlich machen will. Insofern müsstet Ihr beiden Euch doch einig sein.

*Beispielsweise trifft die Vorhersage zu, dass es sich nicht beim Pazifismus einpendeln wird, weil dieser nicht stabil ist.

Wiki:
a) "Unter Pazifismus (von lat. pax, „Frieden“, und facere, „machen, tun“) versteht man im weitesten Sinne eine ethische Grundhaltung, die den Krieg prinzipiell ablehnt und danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen. b) Eine strenge Position lehnt jede Form der Gewaltanwendung kategorisch ab und tritt für Gewaltlosigkeit ein.[2"

A) ist eine reale Möglichkeit, stabil, bei weltweiter wirksamer Abrüstungskontrolle mit Sanktionen, vergleichbar dem staatlichen Gewaltmonopol.

Klugschnacker 05.11.2017 23:24

Zitat:

Zitat von merz (Beitrag 1340793)
Darf ich einhaken und nach einem weiteren Ausbau von "erfolgreich" fragen?

Ich unterstelle nicht, dass wir hier an der These - auch nur von weitem - vorbeischrammen, das sich genau das (als Verhaltensmuster oder was auch immer) dauerhaft verbreitet etabliert, was sich eben dauerhaft etabliert - deswegen die weitere Frage.

m.

Der Erfolg einer Verhaltensweise ist in diesem speziellen Kontext immer ihr Ausbreitungserfolg. Das Christentum könnte keine moralischen Normen setzen, wenn es sich nicht ausgebreitet hätte. Dasselbe gilt für den Kommunismus oder die soziale Marktwirtschaft oder den Feudalismus.
Nehmen wir an, innerhalb einer fiktiven Religion gäbe es zwei Strömungen, die etwas voneinander abweichen. Der Unterschied bestünde einfach darin, das in Variante A alle Kinder ungefragt getauft werden, um sie vor der Hölle zu retten. In Variante B wartet man damit bis zur Volljährigkeit und lässt die Kinder dann selbst entscheiden.

Es zeigt sich, dass Variante A einen größeren Ausbreitungserfolg als Variante B hat. Denn bei A werden alle Kinder getauft, bei B nur fast alle. Nach und nach wird die Kindstaufe damit zu einer Selbstverständlichkeit. Das setzt die moralische Norm: Eltern, die ihre Kinder nicht taufen, ernten verständnisloses Kopfschütteln.
Das Beispiel soll zeigen, wie sich Systeme in Richtung größeren Ausbereitungserfolgs verändern und gleichzeitig die Normen setzen.

qbz 05.11.2017 23:31

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340801)
Interessant, hat aber nichts mit unserem Thema zu tun. Rubinstein ist Wirtschaftswissenschaftler, kein Biologe. Seine Kritik bezieht sich auf die Anwendung der Spieltheorie auf wirtschaftliche Probleme, speziell das Atomprogramm im Iran und Probleme der Eurozone.

In der Biologie wird mittels der Spieltheorie untersucht, wie sich Verhaltensweisen in einer Vielzahl von Individuen ausbreiten.

Hast Du den Artikel wirklich gelesen oder nur die Überschrift? :Blumen:

Er schreibt zum Schluss des Artikels:

"Erinnern Sie sich noch an den Titel dieses Artikels? Ich habe Sie ausgetrickst. Ich war mir nicht sicher, ob der Titel: „Die Spieltheorie kann die Probleme der Eurozone nicht lösen und das iranische Atomprogramm nicht aufhalten“, Sie veranlassen könnte, den Artikel zu lesen. Deshalb handelte ich strategisch und gab ihm einen irreführenden Titel. Die Idee dazu hatte ich aber nicht aus der Spieltheorie." ;) :Blumen:

Und davor:

"Die Suche nach der praktischen Bedeutung der Spieltheorie ergibt sich aus der Vorstellung, akademische Forschung und Lehre brächten der Gesellschaft einen direkten Nutzen ein. Diese Ansicht teile ich nicht. Forschungseinrichtungen, vor allem auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften, sind Teil eines kulturellen Gefüges. Kultur bemisst sich nicht nach ihrem Nutzen, sondern danach, wie interessant sie ist und welche Herausforderung sie darstellt. Ich glaube, die Spieltheorie ist Teil der Kultur, die zu klären versucht, wie wir denken. Dieses Ideal lässt sich in vielfältiger Weise verwirklichen - durch Literatur, durch Kunst, durch Hirnforschung und, ja, auch durch die Spieltheorie. Falls jemand darüber hinaus auch eine praktische Anwendung für die Spieltheorie fände, wäre das wunderbar."

Klugschnacker 05.11.2017 23:34

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340805)
Wiki:
a) "Unter Pazifismus (von lat. pax, „Frieden“, und facere, „machen, tun“) versteht man im weitesten Sinne eine ethische Grundhaltung, die den Krieg prinzipiell ablehnt und danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen. b) Eine strenge Position lehnt jede Form der Gewaltanwendung kategorisch ab und tritt für Gewaltlosigkeit ein.[2"

A) ist eine reale Möglichkeit, stabil, bei weltweiter wirksamer Abrüstungskontrolle mit Sanktionen, vergleichbar dem staatlichen Gewaltmonopol.

Was Du hier als Pazifismus darstellt, ist kein Pazifismus. Es ist ein Gewaltmonopol, das in der Lage ist, ernsthafte Sanktionen über einen Aggressor zu verhängen. Man kann freilich auch mit Wirtschaftssanktionen ein Land ins Mittelalter schicken, nicht nur mit Bomben.

Ich hoffe persönlich sehr, dass ein solches klug organisiertes Gewaltmonopol Kriege mit herkömmlichen Waffen verhindern kann. Das ist aber kein Pazifismus im engeren Sinne, sondern eine äußerst wehrhafte Angelegenheit, wenn sie funktionieren soll.

Ich bin ein Anhänger pazifistischer Ideen, aber man darf sich über ihre Grenzen keine Illusionen machen. Vermutlich sind wir da einer Meinung.

Klugschnacker 05.11.2017 23:37

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340807)
Hast Du den Artikel wirklich gelesen oder nur die Überschrift? :Blumen:

:Cheese: Nur die Überschrift und den Wiki-Eintrag des Autors. 1:0 für Dich.

Ps.: Habe ich etwas verpasst?

Jörn 05.11.2017 23:39

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340805)
Wiki:
a) "Unter Pazifismus (von lat. pax, „Frieden“, und facere, „machen, tun“) versteht man im weitesten Sinne eine ethische Grundhaltung, die den Krieg prinzipiell ablehnt und danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen. b) Eine strenge Position lehnt jede Form der Gewaltanwendung kategorisch ab und tritt für Gewaltlosigkeit ein.[2"

A) ist eine reale Möglichkeit, stabil, bei weltweiter wirksamer Abrüstungskontrolle mit Sanktionen, vergleichbar dem staatlichen Gewaltmonopol.

Könntest Du bitte nochmal möglichst einfach und knapp darlegen, was Deine These ist, bzw. welcher Teil Deiner These etwas mit Moral, Evolution oder Religion zu tun hat? Ich verstehe den Zusammenhang Deines Postings nicht.

Und zweitens, wie bildet sich Deiner Meinung nach eine Moral?

Klugschnacker 05.11.2017 23:39

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340807)
"Die Suche nach der praktischen Bedeutung der Spieltheorie ergibt sich aus der Vorstellung, akademische Forschung und Lehre brächten der Gesellschaft einen direkten Nutzen ein. Diese Ansicht teile ich nicht. Forschungseinrichtungen, vor allem auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften, sind Teil eines kulturellen Gefüges. Kultur bemisst sich nicht nach ihrem Nutzen, sondern danach, wie interessant sie ist und welche Herausforderung sie darstellt. Ich glaube, die Spieltheorie ist Teil der Kultur, die zu klären versucht, wie wir denken. Dieses Ideal lässt sich in vielfältiger Weise verwirklichen - durch Literatur, durch Kunst, durch Hirnforschung und, ja, auch durch die Spieltheorie. Falls jemand darüber hinaus auch eine praktische Anwendung für die Spieltheorie fände, wäre das wunderbar."

Ich sehe hier keinen substantiellen Angriff auf meine Argumente. Diese sind ja sehr einfach. Es sollte also keine Mühe machen, sie zu widerlegen oder zu verbessern.

Jörn 05.11.2017 23:42

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340807)
(Zitat) ...akademische Forschung und Lehre brächten der Gesellschaft einen direkten Nutzen ein. Diese Ansicht teile ich nicht.

Monströs.

qbz 05.11.2017 23:43

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340809)
:Cheese: Nur die Überschrift und den Wiki-Eintrag des Autors. 1:0 für Dich.

Ps.: Habe ich etwas verpasst?

Ja, sonst hätte ich es nicht zitiert. ;)

Es passt zur Diskussion, weil er aus wissenschaftlicher Sicht sehr enge Grenzen für die Anwendung der Spieltheorie zieht.

qbz 05.11.2017 23:49

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340808)
Was Du hier als Pazifismus darstellt, ist kein Pazifismus. Es ist ein Gewaltmonopol, das in der Lage ist, ernsthafte Sanktionen über einen Aggressor zu verhängen. Man kann freilich auch mit Wirtschaftssanktionen ein Land ins Mittelalter schicken, nicht nur mit Bomben.

Ich hoffe persönlich sehr, dass ein solches klug organisiertes Gewaltmonopol Kriege mit herkömmlichen Waffen verhindern kann. Das ist aber kein Pazifismus im engeren Sinne, sondern eine äußerst wehrhafte Angelegenheit, wenn sie funktionieren soll.

Ich bin ein Anhänger pazifistischer Ideen, aber man darf sich über ihre Grenzen keine Illusionen machen. Vermutlich sind wir da einer Meinung.

Ziemlich sicher ja.

Klugschnacker 05.11.2017 23:59

OFFTOPIC:

Ich war heute in einem Diavortrag. Ein Mann und eine Frau haben zu Pferde Amerika durchquert. Von Südamerika bis Alaska. Die Reise dauerte 15 Jahre.

Eine bewegende Geschichte trug sich hoch im Norden zu. Ich meine, in British Columbia, Kanada. In einem winzigen Dorf inmitten dieser Wildnis hörte man, dass oben in den Bergen zwei Pferde im meterhohen Tiefschnee feststeckten. Möglicherweise bereits seit Wochen. Es war Winter, und die Temperatur sank in den Nächten auf -35°C.

Vier Männer fuhren noch bei Dunkelheit auf Motorschlitten hinauf und fanden die Pferde im Licht der Scheinwerfer. Der Schnee war mehrere Meter hoch. Keine Chance für die Pferde, sich fortzubewegen. Die Männer hatten Heuballen als Futter dabei, aber auch Gewehre. Je nach Zustand der Pferde würden sie diese füttern oder töten.

Der Zustand der Pferde war erbärmlich. Sie steckten fest. Ich habe die Fotos gesehen. Die Männer fütterten die Pferde und kehrten ins Dorf zurück.

Von dort aus gruben die Dorfbewohner einen 1800 Meter langen Hohlweg den Berg hinauf zu den Pferden. Mehr als zwei Meter tief mussten sie graben, um festen, tragfähigen Schnee zu erreichen. So trieben sie ihren Schacht zu den Pferden hinauf. Meter für Meter, nur mit Schaufeln. Eine unfassbare Plackerei.



Schließlich erreichten sie die beiden Pferde, die noch lebten. Sie führten sie den schmalen, langen Schacht hinab bis ins Dorf, in einen warmen Stall, rieben sie ab und gaben ihnen Futter. Auf den Fotos sah man überglückliche, tief bewegte und erschöpfte Gesichter.

So großartig können Menschen sein.

keko# 06.11.2017 08:04

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1339989)
Hallo keko, stimmst du Luthers Ansichten nun zu oder nicht, und sollten wir diese feiern oder nicht?

Würdest du sagen, dass es Dir graut vor Leuten, die Luthers Hexen- und Judenwahn ablehnen und ihn daher nicht feiern? So verstehe ich dein Posting.

Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung nicht eine einzige von Luthers angeblichen 95 Thesen kennt. Welche davon ist denn deine Lieblingsthese, die wir am meisten feiern sollten?

Hi Jörn, den Feiertag fand ich berechtigt. Luthers Einfluss auf den Lauf der Geschichte (sein Gesamtwerk) ist meiner Meinung nach gedenkwürdig.

Wenn wir so kritisch an alles rangehen, dürfte Amerika Washington nicht gedenken, er hatte Hunderte Sklaven. Die Liste läßt sich beliebig erweitern.

Die Welt ist alles andere als perfekt, weil der Mensch weit davon entfernt ist. Vor Atheisten graut es mir insofern, als dass ich das Gefühl habe, dass ihnen der perfekte Mensch vorschwebt. Vom Perfektionismus ist es manchmal nicht weit zur Intoleranz.

MattF 06.11.2017 08:09

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1340839)

Die Welt ist alles andere als perfekt, weil der Mensch weit davon entfernt ist. Vor Atheisten graut es mir insofern, als dass ich das Gefühl habe, dass ihnen der perfekte Mensch vorschwebt.

Gefühlte Fakten, ja in so Zeiten leben wir.

MFG
Matthias

Klugschnacker 06.11.2017 09:07

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1340839)
Die Welt ist alles andere als perfekt, weil der Mensch weit davon entfernt ist. Vor Atheisten graut es mir insofern, als dass ich das Gefühl habe, dass ihnen der perfekte Mensch vorschwebt. Vom Perfektionismus ist es manchmal nicht weit zur Intoleranz.

Die Welt wäre demnach toleranter, wenn es mehr gläubige Menschen gäbe? Diesen Standpunkt würde ich nicht gern in einer Debatte verteidigen müssen. In den Gottesstaaten unseres Planeten geht es nämlich alles andere als tolerant zu.

Im Christentum stellen bereits unreine Gedanken eine schwere Verfehlung dar. Ich erkenne darin durchaus einen gewissen Perfektionsanspruch an die Menschen. Dasselbe gilt für die Ebenbildlichkeit mit niemand geringerem als dem Schöpfer des Universums, wo wir doch in Wahrheit vor allem den Schimpansen ähneln.
:Lachen2:

qbz 06.11.2017 09:19

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340804)
Ja, dem stimme ich zu. Du betrachtest die Ursachen. Ich betrachte den Mechanismus, mit dem diese Ursachen Wirksamkeit bekommen.
Beispiel, vereinfacht: Betrachten wir die durchschnittliche Kinderzahl einer Familie in einer fiktiven Gesellschaft. Wenn es keine Rente oder Absicherung im Alter gibt, werden pro Familie viele Kinder geboren, die das Elternpaar im Alter versorgen können. Mit der Einführung eines Rentensystems verringert sich die durchschnittliche Kinderzahl.
Du betrachtest hier die Ursachen, also Rentenversicherung ja/nein. Ich betrachte die Strategien der Eltern: Viele/wenige Kinder bekommen, ohne die Ursachen zu betrachten. Ich behaupte lediglich, dass sich eine gewisse durchschnittliche Kinderzahl von selbst einstellen wird. Es geschieht in Reaktion auf die Umweltbedingung "Rentensystem ja/nein", aber ohne dass von den Eltern diese Durchschnittszahl bewusst angestrebt wird.

Trotzdem wird diese neu eingependelte durchschnittliche Kinderzahl künftig moralische Normen setzen. Denn Normen ergeben sich aus erfolgreichen Strategien zwangsläufig.

Ja, mir ging es allein um ein paar Grundgedanken zur Abhängigkeit der moralischen Einstellungen von sozialen Verhältnissen und den sozialen Lagen der Menschen (um damit auch auf Jörn's mich und einen Kommentar schwer überfordernde ;) Frage zu antworten, wie ich die Entstehung der Moral begründe.), also allein um einen Aspekt. Andere Aspekte von "Moral" findet man bei Piaget, Freud, Fromm, Sozialpsychologie, auch Spieltheorie usf..

Veranschaulichen lässt sich die Frage, wie soziale Lagen die Moral beeinflussen können, am Beispiel der (industriellen) Kinderarbeit. Ihre Verbreitung hängt historisch vom Entwicklungsstand der Industrialisierung, vom Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, der Armut der Familien, Wirtschaftskrisen, der Verteilung der erarbeiteten Ressourcen ab. Je nach Existenzabsicherung der Familie unterscheiden sich die Einstellungen der Eltern, zwischen Arbeit ihrer Kinder im eigenen Betrieb, als Bettler in Berlin, in einer Mine, Plantage, Schutthalde usf., oder dem Ermöglichen einer Schule bis hin zum Studium. Dabei send(et)en diejenigen, die von der Kinderarbeit profitieren und sie für gerechtfertigt halten (weil sie armen Familien hilft), ihre eigenen Kinder in die Schule. (schichtspezifische Moral).

keko# 06.11.2017 09:37

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1340855)
Die Welt wäre demnach toleranter, wenn es mehr gläubige Menschen gäbe? Diesen Standpunkt würde ich nicht gern in einer Debatte verteidigen müssen. In den Gottesstaaten unseres Planeten geht es nämlich alles andere als tolerant zu.

Im Christentum stellen bereits unreine Gedanken eine schwere Verfehlung dar. Ich erkenne darin durchaus einen gewissen Perfektionsanspruch an die Menschen. Dasselbe gilt für die Ebenbildlichkeit mit niemand geringerem als dem Schöpfer des Universums, wo wir doch in Wahrheit vor allem den Schimpansen ähneln.
:Lachen2:

Ich lehne jede Art von Rigorismus ab. Auch der Atheist ist nicht gefeit vor eine rigorosen Denkweise. Genauso wie der Gläubige letztendlich völlig intolerant enden kann, kann auch der Atheist in einer Sackgasse enden.

Mittlerweile ist der negative Einfluss der Kirche auf unsere Gesellschaft gering. Wir werden es nicht ändern können, dass sie ein Teil der europäischen Geschichte und Kultur ist. Ebenso wie das 3. Reich immer mit DE verbunden bleiben wird. Will man was tun, sollte man Länder missionieren, in denen Frauen nicht unverhüllt auf die Strasse gehen dürfen.

(Ich wurde am Samstagabend in der Stuttgarter Fußgängerzone auf von einem offensichtlich fernöstlichen Mann angesprochen. Er hielt mir sein Handy unter die Nase und fragte mich, ob ich seine Schwester anrufen will. Solche Maschen kannte ich bisher nur aus den USA ("You need roomservice?"). Da fasse ich mir dann wirklich an den Kopf...)

Klugschnacker 06.11.2017 10:18

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1340859)
Veranschaulichen lässt sich die Frage, wie soziale Lagen die Moral beeinflussen können, am Beispiel der industriellen Kinderarbeit. Ihre Verbreitung hängt historisch vom Entwicklungsstand der Industrialisierung, vom Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, der Armut der Familien, Wirtschaftskrisen, der Verteilung der erarbeiteten Ressourcen ab.

Dem stimme ich zu. Die Verfügbarkeit bestimmter Ressourcen beeinflusst das Verhalten einer Population. Langfristig beeinflusst das wiederum die Moral: Abweichendes Verhalten gilt als unmoralisch.

Die Eltern der frühindustriellen Epoche haben bestimmt alle möglichen Strategien ausprobiert, um zu überleben. An Ideen und Versuchen hat es gewiss nicht gefehlt, denn Not macht erfinderisch. Die meisten dieser Strategien sind gescheitert. Kinderarbeit erwies sich jedoch als erfolgreiche Strategie. Sie trug zum Überleben der Kinder und der Eltern bei, und motivierte Fabrikbesitzer, entsprechende Arbeitsplätze anzubieten.

Die Moralbegriffe wurden dadurch beeinflusst. Kinderarbeit wurde legitimiert. In den unteren Schichten war es eine Selbstverständlichkeit, die Kinder in die Mine zu schicken und nicht auf’s Gymnasium. Dieser Einfluss auf die Moralbegriffe ergab sich daraus, dass die Strategie "Kinderarbeit" erfolgreich war und stabil (dauerhaft).

Der Verdacht liegt nahe, dass auch andere Moralbegriffe das Ergebnis erfolgreicher Strategien sind.

aequitas 06.11.2017 10:45

Das Problem verdeutlicht ziemlich schön, weshalb Sozialwissenschaftler in vielen Berufen gefragt sind: Ingenieure können manche Sachen einfach nicht "verstehen", da sie auf eine andere Art und Weise Probleme erfassen und analysieren. Genau das lässt sich in diesem Thread beobachten. Arne versucht auf Grundlage mathematischer/ökonomischer/naturwissenschaftlicher Theorien und Modelle die Welt zu erklären. Qbz als Psychologe (?) hat zu den Phänomenen die hier besprochen werden einen anderen Zugang.

Arne, die Ökonomen (ja, auch die versuchen die Entstehung von Moral zu erklären) machen das auch schon lange nicht mehr nur mit der Spieltheorie. Jegliches Verhalten und Entwicklung durch ESS zu erklären greift zu kurz.

Richard Thaler (hat dieses Jahr den Nobelpreis für die Wirtschaftswissenschaften erhalten) beschftigt sich mit behavioral economics/Verhaltensökonomie, also einer Theorie, die nicht auf Grundlage des homo oeconomicus (Spieltheorie) funktioniert. Vielleicht helfen dir seine Gedanken Moral von einer anderen Seite zu betrachten, statt es nur durch ESS zu erklären.

Helmut S 06.11.2017 10:51

Servus!

Sorry zunächst, dass ich nicht real-time hier mitschreiben kann. Meine Alltag gibt das zeitlich im Moment nicht her. Deshalb bitte ich auch um Entschuldigung, falls ich hier irgendwas schreibe, was längst durch ist oder die letzten Beiträge mit meinem Posting nicht direkt adressiere. :Blumen:

Mir fällt auf, dass hier wohl verschiedene Verständnisweisen des Begriffes Moral existieren. Man sollte wirklich aufpassen, dass man das Wort nicht überlädt und am Ende dadurch sogar mit einer Worthülse dasteht. Ähnlich dem begriff "Würde des Menschen" - is ja auch sowas problematisches.

Die Moral im allerengsten philosophischen Sinne ist ein Regelwerk (normativ) nach dem der einzelne Mensch (es gibt in diesem Sinne keine Gruppenmoral) sein Handeln ausrichten soll, weil er ein Mensch ist und aus sonst keinem anderen Grunde. Daran haben sich die Philosophen die Zähne ausgebissen, denn die Tatsache das man Mensch ist, verpflichtet erstmal zu genau überhaupt nichts. Die Verpflichtungen kommen erst später dazu, wenn der Mensch Rollen in sozialen Gruppen (Herden, Familien, Vereinen, Schulen, Staaten usw. usw.) einnimmt.

Das die biologische Evolution dem Tier Mensch eine genetische Grundausstattung zur Fähigkeit zur Moral mitgegeben hat ist allerdings wohl unbestritten - soweit ich weiß, gibt es sozialwissenschaftliche Experimente, die selbiges auch bei Primaten zeigen. Das diese Fähigkeit zur Moral auch weiter zum Zwecke der Kooperation verschiedener menschlicher Tiere untereinander entwickelt wurde, darüber besteht wohl auch weitgehend Einigkeit. Ich bin auch der Meinung (und an sich ist das ja offensichtlich), dass diese Fähigkeit zur Moral der biologischen Evolution unterworfen ist. Ob es im Laufe dieser Evolution zu einer Mutation der Genetik gekommen ist oder noch kommen wird die eben für die Grundfähigkeit zur Moral verantwortlich ist - das weiß ich nicht. Das war es dann aber auch schon mit der Moral, die im Menschen a priori angelgt bzw. eben nicht angelegt ist.

Alleine wenn man die Grundlagen der Evolutionsbiologie kennt, muss aber klar sein, dass Begriffe wie "Strategie" oder "maximaler Ausbreitungserfolg" zumindest auf dieser Ebene nicht zutreffen. Die biologische Evolution hat keine Strategie, sie fasst keine Pläne, trifft keine Entscheidungen und hat auch kein Ziel. Sie ist blind, mechanisch und undurchdacht. Die Evolution des jeweiligen Organismus hat den Zweck den Allelen eine erfolgreiche Reproduktion zu garantieren. Sie hat dafür verschiedene Mechanismen, wie z.B. Mutation oder sexuelle Selektion. Ist das gewährleistet und ändern sich keine Umweltbedingungen, dann steht die Evolution für diesen Organismaus auch still ("Stasis"). Die Evolution will auch nicht, dass sich ein Organismus ausbreitet - sie weiß von "Ausbreitung" gar nichts, der Zweck ist die Reproduktion - nicht die Ausbreitung oder etwas anderes. Ausserdem führt die Evolution auch zu keinem absoluten Maximum, sondern steckt in lokalen Optima "fest". Ich möchte an der Stelle nochmal auf das Grundlagenbuch der Evolutionsbiologie verweisen, dass ich Seiten vorher schon mal empfohlen habe.

Moral im weitesten Sinne breitet sich lokal aus, das ist abhängig von den Gruppen und den Rollen in denen sich der Mensch befindet. Sie tritt hier in verschiedensten Formen in Erscheinung: Als Vorgaben in Religionen, als ungeschriebene Gesetze in Familien oder unter Kollegen, als Gesetzestexte von Staaten, im Völkerrecht, als Wertesysteme usw. All diese "Regelwerke" sind aber Konzepte, die vom Menschen erdacht wurden und ohne Menschen nicht existieren. Aus diesem Grunde sind sie auch nicht ursächlich - sondern nur indirekt - einer Evolution unterworfen. Einer Evolution unterworfen ist das Denken der Menschen und nur über eine Veränderung dessen, sind solche Konzepte überhaupt veränderbar. Die Einflüsse für verändertes Denken sind manigfaltig und in der Geschichte findet man Tausende: Entdeckung des Feuers, Erfindung des Rades, Industrialisierung, Aufklärung, Kriege, Epidemien, usw. usw. Auch hier in diesem Thread wurden ja viele Situationen genannt, die das menschliche Denken - und damit auch den Moralbegriff (im weitesten Sinne) - verändert haben. Aber auch hier gilt: Die absolute Moral gibt es nicht und wird es m.E. auch nicht geben.

Aus den o.g. Gründen, sind m.E. übrigens Apelle "an die Menschheit" völlig für die Katz: Der Mensch (in der Rolle als Mensch) schert sich nichts um die Menschheit. Erst in komplexeren Rollen schert er sich um Mitglieder seiner sozialen Einheit. Als Konsequenz kann man m.E. die Welt ein Stück besser machen in dem wir selbst bei uns anfangen und "moralische Milleus" erzeugen, in denen die Moral quasi "ansteckt". Das ist mein persönlicher, praktischer Ansatz. Darüber hinaus versuche ich meine beiden Kinder ebefalls in diesem Sinnezu erziehen.

Warum überall auf der Welt "ähnliche" Wertesysteme usw. existieren? Das ist m.E. einfach: Gewalt. Gerade die Europäer haben sich als Seefahrernationen (angefangen mit den Wickingern aber) spätestens seit Ende des 15. Jahrhunderts ja alles "einverleibt" was ging. Allen voran die Spanier, die Portugiesen und die Engländer. Es wurden Eingeborene versklavt, Menschenhandel getrieben, Krankheiten eingeschleppt, die wiederum ganze Kulturen ausgeschlöscht haben, Kriege geführt und Masaker angerichtet, ausgebeutet, kolonialisiert und christianisiert was ging - undzwar nahezu weltweit.

Das Argument, das es ohne Religion keine Moral gäbe, habe ich noch nie gehört. Das Religion Grundlage für eine (ganz bestimmte) Moral dienen kann, aber schon. Die Diskussion um erfolgreiche, stabile Stategien ist eine Scheindiskussion - eigentlich geht es um das Wesen des Menschen. Und ich fürchte, das die Ergebisse dieser Diskussion nicht besonders fröhlich stimmen. Schoppenhauer hat schon gesagt: "Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustande der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt." Womöglich nenen wir all das "moralisch" was in die Bändigung und Zähmung passt.

Was die Spieltheorie betrifft: Ich hab ja (in grauer Vorzeit) Informatik mit Nebenfach Mathe (zuerst BWL, dass war mir dann aber zuviel zu lernen) studiert. Dort habe ich Spieltheorie als Feld der Mathematik kennengelernt, deren Anwendungsgebiete vielfältig sind: Psychologie, Biologie, Wirtschaft ...

Anyway ... mein persönöliches Fazit ist: Leben und leben lassen. Das gilt auch für Religionen. Wo Weltanschauungen allerdings einschränken, unfrei machen und Leid über die Menschen bringen hört der Spaß auf. Idealerweise fange ich bei mir selber, in meinem "moralischen Millieu" an, die Welt ein Stück besser zu machen.

So ... jetzt wieder was arbeiten, damit auch noch genug Zeit für ein Läufchen heute Abend übrig bleibt.

LG Helmut :Huhu:

Klugschnacker 06.11.2017 10:58

Zitat:

Zitat von aequitas (Beitrag 1340888)
Richard Thaler (hat dieses Jahr den Nobelpreis für die Wirtschaftswissenschaften erhalten) beschftigt sich mit behavioral economics/Verhaltensökonomie, also einer Theorie, die nicht auf Grundlage des homo oeconomicus (Spieltheorie) funktioniert. Vielleicht helfen dir seine Gedanken Moral von einer anderen Seite zu betrachten, statt es nur durch ESS zu erklären.

Wenn wir seine Theorie diskutieren wollen, dann müsstest Du oder jemand anderes diese hier kurz skizzieren. Wäre das möglich?

Jörn 06.11.2017 12:41

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1340839)
Hi Jörn, den Feiertag fand ich berechtigt. Luthers Einfluss auf den Lauf der Geschichte (sein Gesamtwerk) ist meiner Meinung nach gedenkwürdig.

Hallo keko, welche von Luthers 95 Thesen ist nicht völliger Irrsinn?

:Blumen:

Jörn 06.11.2017 13:06

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1340865)
Ich lehne jede Art von Rigorismus ab. Auch der Atheist ist nicht gefeit vor eine rigorosen Denkweise. Genauso wie der Gläubige letztendlich völlig intolerant enden kann, kann auch der Atheist in einer Sackgasse enden.

Aber ist das nicht die übliche Vermischung von Wahrheit und Toleranz, die man in Debatten mit Gläubigen zuverlässig vorfindet, damit sich jeder seine bevorzugte „Wahrheit“ basteln kann?

Man kann ohne weiteres rigoros sein, in dem Versuch, Wahres und Belegbares von Unwahrem und Unbelegbarem zu trennen, und dennoch andere Lebenseinstellungen tolerieren als die eigene. Beides hat miteinander nichts zu tun.

Wenn über Wahrheit diskutiert wird, spielt Toleranz keine Rolle. Entweder dreht sich die Erde um die Sonne oder nicht. Entweder war das Grab von Jesus leer oder nicht. Hier eine „Toleranz“ einzufordern, geht am Zweck der Debatte vorbei. Wer ehrlich an der Wahrheit interessiert ist, möchte nicht, dass ihm mit „Toleranz“ geantwortet wird. Ein Wissenschaftler möchte wissen, ob seine Kollegen Einwände haben. Er hofft nicht darauf, dass sie ihre Einwände zurückhalten. Er will die Einwände hören.

In Debatten über Wahrheit plötzlich Toleranz einzufordern, ist vielleicht nur der Versuch, die Prüfung auf Wahrheit zu verhindern. Es ist eine der vielen Immunisierungsstrategien.

Man kann durchaus den Wahrheitsgehalt der Behauptung prüfen, Religionen wären in besonderem Maße tolerant. Dazu braucht man keinen Atheismus. Sondern man konfrontiert die Religionen einfach mit den Behauptungen der zahlreichen anderen Religionen. Da hört die Toleranz schlagartig auf. Martin Luther beispielsweise sah sich nicht imstande, die Ansichten des Papstes zu tolerieren, worauf er ihn als Madensack und Satan bezeichnete, was auf den ersten Blick wenig tolerant klingt. Auch sein Vorschlag, dem Papst die Zunge rauszureißen, weist in diese unfeine Richtung.

An der Wahrheit waren natürlich weder der Papst noch Luther interessiert.

Wenn man den Gott der Christen, Moslems oder Juden auf einen einzigen Charakterzug reduzieren müsste, dann den, dass er manisch eifersüchtig jede andere Religion verdammt. Das ist das oberste Gebot und der theologische Kern.

Toleranz entspringt der Erkenntnis, dass die eine Religion so unbewiesen ist wie die andere. Das ist eine Erkenntnis, die den monotheistischen Schriften völlig fremd ist.

Jörn 06.11.2017 13:25

Hier noch eine Zugabe, mit der sich Toleranz und Luther wunderbar vereinigen können:

Luther spricht davon, dass seine Lehre so unantastbar sei, dass selbst die Engel kein Urteil darüber fällen könnten. Nur er, Luther, wäre der Richter — aber nicht nur über die Menschen, sondern sogar über die Engel. Warum? Weil er Gewissheit habe. Sein Urteil wäre daher das Urteil Gottes.
"Ich will meine Lehre ungerichtet haben von jedermann, auch von allen Engeln. Denn da ich ihr gewiss bin, will ich durch sie euer und auch der Engel (...) Richter sein, dass, wer meine Lehre nicht annimmt, dass er nicht möge selig werden. Denn sie ist Gottes und nicht mein; darum ist mein Gericht auch Gottes, und nicht mein."

(Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe, Index verborum, Martin Luther´s German Writings, 1516-1525, Boston College 1999, Volume 10/2, S. 107)
Ah, diese wunderbaren Lehren von Luther... und diese wunderbare Toleranz... und Bescheidenheit... einfach schön.


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