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Helmut S 18.10.2017 09:58

Habe die Ehre!

M.E. sollte man bedenken, dass Religion ein Konstrukt des menschlichen Geistes, möglicherweise zum größten Teil ein Ergebnis des Denkens ist. Letzteres ist übrigens eine unglaublich schwierige Frage. Religion ist jedenfalls kein Ding im Sinne von I. Kant oder Wittgenstein (sondern in dessen Sinne vielmehr eine Tatsache) oder oder.

Vor dem Hintergrund meine ich, sollte man - wenn man die Evolution der Religion untersuchen möchte - auch die Evolution des menschlichen Geistes, die Evolution des Denkens untersuchen. Das würde dann bedeuten, dass die Ausbreitung der Religion auch eine Ausbreitung eines spezifischen Geistes und eines spezifischen des Denkens wäre. Wie auch immer: Man wird an der Stelle wahrscheinlich auch nicht um eine Beschäftigung mit dem Subjektivismus herumkommen fürchte ich.

Weiter ist es (nach meinem Verständnis), zumindest in der biologischen Evolution so, dass letztere kein allgemeines Evolutionsmaximum kennt sondern nur relative Evolutionsmaxima je Organismus das auf einem nicht umkehrbaren Pfad erreicht werden kann. Die allgemeine "Krone der Evolution" wird es also nicht geben.

Ein Zweck der Evolution der Religion müsste also nicht zwangsläufig darin bestehen zum Wohle aller Menschen zu sein, sondern könnte auch lediglich darin bestehen zum Wohle einer bestimmten Gruppe zu sein. Das könnte insbesondere so sein, wenn man annimmt, dass die Evolution der Religion nur ein zwangsläufiges Ergebnis der Evolution des Geistes und des Denkens ist. Letztere Punkte sind übrigens unglaublich geprägt von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Einflüssen bzw. von individualpsychologischen und sozialpsychologischen Aspekten. Vor allem vor dem Hintergrund des Subjektivismus.

Bei dem anderen Beispiel von Aktiengesellschaften oder Wirtschaftsformen ist das ja recht schnell einsichtig: Die Evolution des Kapitalismus ist sicher nicht optimal für alle Menschen aber ganz sicher für eine bestimmte Gruppe von Menschen.

Danke für's Lesen :Blumen:

Viele Grüße
Helmut

Klugschnacker 18.10.2017 10:39

Zitat:

Zitat von Helmut S (Beitrag 1336659)
Ein Zweck der Evolution der Religion müsste also nicht zwangsläufig darin bestehen zum Wohle aller Menschen zu sein, sondern könnte auch lediglich darin bestehen zum Wohle einer bestimmten Gruppe zu sein.

Zustimmung. Es wäre denkbar, dass das Wirtschaftssystem sich zum Vorteil einer kleinen Gruppe entwickelt, oder die Religion zum Vorteil der institutionalisierten Kirchen.

Doch eine Ideologie kann sich auch zum Nachteil einer Gruppe entwickeln und damit erfolgreich sein. Zur Erläuterung ein Beispiel:

Denken wir uns zwei gleichzeitig existierende Ideologien. Die eine ist für die Gruppe vorteilhaft, die andere nachteilig. Etwa, weil sie mit irrationalen Geboten daherkommt und den Fortschritt behindert.

Stellen wir uns vor, durch einen Zufall gelingt es ausgerechnet der nachteiligen Ideologie, bereits den Kindern an den Grundschulen beigebracht zu werden. Die vorteilhafte Ideologie bleibt hingegen Sache der Erwachsenen, die nach Feierabend dieser Ideologie nachgehen können oder auch nicht.

Nach zwei oder drei Generationen stellt man fest, dass die Anhängerschaft der vorteilhaften Ideologie leicht geschrumpft ist, während sie sich bei der nachteiligen Ideologie verzehnfacht hat. In dieser Generation ist die Erziehung der Kinder mit der eigentlich nachteiligen Ideologie eine Selbstverständlichkeit geworden, die fest zum Selbstverständnis ihrer Anhänger gehört. Die Ideologie hat sich jetzt also verändert, und zwar in Richtung des Merkmals, das den Ausbreitungserfolg bewirkte. Die Veränderung in diesem Beispiel lautet: "Kinder sind im Geiste der richtigen Ideologie zu erziehen".

Abstrakt formuliert: Ein Merkmal, das den Ausbreitungserfolg einer Ideologie steigert, verändert zwangsläufig die Ideologie. Die Entwicklungsrichtung der Ideologie folgt dadurch zwangsläufig dem Ausbreitungserfolg; sie orientiert sich nicht am Wohl ihrer Gruppe.

(Natürlich ist das ein Modell. Es gibt weitere Einflüsse, die hier nicht erwähnt wurden, sowie Rückkopplungen. Das versteht sich von selbst.)

keko# 18.10.2017 11:19

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1336501)
Letztlich ist alles, was rational beweisbar wäre, aus der Religion verschwunden. Und zwar just mit dem Auftreten der modernen Wissenschaft. Hältst Du das für einen Zufall?
:Blumen:

Wohin schaukeln wir denn, wenn dem so wäre? In eine völlig rationale Welt? Eine Welt der Wahrheiten? Willst du da hin?
Für mich ein schlimmer Gedanke. Es gibt ja die Überlegungen, was eine zukünftige Intelligenz, die nur derartig tickt, mit uns Menschen machen würde.

Fortschritt findet und fand sowieso immer statt. Wir müssen uns nicht bemühen, zusätzlich die Religionen in die Tonne zu treten. Gerade das Irrationele, Seelische, Moralische und Unbegreifliche unterscheidet uns noch von zukünftigen Maschinen, die uns früher oder später sowieso immer mehr Entscheidungen abnehmen werden (ein modernes Google-Navi ist nur ein zarter Anfang). Wir sollten uns eher wieder verstärkt auf menschliche Eigenschaften konzentrieren, als versuchen, rationale Entscheidungsmaschinen zu werden. Diesen Kampf verlieren wir sowieso.

Helmut S 18.10.2017 11:40

Servus!

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336692)
rationale Entscheidungsmaschinen zu werden

David Hume hat bereits herausgefunden, dass die Ratio keine Entscheidungen trifft, sondern das Gefühl. Die Ratio analysiert Situationen und liefert Fakten. Entschieden wird nach dem Gefühl. Oft werden Alltagsentscheidungen sog rein "aus dem Bauch heraus" getroffen. Will sagen: Ich habe keine Furcht, dass der Mensch zu rationalen Entscheidungsmaschine wird. Er ist es nicht, das ist nicht in ihm angelegt und er wird es deshalb auch m.E. nicht werden. Er wäre dem Untergang geweiht. Der Mensch ist wohl in großen Teilen ein emotionales Wesen.

Im übrigen gibt es in dem Umfeld interessante Erkenntnise aus der Gehirnforschung bezüglich des "freien Willens". So frei scheint der Wille nicht zu sein, sondern die Frage muss wohl so formuliert werden: "Tun wir was wir wollen oder wollen wir, was wir tun?" In den 70ern hat der Neuropsychologe Libet dazu schon versuche gemacht und die haben sich in letzter Zeit wohl bestätigt. Müsste man mal lesen wo man dazu was findet, falls es interessiert.

Viele Grüße Helmut

keko# 18.10.2017 11:45

Zitat:

Zitat von Helmut S (Beitrag 1336702)
David Hume hat bereits herausgefunden, dass die Ratio keine Entscheidungen trifft, sondern das Gefühl. Die Ratio analysiert Situationen und liefert Fakten. Entschieden wird nach dem Gefühl. Oft werden Alltagsentscheidungen sog rein "aus dem Bauch heraus" getroffen. Will sagen: Ich habe keine Furcht, dass der Mensch zu rationalen Entscheidungsmaschine wird.

Ich auch nicht. Ich fürchte mich eher vor Menschen, die das zwanghaft immer versuchen. ;)

Klugschnacker 18.10.2017 11:48

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1336501)
Letztlich ist alles, was rational beweisbar wäre, aus der Religion verschwunden. Und zwar just mit dem Auftreten der modernen Wissenschaft. Hältst Du das für einen Zufall?
:Blumen:

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336692)
Wohin schaukeln wir denn, wenn dem so wäre? In eine völlig rationale Welt? Eine Welt der Wahrheiten? Willst du da hin? Für mich ein schlimmer Gedanke. Es gibt ja die Überlegungen, was eine zukünftige Intelligenz, die nur derartig tickt, mit uns Menschen machen würde.

Fortschritt findet und fand sowieso immer statt. Wir müssen uns nicht bemühen, zusätzlich die Religionen in die Tonne zu treten. Gerade das Irrationele, Seelische, Moralische und Unbegreifliche unterscheidet uns noch von zukünftigen Maschinen, die uns früher oder später sowieso immer mehr Entscheidungen abnehmen werden (ein modernes Google-Navi ist nur ein zarter Anfang). Wir sollten uns eher wieder verstärkt auf menschliche Eigenschaften konzentrieren, als versuchen, rationale Entscheidungsmaschinen zu werden. Diesen Kampf verlieren wir sowieso.

Wir haben jede Menge Fiktion um uns herum. Das gehört zu unserer Kultur. Heute werden mehr Romane geschrieben als zu jeder anderen Zeit unserer Geschichte; die gesamte westliche Welt sitzt abends vor dem Fernseher und genießt erfundene Geschichten. Wir vergeben Nobelpreise für Literatur, nicht nur für Physik. An Fiktionen, auch irrationalen, ist kein Mangel.

Auch auf anderer Ebene pflegen wir sehr ernsthaft unsere Fiktionen: Die Menschenrechte sind eine Fiktion und dennoch das zentrale Leitmotiv der aufgeklärten Kultur. Wir verklagen juristische Personen vor Gericht, die real nicht existieren. Eine Staatsbürgerschaft oder eine Ehe sind fiktionale Gebilde, die nur in unserer Vorstellung existieren. Diskussionen über Staatsbürgerschaften und über das Recht, zu heiraten, sind sehr lebendig.

Die Zwickmühle der Kirchen besteht darin, dass sie ihre offensichtlichen Fiktionen als Tatsachen ausgeben. Allein deshalb liefern sie sich ein Rückzugsgefecht mit den Wissenschaften. Kein Mensch würde Goethe dafür kritisieren, dass sein Faustus eine erfundene Figur ist. Denn er hat nie etwas anderes behauptet.

Der Wert von erfundenen Geschichten besteht darin, dass sie dem ein oder anderen Menschen etwas sagen. Der Wert der Bibel besteht darin, dass ihre Texte dem ein oder anderen etwas sagen. Es ist vielleicht gar nicht so entscheidend, ob ihre Geschichten wirklich wahre Tatsachen darstellen. Weil die Kirche sie aber als Tatsachen verkauft, sitzt sie gegenüber der Vernunft in der Falle.

Klugschnacker 18.10.2017 12:00

Zitat:

Zitat von Helmut S (Beitrag 1336702)
Ich habe keine Furcht, dass der Mensch zu rationalen Entscheidungsmaschine wird.

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336704)
Ich auch nicht. Ich fürchte mich eher vor Menschen, die das zwanghaft immer versuchen. ;)

Schau mal in die Geschichte, keko. Siehst Du die Blutspur an irrationalen Überzeugungen und Entscheidungen? Ich denke nicht, dass Du vor einer Gesellschaft Angst haben musst, die sich mehr als bisher an der Vernunft orientiert.

Kleine Gedächtnisstütze:
  • Die Überzeugung, Gott wolle das Böse bekämpfen, und brauche dafür die Hilfe ausgewählter Menschen, die sich notfalls mit Gewalt durchsetzen
  • Die Überzeugung, es gäbe eine jüdische Weltverschwörung, der unter anderem Albert Einstein angehörte
  • Die Überzeugung, die "Nation" sei eine real existierende Sache, für die es sich zu sterben lohnt
  • Die Überzeugung, Gott habe die Menschen in "Kasten" eingeteilt, unter anderem in einer Kaste der "Unberührbaren"
  • Die Überzeugung, Gott habe zum Krieg gegen Nicht- und Andersgläubige aufgerufen
  • Und so weiter.

keko# 18.10.2017 12:31

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1336706)
Schau mal in die Geschichte, keko. Siehst Du die Blutspur an irrationalen Überzeugungen und Entscheidungen? Ich denke nicht, dass Du vor einer Gesellschaft Angst haben musst, die sich mehr als bisher an der Vernunft orientiert.

Kleine Gedächtnisstütze:
  • Die Überzeugung, Gott wolle das Böse bekämpfen, und brauche dafür die Hilfe ausgewählter Menschen, die sich notfalls mit Gewalt durchsetzen
  • Die Überzeugung, es gäbe eine jüdische Weltverschwörung, der unter anderem Albert Einstein angehörte
  • Die Überzeugung, die "Nation" sei eine real existierende Sache, für die es sich zu sterben lohnt
  • Die Überzeugung, Gott habe die Menschen in "Kasten" eingeteilt, unter anderem in einer Kaste der "Unberührbaren"
  • Die Überzeugung, Gott habe zum Krieg gegen Nicht- und Andersgläubige aufgerufen
  • Und so weiter.

Mir ist das schon klar. Wobei man überlegen kann, ob letztendlich Religion und Gott nur für eigene, handfeste Interessen (Macht, Geld ...) missbraucht wurde.

Die größten Massaker der Menscheit, der 1. und 2. Weltkrieg, gingen von der aufgeklärten Welt aus. Und wir haben im Jahr 2017 Waffen, die die Menschheit mehrfach vernichten können. Wir könnten uns darüber streiten, ob die irrationale oder rationale Blutspur größer ist.

Klugschnacker 18.10.2017 12:50

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336713)
Die größten Massaker der Menscheit, der 1. und 2. Weltkrieg, gingen von der aufgeklärten Welt aus. Und wir haben im Jahr 2017 Waffen, die die Menschheit mehrfach vernichten können. Wir könnten uns darüber streiten, ob die irrationale oder rationale Blutspur größer ist.

Entschuldigung, aber der erste und zweite Weltkrieg wurde auf der Basis irrationaler Ideologien geführt. Dem Nationalismus und dem Antisemitismus. Danach haben uns die Ideologien des Kommunismus und Kapitalismus an den Rand des dritten Weltkriegs gebracht.

Rational betrachtet ging vom "Weltjudentum" keinerlei Gefahr aus, denn es war als zusammenhängendes Gebilde nicht existent. – Die Überzeugungen von der Überlegenheit der eigenen Nation oder Rasse, die sich in einem Daseinskampf gegen konkurrierende Nationen und Rassen befände und diese unterwerfen müsse, war ein Hirngespinst.

keko# 18.10.2017 14:51

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1336721)
Entschuldigung, aber der erste und zweite Weltkrieg wurde auf der Basis irrationaler Ideologien geführt.

Hitler wurde von unseren Großeltern demokratisch gewählt. Zu einer Zeit, als Einstein schon die Relativitätstheorie veröffentlicht hatte und die Kernspaltung bekannt war. Man kann also nicht sagen, die Menschen wären Wilde gewesen.
Ganz im Gegenteil: Menschen kalkulierten kühl, dass ihre jüdischen Nachbarn abgeholt wurden, um in ihre Wohnungen zu gehen und sie zu plündern.
Rationalität ist nicht zwangsläufig gut.

Jörn 18.10.2017 19:20

Kritisches Nachfragen hätte beide Kriege verhindert.

Stattdessen sind die jungen Männer singend und lachend in den Krieg gezogen, und die Bevölkerung hat ihnen zugejubelt. Niemand hätte gejubelt, wenn sie gewusst hätten, was sie erwartet, und dass sie von ein paar wenigen Scharlatanen reingelegt wurden.

Hier stehen sich nicht Irrationalität, Seele und Gefühl auf der einen Seite, und das kalte, mechanische Nachdenken auf der anderen Seite gegenüber. Sondern hier stehen sich Wissen und Unwissen gegenüber. Die jungen Männer sind nicht etwa in den Krieg gezogen, weil es ein schönes Gefühl war, sondern weil man ihnen ein schönes Gefühl vorgegaukelt hatte, indem man ihnen die Wahrheit vorenthielt. Sie hatten zuerst falsche Fakten. Danach kamen die passenden Gefühle. Sie fühlten sich als Helden, die das Vaterland verteidigen. In Wahrheit hatte überhaupt niemand angegriffen. In Wahrheit waren sie Kanonenfutter.

Gefühle sind nicht unabhängig von den, was wir für Fakten halten. Deswegen verkauft die Kirche ihre Bibelgeschichten als Fakten — selbst dann, wenn sie zugibt, dass es hier und da keine wirklichen Fakten sind, sondern... irgendwie andere Fakten, die davon unabhängig sind, ob es tatsächlich Fakten sind. :Gruebeln:

Seele und Gefühl erfordern es keineswegs, dass man die Fakten ignoriert oder kritisches Nachfragen unterlässt. Kritisches Nachfragen ist jedoch das, was alle Kirchen und alle großen Religionen unter allen Umständen verhindern wollen. Und diesem Manöver muss man widersprechen. Denn es ist dieser Punkt, der zu so viel Leid geführt hat. Das ist der Grund, warum die Religionen eine Gefahr darstellen.

Die Kirchen können von mir aus die beste Einrichtung des Universums sein. Wenn der Preis dafür jedoch darin besteht, kritisches Prüfen zu unterlassen, dann ist dieser Preis zu hoch.

waden 18.10.2017 19:50

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336774)
Hitler wurde von unseren Großeltern demokratisch gewählt. Zu einer Zeit, als Einstein schon die Relativitätstheorie veröffentlicht hatte und die Kernspaltung bekannt war. Man kann also nicht sagen, die Menschen wären Wilde gewesen.
Ganz im Gegenteil: Menschen kalkulierten kühl, dass ihre jüdischen Nachbarn abgeholt wurden, um in ihre Wohnungen zu gehen und sie zu plündern.
Rationalität ist nicht zwangsläufig gut.

Ich verstehe Dich so, dass Du Seele und Emotion als wichtige Eigenschaften der Menschen neben der Rationalität siehst. Gut, einverstanden.
Aber: Die Wahl Hitlers als Produkt aufgeklärter Rationalität darzustellen liegt historisch total daneben. Den Juden wurde wegen einer irrationalen Ideologie Unrecht getan. Dein Beispiel der kühl kalkulierenden Plünderer finde ich in diesem Zusammenhang...pff.

Ansonsten finde ich Jörns Antwort zutreffend:
Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1336824)
Kritisches Nachfragen hätte beide Kriege verhindert.
...
Hier stehen sich nicht Irrationalität, Seele und Gefühl auf der einen Seite, und das kalte, mechanische Nachdenken auf der anderen Seite gegenüber
...
Seele und Gefühl erfordern es keineswegs, dass man die Fakten ignoriert oder kritisches Nachfragen unterlässt
...
Niemand will Gefühl durch mechanische Formeln ersetzen.
...
Kritisches Nachfragen ist das, was alle Kirchen und alle großen Religionen unter allen Umständen verhindern wollen. ...Das ist der Grund, warum die Religionen eine Gefahr darstellen.


qbz 18.10.2017 20:19

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1336833)
Ich verstehe Dich so, dass Du Seele und Emotion als wichtige Eigenschaften der Menschen neben der Rationalität siehst. Gut, einverstanden.
Aber: Die Wahl Hitlers als Produkt aufgeklärter Rationalität darzustellen liegt historisch total daneben. Den Juden wurde wegen einer irrationalen Ideologie Unrecht getan. Dein Beispiel der kühl kalkulierenden Plünderer finde ich in diesem Zusammenhang...pff.

Ansonsten finde ich Jörns Antwort zutreffend:

Offtopic:
Ich würde den Holocaust neben Völkermord auch als massenhaften, gezielten, bewussten Raubmord an Juden bewerten. Fast alle Schichten profitierten vom billigen Ausverkauf des Eigentums jüdischer Flüchtlinge und der späteren Enteignung der deportierten Juden: der Staat, die grossen Unternehmer und Bankiers, die Akademiker, die Angestellten bis hinunter zum kleinsten Ladenbesitzer. Die staatliche Ermordung und Ausrottung der Juden (sog. "Endlösung") geschah gerade auch deswegen, damit diese keine Ansprüche mehr auf den enteigneten Besitz stellen konnten. Allein im irrationalen Judenhass und Antisemitismus den einzigen Grund für den Völkermord zu suchen, griffe IMHO viel zu kurz, da es dabei auch um die illegale Aneignung des jüdischen Besitzes ging. Selbst das Zahngold und die Haare der Ermordeten wurden verwertet.
Insofern finde ich Keko's Antwort sehr zutreffend.

Jörn 18.10.2017 20:25

Hier werden zwei Dinge vermischt: Die Motivation der Regierung einerseits; und andererseits die Bereitschaft des Volkes, zu folgen.

Nicht die Regierung hätte kritisch nachfragen müssen, sondern das Volk.

Die Regierung mag sehr rationale Gründe für eine konkrete Maßnahme gehabt haben. Aber was waren die Gründe dafür, dass das Volk folgte?

Kritisches Nachfragen hätte es verhindert (als es noch möglich war).

Außerdem: Wenn alle so trunken waren von Mitgefühl und Nächstenliebe — warum wurden dann die Juden ausgeplündert und ermordet?

MattF 18.10.2017 20:37

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336774)
Menschen kalkulierten kühl, dass ihre jüdischen Nachbarn abgeholt wurden, um in ihre Wohnungen zu gehen und sie zu plündern.
Rationalität ist nicht zwangsläufig gut.


Die meisten von denen sind aber auch wohl am Sonntag in die Kirche gegangen.

Natürlich ist stumpfe Rationalität nicht gut.

Dafür wurde der Humanismus und Empathie erfunden.

Klugschnacker 18.10.2017 20:41

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336837)
Offtopic:
Ich würde den Holocaust neben Völkermord auch als massenhaften, gezielten, bewussten Raubmord an Juden bewerten. ... Insofern finde ich Keko's Antwort sehr zutreffend.

Meinst Du nicht, dass diesem Morden und Rauben an den Mitbürgern zuvor eine ideologische Entrechtung und Entmenschlichung der jüdischen Bürger hat vorangehen müssen? Ich habe mir das zumindest immer so vorgestellt.

Rational war nur der Vollzug. Irrational und ideologisch die Legitimierung des Holocaust.

keko# 18.10.2017 20:48

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1336833)
Aber: Die Wahl Hitlers als Produkt aufgeklärter Rationalität darzustellen liegt historisch total daneben. Den Juden wurde wegen einer irrationalen Ideologie Unrecht getan. Dein Beispiel der kühl kalkulierenden Plünderer finde ich in diesem Zusammenhang...pff.

Er war kein alleiniges Produkt, aber er hatte Profiteure um sich (Politiker, Geschäftsleute, Karrieremenschen) oder mobilisiert, die intelligent und rational berechnend waren.

Ich will noch ein anderes Beispiel nennen. Ich finde es vernünftig, dass es eine Obergrenze an Flüchtlingen gibt, die wir aufnehmen. Obwohl ich weiß, was das letztendlich für Flüchtlinge heißt. Flüchtlinge finden das womöglich unvernünftig oder egoistisch.

Worauf ich hinaus will: ebenso wie bei der Wahrheit, sehe ich keine absolute Vernunft oder kein völlig rationales Denken und Handeln für möglich an. Es ist immer nur subkejtiv und in einem bestimmten Kontext gültig.

MattF 18.10.2017 20:49

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1336842)
Meinst Du nicht, dass diesem Morden und Rauben an den Mitbürgern zuvor eine ideologische Entrechtung und Entmenschlichung der jüdischen Bürger hat vorangehen müssen? Ich habe mir das zumindest immer so vorgestellt.

Rational war nur der Vollzug. Irrational und ideologisch die Legitimierung des Holocaust.

Sehe ich auch so.

Ich glaube es gib nur sehr wenige Leute die z.b. offen sich selbst gegenüber sagen würden (gegenüber anderen natürlich schon gar nicht):

"Ich will das Geschäft meines Nachbarn haben und dafür ist mir auch recht, dass dieser Nachbar abgeholt und ermordet wird."

Verbrecher ticken anders (zumindest die meisten). Die rechtfertigen ihre Taten.

Z.b. Bankräuber damit, dass ja gar keiner persönlich geschädigt wird. Kein Mensch Geld verliert wenn er die Bank ausraubt.

Ein Einbrecher geht davon aus, dass der Bestohlene seinen Schaden von der Versicherung ersetzt bekommt.

Oder der Verbrecher geht zumindest davon aus, dass der Geschädigte es selbst verdient hat, Opfer einer Tat zu werden usw. usw..

Jörn 18.10.2017 21:18

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336843)
Er war kein alleiniges Produkt, aber er hatte Profiteure um sich (Politiker, Geschäftsleute, Karrieremenschen) oder mobilisiert, die intelligent und rational berechnend waren.

Ich will noch ein anderes Beispiel nennen. Ich finde es vernünftig, dass es eine Obergrenze an Flüchtlingen gibt, die wir aufnehmen. Obwohl ich weiß, was das letztendlich für Flüchtlinge heißt. Flüchtlinge finden das womöglich unvernünftig oder egoistisch.

Worauf ich hinaus will: ebenso wie bei der Wahrheit, sehe ich keine absolute Vernunft oder kein völlig rationales Denken und Handeln für möglich an. Es ist immer nur subkejtiv und in einem bestimmten Kontext gültig.

Hallo keko, könntest Du ein etwas verändertes Beispiel nennen, bei dem Du die Konsequenzen Deiner Handlungen selbst zu tragen hättest? Das wäre für mich anschaulicher als das Beispiel mit den Flüchtlingen.

Oder noch besser: Wie wäre es, wenn andere handeln, aber Du trägst die Konsequenzen? Würdest Du dann auf korrekte Fakten und zutreffende Logik bestehen? Oder würdest Du Dich weiter an der Irrationalität erfreuen? Vor allem würden mich Beispiele interessieren, bei denen die Konsequenzen für andere gut, für Dich jedoch schlecht wären, und bei denen außerdem die Fakten nicht stimmen.

Das entspräche dann ungefähr der Situation der Kirchen, womit wir wieder beim Thema wären.

qbz 18.10.2017 21:34

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1336842)
Meinst Du nicht, dass diesem Morden und Rauben an den Mitbürgern zuvor eine ideologische Entrechtung und Entmenschlichung der jüdischen Bürger hat vorangehen müssen? Ich habe mir das zumindest immer so vorgestellt.

Rational war nur der Vollzug. Irrational und ideologisch die Legitimierung des Holocaust.

Es geht mir um die Motive für den Holocaust. Das zentrale Motiv bestand IMHO in der Enteignung des jüdischen Besitzes und der erst nach der Enteignung beschlossenen (Endlösung) Ermordung der Ausgeraubten, dem Völkermord. Sicher setzte der Antisemitismus, die vorausgegangene Entmenschlichung und die staatliche Entrechtung die Schwelle herab, jüdische Menschen zu berauben und später auszurotten, stellte selbst aber IMHO nicht das eigentliche Motiv für die Ausrottung dar. Die Juden hätten auch vertrieben werden können, ohne Enteignung und Ermordung. Das geschah nicht, weil man sie ihres gesamten Besitzes berauben wollte.

Ps.
Das Land Berlin besitzt heute noch Immobilienbesitz, der jüdischen Familien gehörte.

Jörn 18.10.2017 21:43

Dazu eine Ergänzung: Der Ermordung ging eine Vertreibung voraus. Wer nach Erlass der Nürnberger Rassengesetze ins Ausland ausreisen wollte, musste seinen gesamten Besitz dem Staat überschreiben, abgesehen von einem winzigen Taschengeld. Wer ins Ausland ging, ging praktisch mittellos.

Das ist einer der Gründe, warum die jüdischen Flüchtlinge in den Ländern (USA, Schweiz) höchst unwillkommen waren. Sie hatten kein Geld.

Jörn 18.10.2017 21:58

Schauen wir uns mal jene Bevölkerungsgruppen an, die über lange Zeit und systematisch verfolgt wurden (systematisch meint, dass eine ausgefeilte Begründungslogik vorhanden war), und die als Gruppe bestraft wurden (d.h. die schiere Zugehörigkeit war bereits ausreichend):

- Juden
- Hexen
- Homosexuelle.

Alle drei Gruppen unterscheiden sich als Individuuen nicht sonderlich von allen anderen. Was sie alle gemeinsam haben, ist eine Verdammnis in der Bibel, die rein auf religiöser Einbildung beruht. (Denn niemand hat eine Hexe jemals hexen sehen.)

Müssten wir nicht auch Gruppen finden, die ohne das Zutun der Bibel verfolgt wurden (systematisch, als Gruppe, über lange Zeit)? Aber wir finden keine.

Insofern finde ich die Frage, warum die Juden jetzt ganz genau verfolgt wurden, schwer verständlich. Die Juden wurden verfolgt, weil sie seit 2.000 Jahren verfolgt wurden. Es war Alltag. Es war nicht so, dass die Nazis plötzlich bei ein paar Bier eine witzige Idee hatten. Sondern sie griffen nur auf, was sowieso vorhanden war und verstärkten es.

Adolf Hitler war ein glühender Anhänger von Martin Luther (obwohl Hitler getaufter Katholik war). Luther war jedoch glühender und fanatischer Antisemit. Luthers Texte beschreiben die „Reichskristallnacht“ in allen Details; die Nazis haben es exakt so in die Tat umgesetzt. Zufälligerweise am Tag von Luthers Geburtstag.

MattF 18.10.2017 22:06

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336859)
Es geht mir um die Motive für den Holocaust. Das zentrale Motiv bestand IMHO in der Enteignung des jüdischen Besitzes und der erst nach der Enteignung beschlossenen (Endlösung) Ermordung der Ausgeraubten, dem Völkermord.

Sehe ich komplett anders.

Das Motiv war den Führungsanspruch der deutschen Rasse (wobei das die Sprache der Nazis ist, es gibt ja keine Rassen) gegenüber allen andere Völkern.

Durch die Entmenschlichung der Juden wurde ein entscheidendes Argument geliefert auch die Sovjetunion anzugreifen . Stichworte dazu „jüdischen Bolschewismus“ und "Weltjudentum". Der Krieg der angezettelt wurde richtet sich nach der Ideoligie, hauptsächlich gegen alle Länder die jüdisch unterwandert waren und das waren im Grunde alle anderen und es richtete sich grundsätzlich gegen die angebliche Unterwanderung auch Deutschlands selber durch das Judentum.
Der Jude war der Feind der zu bekämpfen war und der Jude war überall also musste man alles bekämpfen.

Die Enteignung der Juden,, bzw. deren Vertreibung insbesondere der Intelligenz war dabei im übrigen ja sogar kontraproduktiv. Mit den Juden hätte Deutschland viel besser und stärker da gestanden.

Das was man sich an realen Werten angeeignet hat war natürlich viel, relativ gesehen aber auch wenig, eigentlich Peanuts gegen die ganzen Kosten und Schäden die der Krieg verursacht hat.

Es ging nicht um ein paar Milliarden Reichsmark der Juden, es ging um die Vorherschaft der Deutschen gegenüber allen anderen und der Jude war hier der willkommene Sündenbock.

qbz 18.10.2017 23:00

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1336871)
---------

Durch die Entmenschlichung der Juden wurde ein entscheidendes Argument geliefert auch die Sovjetunion anzugreifen . Stichworte dazu „jüdischen Bolschewismus“ und "Weltjudentum". Der Krieg der angezettelt wurde richtet sich nach der Ideoligie, hauptsächlich gegen alle Länder die jüdisch unterwandert waren und das waren im Grunde alle anderen und es richtete sich grundsätzlich gegen die angebliche Unterwanderung auch Deutschlands selber durch das Judentum.
Der Jude war der Feind der zu bekämpfen war und der Jude war überall also musste man alles bekämpfen.
........
Es ging nicht um ein paar Milliarden Reichsmark der Juden, es ging um die Vorherschaft der Deutschen gegenüber allen anderen und der Jude war hier der willkommene Sündenbock.

es würde leider zu weit weg vom Thread führen, jetzt die Hintergründe des 2. Weltrkieges zu diskutieren und genauer abzuwägen, welche Rolle dabei der Antisemitismus im Vergleich zu den imperialistischen Antrieben beim Deutschen Reich spielte. (Rückgängigmachung des Versailler Vertrages z.B. bei der Eroberung Westeuropas, Deutschland als imperiale Grossmacht, deutsche Neuordnungspläne für Europa usf.). Mir ist auf jeden Fall kein Historiker bekannt, der die Auffassung vertritt, das Deutsche Reich hätte im 2. Weltkrieg die anderen Länder hauptsächlich wegen deren jüdischen Bevölkerung angegriffen.

waden 18.10.2017 23:18

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336882)
es würde leider zu weit weg vom Thread führen, jetzt die Hintergründe des 2. Weltrkieges zu diskutieren ...

Trotzdem noch ein Wort: Du setzt (wie meist) auf einen materialistischen Erklärungsansatz. Ich meine, dass die Entmenschlichung des Feindes eine wichtige ideologische Voraussetzung ist und den materiellen Bestrebungen vorausgeht.
Die Idee, das Auserwählte Volk zu sein, bietet hier eine treffliche Basis für die Ausgrenzung.
Macht und Geld sind auch kräftige Triebfedern in der Menschheitsgeschichte. Aber Keko, das ist keine Erfindung der Aufklärung; die christliche Kirche hat seit ihrer frühen Geschichte gezeigt, wie man sich Macht und Reichtum sichert. Über Jahrhunderte angelehnt an absolutistische Herrschaftssysteme; heute in den westlichen Demokratien weichgespült, aber immer noch auf Seiten der Macht und des Geldes

Jörn 18.10.2017 23:18

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336882)
es würde leider zu weit weg vom Thread führen, jetzt die Hintergründe des 2. Weltrkieges zu diskutieren und genauer abzuwägen, welche Rolle dabei der Antisemitismus im Vergleich zu den imperialistischen Antrieben beim Deutschen Reich spielte.

Es ging darum, ob Religion eine Ideologie ist, und dass sie auch jene Gefahren birgt.

Die Gefahr wird nicht begrenzt/gebannt durch kritisches Hinterfragen. Folglich kann es sich hochschaukeln zu jenen Katastrophen, wie sie der Zweite Weltkrieg und die vielen religiösen Kriege und Kreuzzüge darstellen. (Der Krieg zwischen Katholiken und Protestanten liegt auf Platz 2 der meisten Todesopfer, nur übertroffen durch den Zweiten Weltkrieg).

Die monotheistischen Religionen haben den Hauptinhalt, dass sie nicht hinterfragt werden dürfen; sondern der Glaube selbst ist das oberste Gebot. Zweifel oder Widerspruch wird mit den härtest möglichen Strafen der jeweiligen Epoche geahndet (Tod und Folter damals; ewiges Höllenfeuer, sobald Tod und Folger verboten waren).

Warum finden wir nirgends eine erfolgreiche Religion, in denen es eine Tugend ist, kritisch die (angeblichen) Fakten zu prüfen, auf denen die Religion beruht? Wie Arne so treffend ausgeführt hat: Nach dem Muster der Evolution gewinnen am Ende jene Religionen, welche die eigene Verbreitung als zentralen Inhalt haben.

Jörn 18.10.2017 23:21

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336882)
Mir ist auf jeden Fall kein Historiker bekannt, der die Auffassung vertritt, das Deutsche Reich hätte im 2. Weltkrieg die anderen Länder hauptsächlich wegen deren jüdischen Bevölkerung angegriffen.

Geht es hier wirklich darum, warum andere Länder angegriffen wurden? Oder geht es darum, warum ein Volk sich plötzlich gegen Teile des eigenen Volkes wandte?

Warum wurden die Juden angegriffen, von ihren eigenen Nachbarn?

qbz 18.10.2017 23:26

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1336887)
Geht es hier wirklich darum, warum andere Länder angegriffen wurden? Oder geht es darum, warum ein Volk sich plötzlich gegen Teile des eigenen Volkes wandte?

Warum wurden die Juden angegriffen, von ihren eigenen Nachbarn?

Ich dachte, es wäre klar, dass ich damit nur die Aussage von Mattf "Der Krieg der angezettelt wurde richtet sich nach der Ideoligie, hauptsächlich gegen alle Länder die jüdisch unterwandert waren ....." infrage stellte.

qbz 18.10.2017 23:40

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1336887)
.........
Warum wurden die Juden angegriffen, von ihren eigenen Nachbarn?

Historisch belegt und dokumentiert:

Das allgemeine Publikum hingegen kann nachlesen, wie umfangreich der Raubzug gegen die Juden war und wer sich alles bereichert hat. Dies ist in der Tat eine der deprimierendsten Erkenntnisse, die das Buch liefert: Es haben sich Menschen aus allen Schichten beteiligt - vom Staatssekretär bis zur Bauersfrau -, sie haben sich an den Hinterlassenschaften der ausgeplünderten und deportierten Juden bereichert. Wobei es nach den Erkenntnissen der Autorin Meinl den Profiteuren in vielen Fällen durchaus bewußt war, was mit den Vorbesitzern - den rechtmäßigen Besitzern - geschehen war. Der hat doch die "Höllenfahrt nach Theresienstadt" angetreten, schreibt in einem Mietstreit einer der Beteiligten über den vormaligen jüdischen Eigentümer. Oder eine Bäuerin aus dem Vogelsberg will eine Schuld nicht begleichen mit dem Argument: "Der Jude hat doch nichts mehr davon."

Besonders augenfällig wird die Bereicherung breiter Schichten in den Versteigerungen, die überall in Zeitungen angekündigt wurden, häufig mit dem Zusatz: "Aus nichtarischem Besitz." Manchmal waren solche Versteigerungen allen Deutschen zugänglich, manchmal nur Kriegerwitwen oder Kinderreichen. Zuweilen hatten die Ausverkäufe Volksfestcharakter, das halbe Dorf oder die ganze Straße tauchte auf und ersteigerte billig Geschirr, Wäsche, Möbel. Welche Werte der jüdischen Bevölkerung vor und nach der Deportation abgenommen wurden, weiß niemand zu sagen. Wieviel in Form von Entschädigung nach dem Krieg zurückgezahlt wurde, ist ebenfalls nicht genau bekannt. Auf jeden Fall wurde deutlich mehr gestohlen als zurückerstattet.

Vor diesem Hintergrund wird die These mancher Historiker plausibel, daß das große Verdrängen im Nachkriegsdeutschland viel mit der Ausplünderung der Juden zu tun hatte. In unzähligen Haushalten standen nämlich Möbel aus jüdischem Besitz, in den Küchen fand sich günstig ersteigerter Hausrat aus Juden-Haushalten, vielerorts hatten Arier, die jetzt einfach wieder Deutsche waren, Schmuck, Teppiche und Kunstwerke aus früheren "Schnäppchenkäufen" bei sich zu Hause eingestellt. Man wollte nicht gern an den Massenmord an Juden erinnert werden - von dem viele in Form von Plünderungsgut aus jüdischem Besitz profitiert hatten.


http://www.faz.net/aktuell/rhein-mai...m-1194031.html

Jörn 18.10.2017 23:47

Die Plünderung war ein Motiv. Einverstanden.

Aber warum die Juden?

Warum plünderte man nicht die Oberschicht oder den Klerus? Warum nicht die Banken oder Kaufhäuser?

Klugschnacker 18.10.2017 23:58

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336890)
Das allgemeine Publikum hingegen kann nachlesen, wie umfangreich der Raubzug gegen die Juden war und wer sich alles bereichert hat. Dies ist in der Tat eine der deprimierendsten Erkenntnisse, die das Buch liefert ...

Ja, das ist wirklich äußerst deprimierend. :(

Mir fällt es schwer, über diese Dinge zu streiten. Vermutlich geht es Euch ähnlich.

qbz 19.10.2017 00:03

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1336884)
.... Ich meine, dass die Entmenschlichung des Feindes eine wichtige ideologische Voraussetzung ist und den materiellen Bestrebungen vorausgeht.

Sehe ich eher wie Brecht, "erst kommt das Fressen, dann die Moral." ;)

Klugschnacker 19.10.2017 00:07

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1336893)
Die Plünderung war ein Motiv. Einverstanden.

Aber warum die Juden? Warum plünderte man nicht die Oberschicht oder den Klerus? Warum nicht die Banken oder Kaufhäuser?

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336896)
Sehe ich eher wie Brecht, "erst kommt das Fressen, dann die Moral." ;)

Jörns Frage bleibt damit aber offen. Wie würdest Du sie beantworten? Warum die Juden?

MattF 19.10.2017 07:34

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336882)
Mir ist auf jeden Fall kein Historiker bekannt, der die Auffassung vertritt, das Deutsche Reich hätte im 2. Weltkrieg die anderen Länder hauptsächlich wegen deren jüdischen Bevölkerung angegriffen.

Nicht wg.. Die Juden waren der Sündenbock. Es war die idiotische Begründung die man finden musste, wieso es gerecht war (aus Sicht der deutschen Rasseidiologie) den Rest der Welt anzugreifen.

Man hätte auch andere Sündenböcke finden können.

Das Motiv war sicher nicht die paar Milliarden Vermögen der Juden.

keko# 19.10.2017 08:04

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1336853)
Hallo keko, könntest Du ein etwas verändertes Beispiel nennen, bei dem Du die Konsequenzen Deiner Handlungen selbst zu tragen hättest? Das wäre für mich anschaulicher als das Beispiel mit den Flüchtlingen.

Oder noch besser: Wie wäre es, wenn andere handeln, aber Du trägst die Konsequenzen? Würdest Du dann auf korrekte Fakten und zutreffende Logik bestehen? Oder würdest Du Dich weiter an der Irrationalität erfreuen? Vor allem würden mich Beispiele interessieren, bei denen die Konsequenzen für andere gut, für Dich jedoch schlecht wären, und bei denen außerdem die Fakten nicht stimmen.

Das entspräche dann ungefähr der Situation der Kirchen, womit wir wieder beim Thema wären.

Ich verstehe deine Frage nicht. Ansonsten würde ich sie beantworten versuchen.

Ich wollte nur folgendes sagen: auch aus vernünftigen Gründen oder rationalen kann man quasi schrekckliches begründen. Ein Atomkrieg kann Überbevölkerung verhindern. Dass der größte Teil der Menscheit in Armut lebt, ist vernünftig, weil wir sonst die Ressourcen der Erde komplett verbrauchen.

Meiner Ansicht nach kennt die Natur keine Vernunft. Sie entsteht in unseren Köpfen und ist somit relativ.

qbz 19.10.2017 10:12

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1336893)
Die Plünderung war ein Motiv. Einverstanden.

Aber warum die Juden?

Warum plünderte man nicht die Oberschicht oder den Klerus? Warum nicht die Banken oder Kaufhäuser?

Der von Keko zitierte Nachbar eignete sich das fremde, jüdische Eigentum erst an, nachdem die Staatsmacht dieser Volksgruppe den Besitz sukzessive wegnahm. Diese Staatsmacht wurde in Teilen von der Oberschicht, den Banken, Unternehmern unterstützt bzw. sie kooperierten mit ihr in Erwartung von Extraprofiten.

@Mattf
Das geraubte Vermögen besass für den Staat durchaus erhebliche Relevanz. So führt dieser Bericht aus Berlin an, dass im Haushaltsjahr vor Kriegsbeginn ca. 9 % (!) der Reichseinnahmen von den Sondersteuern und der Teilenteignung der Juden kamen.

"Entsprechend stammten im letzten Haushaltsjahr vor Kriegsbeginn mindestens neun Prozent der Reichseinnahmen aus der fiskalischen Diskriminierung und Teilenteignung der jüdischen Bevölkerung. Mit ihnen konnte ein Staatsbankrott des Deutschen Reichs Ende 1938 abgewendet und die Kriegspläne finanziert werden."

holocaust-forschung-wie-berliner-finanzbehoerden-juedisches-eigentum-raubten

Diese Ausstellung vermittelte einen Eindruck, wie in Thüringen die Juden ab 1933 ausgeraubt wurden. Statt "Enteignung" und "Raub" erfanden die Nazis dafür den Begriff der sog. "Arisierung" von jüdischem Besitz.
der-grosse-raub

Einen Überblick über die geraubten jüdischen Vermögen in Europa durch den Holocaust findet man hier:
Holocaust. Die Bilanz der materiellen Schoah

"Scheurenberg untersucht auch, wie das geraubte Eigentum zur Deckung der Kriegsausgaben verwendet wurde. Die vorgelegten Daten zeigen, dass allein der Raub jüdischen Vermögens in Deutschland (ohne den Wert der Zwangsarbeit etc.) fast die gesamte Aufrüstung der Wehrmacht vor dem Zweiten Weltkrieg und 7 Prozent des gesamten Kriegshaushalts finanzierte."

Klugschnacker 19.10.2017 10:14

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1336915)
Ich verstehe deine Frage nicht. Ansonsten würde ich sie beantworten versuchen.

Jörn wollte wissen, ob Du irrationale Handlungen auch dann gutheißen würdest, wenn sie zu Deinem Nachteil geschehen. Oder ob Du in diesem Fall auf nachvollziehbare Begründungen wert legen würdest.

Zum Beispiel, wenn man Dir in folgenden Themenfeldern rational nicht begründete Vorschriften machen würde:

- Gebrauch von Verhütungsmitteln
- Sexuelle Selbstbestimmung von Dir und Deinen Familienmitgliedern
- religiöse Vorschriften zur Ernährung
- religiöse Bekleidungsvorschriften
- Amputationen an den Geschlechtsorganen Deiner Kinder
- religiöse Beschränkungen bei der Wahl des Ehepartners
- religiöse Beschränkungen von Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit
- allgemeine Rechtsprechung nach religiösen Vorschriften
- und so weiter

Würdest Du auch hier das Irrationale als notwendiges Element des Menschseins begrüßen, wo Du selbst von den Konsequenzen betroffen bist? Das ist etwas anderes, solange nur Schwule oder Ausländer betroffen sind.

(Dies nur zur Erläuterung dessen, was gefragt war. Mir ist schon klar, dass Du die Fragen allesamt verneinen wirst).
:Blumen:

Klugschnacker 19.10.2017 10:20

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336936)
... die geraubten jüdischen Vermögen in Europa durch den Holocaust ...

Unglaublich. Und wir Deutsche stellen uns heute an, wenn wir die Gedenkstätte in Auschwitz finanziell unterstützen sollen.
:(

tandem65 19.10.2017 10:46

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1336909)
Nicht wg.. Die Juden waren der Sündenbock. Es war die idiotische Begründung die man finden musste, wieso es gerecht war (aus Sicht der deutschen Rasseidiologie) den Rest der Welt anzugreifen.

Und ich dachte es ging im Osten gegen den Bolschewismus und um die Kornkammer im Osten.
Das ist das schöne hier im TS-Forum, da hat es immer wieder neue Erkenntnisse.

waden 19.10.2017 10:54

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1336936)
Der von Keko zitierte Nachbar eignete sich das fremde, jüdische Eigentum erst an, nachdem die Staatsmacht dieser Volksgruppe den Besitz sukzessive wegnahm. Diese Staatsmacht wurde in Teilen von der Oberschicht, den Banken, Unternehmern unterstützt bzw. sie kooperierten mit ihr in Erwartung von Extraprofiten.
..
Das geraubte Vermögen besass für den Staat durchaus erhebliche Relevanz.

Diesen Satz belegst Du treffend. Der ideologische Grund ist jedoch schon seit 1500 Jahren christlicher Kirchengeschichte gelegt; ich halte es für eine verkürzte Sicht, dass Hitler das nutzte, um Geld zu machen. Er griff eine Haltung auf, die es schon lange gab. Die ideologische (christliche) Grundlage, dass Juden in die Verdammnis kommen, war eine "willlkommene" Basis zur Stigmatisierung und Enteignung. Ein Beispiel unter sehr vielen: (der in diesem thread schonmal für seinen angeblichen Gottesbeweis zitierte) Thomas von Aquin: "Auch darin begeht die Kirche kein Unrecht, dass sie, da die Juden Sklaven der Kirche sind, über deren Güter verfügen kann ".
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Wenn die ideologische Grundlage tief eingepflanzt in den Köpfen sitzt, ist es leicht, genau in dieser Bevölkerungsgruppe zu Mord und Raub überzugehen.
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Papst Pius XII nahm bekanntlich auch keine ruhmreiche Haltung ein ("Lieber Freund, vergessen Sie nicht, dass in den deutschen Heeren Millionen Katholiken sind. Soll ich sie in Gewissenskonflikte bringen?")
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