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Theodor Fontane:
Mittag
Am Waldessaume träumt die Föhre, Am Himmel weiße Wölkchen nur; Es ist so still, daß ich sie höre, Die tiefe Stille der Natur. Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen, Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach, Und doch, es klingt, als strömt' ein Regen Leis tönend auf das Blätterdach. |
Kurt Tucholsky:
Kleines Gespräch
mit unerwartetem Ausgang Der Herrgott saß auf Wolkenkissen und sah sich seine Erde an. Was braust herauf? Sieh da, das is’n Aeroplan. Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd. „Gestatten! Schwaben Nummer Vier!“ – und die Propeller surren fächelnd – „Wir sind nu hier! – Was sagen Sie zu unserm Siege? Wir brachen spielend den Rekord. Wozu? Wir brauchen das zum Kriege …“ „Zum Krieg? Zum Mord!“ „Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich …“ „Und wer gab euch das viele Geld – ?“ „Das Volk! Das Volk war es hauptsächlich vom Rhein zum Belt.“ „Das Volk? Hat es so krumme Nacken? Ist denn bei euch das Volk so dumm?“ Hier lachte Gott aus vollen Backen. Man kippte um. |
Hans Magnus Enzensberger
Fetisch
Immer nur an diesen Flaum denkt er nachts kleiner als eine Hand und weiter denkt er an nichts Nichts anderes ist da als dieses Büschel das nicht da ist Er stellt es sich dunkel vor dieses Gewölle wie es sich bauscht hell Er hört förmlich wie es knistert unter dem Druck der Hand Er sieht wie es sich kräuselt im Licht blond schwarz wie es glitzert wahnsinnig weich und widerspenstig und nicht weiter nennenswert |
Joachim Ringelnatz:
Alter Mann spricht junges Mädchen an
Guten Tag! – Wie du dich bemühst, Keine Antwort auszusprechen. »Guten Tag« in die Luft gegrüßt, Ist das wohl ein Sittlichkeitsverbrechen? Jage mich nicht fort. Ich will dich nicht verjagen. Nun werde ich jedes weitere Wort Zu meinem Spazierstock sagen: Sprich mich nicht an und sieh mich nicht, Du Schlankes. Ich hatte auch einmal ein so blankes, Junges Gesicht. Wie viele hatten, Was du noch hast. Schenke mir nur deinen Schatten Für eine kurze Rast. |
Heinrich Heine:
Das goldene Kalb
Doppelflöten, Hörner, Geigen Spielen auf zum Götzenreigen, Und es tanzen Jakobs Töchter Um das goldne Kalb herum – Brum – brum – brum – Paukenschläge und Gelächter! Hochgeschürzt bis zu den Lenden Und sich fassend an den Händen, Jungfraun edelster Geschlechter Kreisen wie ein Wirbelwind Um das Rind – Paukenschläge und Gelächter! Aron selbst wird fortgezogen Von des Tanzes Wahnsinnwogen, Und er selbst, der Glaubenswächter, Tanzt im Hohenpriesterrock, Wie ein Bock – Paukenschläge und Gelächter! |
E.T.A. Hoffmann:
Liebe schwärmt auf allen Wegen,
Freundschaft bleibt für sich allein, Liebe kommt uns rasch entgegen, Aufgesucht will Freundschaft sein. Schmachtend wehe, bange Klagen Hör‘ ich überall ertönen, Ob den Sinn zum Schmerz gewöhnen, Ob zur Lust, ich kann’s nicht sagen, Möchte oft mich selber fragen, Ob ich träume, ob ich wache. Diesem Fühlen, diesem Regen, Leih ihm, Herz, die rechte Sprache; Ja, im Keller, auf dem Dache, Liebe schwärmt auf allen Wegen! Doch es heilen alle Wunden, Die der Liebesschmerz geschlagen, Und in einsam stillen Tagen Mag, von aller Qual entbunden, Geist und Herz wohl bald gesunden; Art’ger Kätzchen los Gehudel, Darf es auf die Dauer sein? Nein! – fort aus dem bösen Strudel, Unterm Ofen mit dem Pudel, Freundschaft bleibt für sich allein. |
Gustav Falke:
Strandidyll
Auf dem Rücken im warmen Sand Nie ein schöneres Lager ich fand. Murmelnde, kichernde Wellen zu Füßen, Oben im Wind ein Lispeln und Grüßen Schwankender Halme und leises Gesumm Sammelnder Bienen, sonst Stille ringsum. Ja, ringsum! Nur selten, bald ferne, bald nahebei Ein Möwenschrei. Durch das halbgeöffnete Lid Blinzelt das Auge hinüber zum Ried. Blendendes, zitterndes Sonnengegleiße; Schmetterlingsspiele. Blaue und weiße Kinder der Stunde. Nun löst aus der Schar Sich ein bläulich geflügeltes Paar, Liebespaar! Das schaukelt und gaukelt und flügelt und giebt Sich sehr verliebt. Plötzlich, ei fällt denn der Himmel ein? Weitet sich, breitet sich bläulicher Schein. Läßt sich das zärtliche Pärchen nieder Frech mir gerad' auf die Augenlider? Aber schon merk' ich's am salzigen Geruch, Und schon fühl' ich's am derben Tuch, Schürzentuch, Und hör es am Lachen, die Grete, die Katz, Beschlich ihren Schatz. Seit an Seit und Hand in Hand, Schäferstündchen am stillen Strand. Schmeichelnder Wind und schäkernde Wellen; Faltergeschwirr im zitternden, hellen Sonnengeflirr überm Dünenhang; Irgendwoher ein verwehter Klang, Glockenklang, Und Hundegebell und das klägliche Muh Einer einsamen Kuh. |
Rainer Maria Rilke:
Spaziergang
Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten, dem Wege, den ich kaum begann, voran. So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten, voller Erscheinung, aus der Ferne an – und wandelt uns, auch wenn wirs nicht erreichen, in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind; ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen ... Wir aber spüren nur den Gegenwind. |
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