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the grip 25.08.2015 19:06

Theodor Fontane:
 
Mittag

Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur;
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.

Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als strömt' ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.

the grip 27.08.2015 13:15

Kurt Tucholsky:
 
Kleines Gespräch
mit unerwartetem Ausgang

Der Herrgott saß auf Wolkenkissen
und sah sich seine Erde an.
Was braust herauf? Sieh da, das is’n
Aeroplan.

Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd.
„Gestatten! Schwaben Nummer Vier!“
– und die Propeller surren fächelnd –
„Wir sind nu hier! –

Was sagen Sie zu unserm Siege?
Wir brachen spielend den Rekord.
Wozu? Wir brauchen das zum Kriege …“
„Zum Krieg? Zum Mord!“

„Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich …“
„Und wer gab euch das viele Geld – ?“
„Das Volk! Das Volk war es hauptsächlich
vom Rhein zum Belt.“

„Das Volk? Hat es so krumme Nacken?
Ist denn bei euch das Volk so dumm?“
Hier lachte Gott aus vollen Backen.
Man kippte um.

the grip 31.08.2015 12:17

Hans Magnus Enzensberger
 
Fetisch

Immer nur
an diesen Flaum
denkt er nachts
kleiner
als eine Hand
und weiter
denkt er
an nichts
Nichts anderes
ist da
als dieses Büschel
das nicht da ist
Er stellt es sich
dunkel vor
dieses Gewölle
wie es sich bauscht
hell
Er hört förmlich
wie es knistert
unter dem Druck
der Hand
Er sieht
wie es sich kräuselt
im Licht
blond schwarz
wie es glitzert
wahnsinnig
weich und widerspenstig
und nicht weiter
nennenswert

the grip 01.09.2015 10:18

Joachim Ringelnatz:
 
Alter Mann spricht junges Mädchen an

Guten Tag! – Wie du dich bemühst,
Keine Antwort auszusprechen.
»Guten Tag« in die Luft gegrüßt,
Ist das wohl ein Sittlichkeitsverbrechen?
Jage mich nicht fort.
Ich will dich nicht verjagen.
Nun werde ich jedes weitere Wort
Zu meinem Spazierstock sagen:

Sprich mich nicht an und sieh mich nicht,
Du Schlankes.
Ich hatte auch einmal ein so blankes,
Junges Gesicht.
Wie viele hatten,
Was du noch hast.
Schenke mir nur deinen Schatten
Für eine kurze Rast.

the grip 03.09.2015 12:53

Heinrich Heine:
 
Das goldene Kalb

Doppelflöten, Hörner, Geigen
Spielen auf zum Götzenreigen,
Und es tanzen Jakobs Töchter
Um das goldne Kalb herum –
Brum – brum – brum –
Paukenschläge und Gelächter!

Hochgeschürzt bis zu den Lenden
Und sich fassend an den Händen,
Jungfraun edelster Geschlechter
Kreisen wie ein Wirbelwind
Um das Rind –
Paukenschläge und Gelächter!

Aron selbst wird fortgezogen
Von des Tanzes Wahnsinnwogen,
Und er selbst, der Glaubenswächter,
Tanzt im Hohenpriesterrock,
Wie ein Bock –
Paukenschläge und Gelächter!

the grip 07.09.2015 10:12

E.T.A. Hoffmann:
 
Liebe schwärmt auf allen Wegen,
Freundschaft bleibt für sich allein,
Liebe kommt uns rasch entgegen,
Aufgesucht will Freundschaft sein.

Schmachtend wehe, bange Klagen
Hör‘ ich überall ertönen,
Ob den Sinn zum Schmerz gewöhnen,
Ob zur Lust, ich kann’s nicht sagen,
Möchte oft mich selber fragen,
Ob ich träume, ob ich wache.
Diesem Fühlen, diesem Regen,
Leih ihm, Herz, die rechte Sprache;
Ja, im Keller, auf dem Dache,
Liebe schwärmt auf allen Wegen!

Doch es heilen alle Wunden,
Die der Liebesschmerz geschlagen,
Und in einsam stillen Tagen
Mag, von aller Qual entbunden,
Geist und Herz wohl bald gesunden;
Art’ger Kätzchen los Gehudel,
Darf es auf die Dauer sein?
Nein! – fort aus dem bösen Strudel,
Unterm Ofen mit dem Pudel,
Freundschaft bleibt für sich allein.

the grip 08.09.2015 11:28

Gustav Falke:
 
Strandidyll

Auf dem Rücken im warmen Sand
Nie ein schöneres Lager ich fand.
Murmelnde, kichernde Wellen zu Füßen,
Oben im Wind ein Lispeln und Grüßen
Schwankender Halme und leises Gesumm
Sammelnder Bienen, sonst Stille ringsum.
Ja, ringsum!
Nur selten, bald ferne, bald nahebei
Ein Möwenschrei.

Durch das halbgeöffnete Lid
Blinzelt das Auge hinüber zum Ried.
Blendendes, zitterndes Sonnengegleiße;
Schmetterlingsspiele. Blaue und weiße
Kinder der Stunde. Nun löst aus der Schar
Sich ein bläulich geflügeltes Paar,
Liebespaar!
Das schaukelt und gaukelt und flügelt und giebt
Sich sehr verliebt.

Plötzlich, ei fällt denn der Himmel ein?
Weitet sich, breitet sich bläulicher Schein.
Läßt sich das zärtliche Pärchen nieder
Frech mir gerad' auf die Augenlider?
Aber schon merk' ich's am salzigen Geruch,
Und schon fühl' ich's am derben Tuch,
Schürzentuch,
Und hör es am Lachen, die Grete, die Katz,
Beschlich ihren Schatz.

Seit an Seit und Hand in Hand,
Schäferstündchen am stillen Strand.
Schmeichelnder Wind und schäkernde Wellen;
Faltergeschwirr im zitternden, hellen
Sonnengeflirr überm Dünenhang;
Irgendwoher ein verwehter Klang,
Glockenklang,
Und Hundegebell und das klägliche Muh
Einer einsamen Kuh.

the grip 10.09.2015 13:43

Rainer Maria Rilke:
 
Spaziergang

Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an –

und wandelt uns, auch wenn wirs nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen ...
Wir aber spüren nur den Gegenwind.


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