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Franz Hodjak:
Mythos
Ich musste kotzen, also lief ich in die nächste öffentliche Toilette, doch als ich sah, was für Ideologien sich an den Wänden trafen, ist mir das Kotzen vergangen. Ich tat es draußen, an einen Baum gelehnt. Du Schwein, sagte eine ganz ganz feine Dame, wir haben ja öffentliche Toiletten, weißt du das nicht? |
Ringelnatz:
Der sächsische Dialekt
Wenn man den sächsischen Dialekt Ein bisschen dehnt und ein bisschen streckt Und spricht ihn noch ein bisschen tran’ger; Dann hält ein jeder für einen Spanier! |
Wilhelm Busch:
Wenn alles sitzen bliebe,
Was wir in Haß und Liebe So voneinander schwatzen; Wenn Lügen Haare wären, Wir wären rauh wie Bären Und hätten keine Glatzen. |
Erich Fried:
Zwischenspiel
Und wenn mein Zeigefinger schon nass ist von dir mir noch Zeit nehmen und mit seiner Kuppe auf deinen Bauch ein Herz malen so dass dein Nabel mitten im Herzen die Stelle ist wo angeblich Amors Pfeil das Herz durchbohrt hat und dann erst wenn du erraten hast dass es ein Herz war was ich auf dich gezeichnet habe. |
Ludwig Thoma:
Lehrhaftes Gedicht
Adolf war der Sprosse guter Leute, Ehelichen Ursprungs, legitim; Anders Jakob, denn sein Vater scheute Sich und sagt', er wäre nicht von ihm. »Süßes Wunder« hieß der Eltern Liebe Unsern Adolf, der »von Gott gesandt«; »Die unsel'ge Frucht verbotner Triebe« Wurde Jakob meistenteils genannt. Adolf konnte man den Freunden zeigen; Man entdeckt' an ihm des Vaters Art. Über Jakob herrschte tiefes Schweigen, Von ihm sprechen galt als wenig zart. Dieser Unterschied verblieb im Leben; Adolfs Laufbahn war solid und leicht. Zwar Talent war ihm nicht viel gegeben, Für den Staatsdienst hat es doch gereicht. Jakob war, so wie er einst geboren, Stets der Tante Minna ihr Malör. Feine Kreise gaben ihn verloren, Und er wurde später Redakteur. |
Heinrich Heine:
Ich glaub nicht an den Himmel,
Wovon das Pfäfflein spricht; Ich glaub nur an dein Auge, Das ist mein Himmelslicht. Ich glaub nicht an den Herrgott, Wovon das Pfäfflein spricht; Ich glaub nur an dein Herze, ’nen andern Gott hab ich nicht. Ich glaub nicht an den Bösen, An Höll und Höllenschmerz; Ich glaub nur an dein Auge, Und an dein böses Herz. |
Wilhelm Busch:
Reue
Die Tugend will nicht immer passen, Im ganzen läßt sie etwas kalt, Und daß man eine unterlassen, Vergißt man bald. Doch schmerzlich denkt manch alter Knaster, Der von vergangnen Zeiten träumt, An die Gelegenheit zum Laster, Die er versäumt. |
Joachim Ringelnatz:
Bumerang
War einmal ein Bumerang; War ein weniges zu lang. Bumerang flog ein Stück, Aber kam nicht mehr zurück. Publikum – noch stundenlang – Wartete auf Bumerang. Ringelnatz bringt mit seinem wundervollen Sprachwitz und dem unnachahmlichen Sinn für Un- und Tiefsinn den Deutschen einen neuen Humor bei. Sehnsüchtig wünscht sich Die Zeit: „Ach, triebe er doch noch seinen |
Charles Bukowski:
Ohne Titel
Alle Theorien wie Klischees verpufft; all die kleinen Gesichter wie sie aufschauen so gläubig und schön; mir ist nach Heulen aber Kummer ist blöd. Ich möchte glauben können doch glauben ist ein Friedhof. Wir haben es auf dem Punkt: Schlachtermesser und Spottdrossel. Wünsch uns Glück |
Ludwig Thoma:
Warnung
Die Welt will euch so schön bedünken Weil euch die junge Freiheit lacht; Ihr wollt in ihrem Schoß versinken. So hab‘ ich auch einmal gedacht. Den Weg, den ihr im Jugendprangen Mit freudevollem Herzen zieht; Auch ich bin ihn einmal gegangen, Obschon ich besser ihn vermied. Die Blumen, die am Rande blühten, Ich hab‘ nach ihnen mich gebückt, Und – davor möcht‘ ich euch behüten – Ich habe manche mir gepflückt. Ich könnt‘ euch gute Warnung geben, Jedoch ich weiß, ihr hört mich nicht, Man kennt die Rosen, wie das Leben, Nur, wenn man ich an ihnen sticht. |
Christian Morgenstern:
Der Sperling und das Känguru
In seinem Zaun das Känguru – es hockt und guckt dem Sperling zu. Der Sperling sitzt auf dem Gebäude – doch ohne sonderliche Freude. Vielmehr, er fühlt, den Kopf geduckt, wie ihn das Känguru beguckt. Der Sperling sträubt den Federflaus – die Sache ist auch gar zu kraus. Ihm ist, als ob er kaum noch säße … Wenn nun das Känguru ihn fräße?! Doch dieses dreht nach einer Stunde den Kopf, aus irgend einem Grunde, vielleicht auch ohne tiefern Sinn, nach einer andern Richtung hin. |
Joachim Ringelnatz:
Die Ameisen
In Hamburg lebten zwei Ameisen, Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee Da taten ihnen die Beine weh, Und da verzichteten sie weise Dann auf den letzten Teil der Reise. |
Shakespeare:
Cupido ward die Fackel hin, und schlief;
Ein Mädchen der Diana stahl den Fang, Und taucht der Liebe Feuerzunder tief In einen kalten Quell, der dort entsprang. Alsbald durchdrang vom heil’gen Brand die Wellen Für alle Zeit lebendig rege Glut, Und ward ein siedend Bad, in schlimmen Fällen Der Menschen letzte Hülf’ und höchstes Gut. Doch – die an Liebchens Blick frisch angefachte Kerze Hielt mir aufs Herz der Knabe zum Versuch; Daß ich, erkrankend von dem heißen Schmerze, Ein trüber Gast, mich nach dem Bade trug. Doch half mir’s nicht: Die Bäder, die mir taugen, sind Amors Feuerquellen, Liebchens Augen. |
Robert Gernhardt:
Dorlamm meint
Dichter Dorlamm lässt nur äußerst selten andre Meinungen als seine gelten. Meinung, sagt er, kommt nun mal von mein, deine Meinung kann nicht meine sein. Meine Meinung - ja, das lässt sich hören! Deine Meinung könnte da nur stören. Und ihr andern schweigt! Du meine Güte! Eure Eurung steckt euch an die Hüte! Lasst uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner! Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er. |
Joachim Ringelnatz:
Der Komiker
Ein Komiker von erstem Rang Ging eine Straße links entlang. Die Leute sagten rings umher Hindeutend: Das ist der und der! Der Komiker fuhr aus der Haut Nach Haus und würgte seine Braut. Nicht etwa wie von ungefähr, Nein ernst, als ob das komisch wär. |
Matthias Beltz:
Videonette
Hier mit dieser Löwenkralle, mach ich meine Feinde alle, und mit dem beschuhten Fuß trett ich Gegner gern zu Mus. Selbst mein Hang zur Liebe Spielt mit dem Todestriebe. Denn der Aggressionsverzicht Führt zu Rheuma, Krebs und Gicht. |
Erich Mühsam:
Dämmerung
Traurig ist's und jämmerlicht, Wenn der Mensch im Dämmerlicht Früh den Weg nach Hause sucht Und dabei die Welt verflucht. Aus dem grauen Pflasterstein Grinst Verzweiflung, Laster, Pein, Und vom schwanken Lampenpfahl Flackert Aberwitz und Qual. In des Menschen bangem Leid Stöbert die Vergangenheit – Und er steigt voll Scham und Schmach Einer späten Hure nach. |
Ringelnatz:
Überall
Überall ist Wunderland Überall ist Leben Bei meiner Tante im Strumpfenband wie irgendwo daneben. Überall ist Dunkelheit Kinder werden Väter. Fünf Minuten später stirbt sich was für einige Zeit. Überall ist Ewigkeit. Wenn Du einen Schneck behauchst Schrumpft er ins Gehäuse, Wenn Du ihn in Kognak tauchst, Sieht er weiße Mäuse. |
Ludwig Thoma:
Kompromissler
Das Prinzip in seiner Brust, Tritt der liberale Streiter Vor den Kanzler froh und heiter Und auch stolz und selbstbewußt. Wie er steht im hohen Saal, Schaut er in die Gnadensonne, Und er fühlt mit stiller Wonne Ihren holden Wärmestrahl. Bei der seltnen Götterkost, Die ihm Adelige bieten, Lockern sich des Herzens Nieten, Taut der liberale Frost. Selig lächelnd fällt er um. Und in seiner Busentasche Schmilzt zur pulverigen Asche Müller’n sein Prinzipium. |
Erich Kästner:
Moralische Anatomie
Da hat mir plötzlich und mitten im Bett Eine Studentin der Jurisprudenz erklärt: Jungfernschaft sei, möglicherweise, ganz nett, besäße aber kaum noch Sammlerwert. Ich weiß natürlich, daß sie nicht log. Weder als sie das sagte, noch als sie sich kenntnisreich rückwärts bog und nach meinem Befinden fragte. Sie hatte nur Angst vor dem Kind. Manchmal besucht sie mich noch. An der Stelle, wo andre moralisch sind, da ist bei ihr ein Loch ... |
Joachim Ringelnatz:
Lampe und Spiegel
„Sie faule, verbummelte Schlampe!“ sagte der Spiegel zur Lampe. „Sie altes, schmieriges Scherbenstück!“ gab die Lampe dem Spiegel zurück. Der Spiegel in seiner Erbitterung bekam einen ganz gewaltigen Sprung. Der zornigen Lampe verging die Puste: Sie fauchte, rauchte, schwelte und ruste. Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe und doch – man schob ihr die Schuld in die Schuhe. |
Karl Kraus:
Vergleichende Erotik
So wird das Wunderbild der Venus fertig: Ich nehm hier ein Aug, dort einen Mund, hier eine Nase, dort der Brauen Rund. Es wird Vergangenes mir gegenwärtig. Hier weht ein Duft, der längst verweht und weit, hier klingt ein Ton, der längst im Grab verklungen. Und leben wird durch meine Lebenszeit Das Venusbild, das meinem Kopf entsprungen. |
Robert Gernhardt:
Vom Leben
Dein Leben ist dir nur geliehn – du sollst nicht daraus Vorteil ziehn. Du sollst es ganz dem andern weihn – und der kannst nicht du selber sein. Der andere, das bin ich mein Lieber – nu komm schon mit den Kohlen rüber. |
Wilhelm Busch:
Die Schnecken
Rötlich schimmert es im Westen Und der laute Tag verklingt, Nur das auf den höchsten Ästen Lieblich noch die Drossel singt. Jetzt in dicht belaubten Hecken, Wo es still verborgen blieb, Rüstet sich das Volk der Schnecken Für den nächtlichen Betrieb. |
Ricarda Huch :
Widmung
Deine Geige, lieber Meister, Bin ich, spiele mich getreu! Stumm kam ich zu dir und scheu, Voller klang ich stehts und dreister. Laß sie tönend, liebend fliehen, Und die Zeit bringt Kraftgewinn Dir und deiner Harmonien Schwärmenden Verkünderin! |
Erich Kästner:
Ein Kind etwas frühreif
Ich hab mich zu einem Kinde gebückt. (Denn ich bin in solchen Dingen nicht stolz.) Und ich hab ihm sein Spielzeug zurechtgerückt. Es war ein Schimmel aus Holz. Das Kind ging mit einer schönen Frau. Die dachte, ich dächte, sie wäre so frei... Und sie zog ihr Kind wie ein Wauwau an Laternen und Läden vorbei. Sie fühlte sich schon zur Hälfte verführt und schwenkte vergnügt ihr Gewölbe. Das hätte mich nun nicht weiter gerührt. Doch das Kind – ich hab es ganz deutlich gespürt – das dachte bereits dasselbe ... |
Goethe:
Erinnerung
Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück ist immer da. |
Wilhelm Busch:
SEELENWANDERUNG
Wohl tausendmal schon ist er hier Gestorben und wiedergeboren, Sowohl als Mensch wie auch als Tier, Mit kurzen und langen Ohren. Jetzt ist er ein armer blinder Mann, Es zittern ihm alle Glieder, Und dennoch, wenn er nur irgend kann, Kommt er noch tausendmal wieder. |
Friedrich Hebbel:
Herbstbild
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah! Die Luft ist still, als atmete man kaum, Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah, Die schönsten Früchte ab von jedem Baum. O stört sie nicht, die Feier der Natur! Dies ist die Lese, die sie selbst hält, Denn heute löst sich von den Zweigen nur, Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt. |
Albert Ehrenstein:
Winter
Leise, wie wider meinen Willen fallen Flocken Schnee zu Boden. Leise wie wider meinen Willen falle ich zu Boden. |
Christian Morgenstern:
Mopsenleben
Es sitzen Möpse gern auf Mauerecken, die sich ins Straßenbild hinauserstrecken, um von sotanen vorteilhaften Posten die bunte Welt gemächlich auszukosten. O Mensch, lieg vor dir selber auf der Lauer, sonst bist du auch ein Mops nur auf der Mauer. |
Karin Kiwus:
So oder so
Schön geduldig miteinander langsam alt und verrückt werden andrerseits allein geht es natürlich viel schneller |
Heinz Erhardt:
Überlistet
Wenn Blätter von den Bäumen stürzen, die Tage täglich sich verkürzen, nicht nur die schönsten, auch die meisten der Vögel nach dem Süden reisten, und all die Maden, Motten, Mücken, die wir versäumten zu zerdrücken, von selber sterben – so glaubt mir: es steht der Winter vor der Tür! Ich laß ihn stehn! Ich spiel ihm einen Possen! Ich hab die Tür verriegelt und gut abgeschlossen! Er kann nicht rein! Ich hab ihn angeschmiert! Nun der steht der Winter vor der Tür – – – und friert! |
Christian Morgenstern:
DIE ZWEI WURZELN
Zwei Tannenwurzeln groß und alt unterhalten sich im Wald. Was droben in den Wipfeln rauscht, das wird hier unten ausgetauscht. Ein altes Eichhorn sitzt dabei und strickt wohl Strümpfe für die zwei. Die eine sagt: knig. Die andere sagt: knag. Das ist genug für einen Tag. |
Wilhelm Busch:
Nicht Beeidigt
Willst du gelobt sein, so verzichte Auf kindlich blödes Wesen. Entschließ dich, deine himmlischen Gedichte Den Leuten vorzulesen. Die Welt ist höflich und gesellig, Und eh man dich beleidigt, Sagt wohl ein jeder leicht, was die gefällig, Denn keiner ist beeidigt. |
Frank Schulz:
Nikolaus
Am 6.12. pinkelt dreist Der Nikolaus dir in den Schuh Drum schnür‘ ihn lieber feste zu Bevor er dir zudem reinscheißt |
Wilhelm Busch:
Unverbesserlich
Wer Bildung hat, der ist empört, Wenn er so schrecklich fluchen hört. Dies „Nasowolltich“, dies „Parblö“, Dies ewige „Ojemine“, Dies Eipotztausendnocheinmal“, Ist das nicht eine Ohrenqual? Und gar „Dasdichdasmäusleinbeiß“, Da wird mir´s immer kalt und heiß. Wie oft wohl sag ich: Es ist häßlich, Ist unanständig, roh und gräßlich. Ich bitt und flehe: Laßt es sein, Denn es ist sündlich. Aber nein, Vergebens ring ich meine Hände, Die Flucherei nimmt doch kein Ende. |
Wilhelm Busch:
Individualität
Es ist mal so, daß ich so bin. Weiß selber nicht warum. Hier ist die Schenke. Ich bin drin Und denke mir: Dideldum! Daß das so ist, das tut mir leid. Mein Individuum Hat aber mal die Eigenheit, Drum denk ich mir: Dideldum! Und schaut die Jungfer Kellnerin Sich auch nach mir nicht um; Ich weiß ja doch, wie schön ich bin, Und denke mir: Dideldum! Und säße einer da abseit Mit Knurren und Gebrumm Und meint, ich wäre nicht gescheit, So denk ich mir: Dideldum! Doch kommt mir wer daher und spricht, Ich wäre gar nicht frumm Und hätte keine Tugend nicht, Das nehm ich krumm. – Dideldum! |
Christian Morgenstern:
Die Beichte des Wurms
Es lebt in einer Muschel ein Wurm gar seltner Art; der hat mir mit Getuschel sein Herze offenbart. Sein armes, kleines Herze, hei, wie das flog und schlug! Ihr denket wohl, ich scherze? Ach, denket nicht so klug. Es lebt in einer Muschel ein Wurm gar seltner Art; der hat mir mit Getuschel sein Herze offenbart. |
Joachim Ringelnatz:
Stille Winterstraße
Es heben sich vernebelt braun Die Berge aus dem klaren Weiß, Und aus dem Weiß ragt braun ein Zaun, Steh eine Stange wie ein Steiß. Ein Rabe fliegt, so schwarz und scharf, Wie ihn kein Maler malen darf, Wenn er´s nicht etwa kann. Ich stapfe einsam durch den Schnee. Vielleicht steht links im Busch ein Reh Und denkt: Dort geht ein Mann. |
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