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MattF 27.04.2017 11:13

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1302174)
Und wenn es so wäre? Wie würdest Du damit umgehen? Sozial unerwünschte (wer auch immer das festlegt?!?) Gedanken verbieten und eine Gedankenpolizei losschicken?

Genau so ist es.

Sanktionierbar ist , wenn aus diesem Verhalten z.b. Straftaten entstehen. Dass z.b. Mitglieder eine Gemeinschaft missbraucht werden oder dass aus einer Sympathie mit dem IS Straftaten entstehen.

Allein das extremistische Denken ist kaum sanktionierbar oder wir sind in der Türkei, wo tausende ihren Job verlieren, weil sie (angeblich, wir wird das eigentlich nachgewiesen, gibt es Mitgliedsausweise) mit einem Prediger (Gülen) sympathisieren.

MfG
Matthias

keko# 27.04.2017 11:15

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302169)

Ich frage mich generell, ob ein privater geistiger Rückzugsraum, der sich jeglicher kritischen Hinterfragung entziehen darf, nicht der Boden sein kann für ein kritikfreies Denken auch in anderen Bereichen und insbesondere im sozialen Leben.

Im Umkehrschluß darf es überhaupt keinen privaten Rückzugsraum mehr geben, weil der Auslöser für irgendwas Schlimmes sein könnte? :(

keko# 27.04.2017 11:24

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302109)
Problematisch finde ich deshalb Weltanschauungen, zu deren Kern die Überzeugung der eigenen Überlegenheit gehört. Und insofern finde ich die Jahwe-Weltanschauungen (Auserwähltes Volk) problematisch.

Welches Mitglied der westlichen Welt denkt denn nicht, dass die westliche Lebensweise und deren Errungenschaften allen anderen überlegen sei?

waden 27.04.2017 11:45

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1302174)
Und wenn es so wäre? Wie würdest Du damit umgehen? Sozial unerwünschte (wer auch immer das festlegt?!?) Gedanken verbieten und eine Gedankenpolizei losschicken?

Ich geh damit so um: ich stelle kritische Fragen zu dogmatischem Denken.
Eine Gedankenpolizei spielt dabei keine Rolle.
Wir alle haben intellektuelle und emotionale Schwächen. Die Frage ist, was die zugrunde liegenden Dogmen mit unserer Denkweise anstellen.

waden 27.04.2017 11:46

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302177)
Im Umkehrschluß darf es überhaupt keinen privaten Rückzugsraum mehr geben, weil der Auslöser für irgendwas Schlimmes sein könnte? :(

Nein, diesen Umkehrschluss halte ich für unzulässig. Er ergibt sich nicht aus dem von mir Geschriebenen.

waden 27.04.2017 11:48

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302179)
Welches Mitglied der westlichen Welt denkt denn nicht, dass die westliche Lebensweise und deren Errungenschaften allen anderen überlegen sei?

Das ist mir so zu undifferenziert. Wenn es um Werte wie die Unveräußerlichkeit der Menschenwürde geht oder der geschlechtlichen Gleichberechtigung, bin ich dafür zu sagen, dass dies eine überlegene Weltanschauung ist. Möchtest Du beispielsweise diese Werte relativieren?

MattF 27.04.2017 12:07

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302180)
Ich geh damit so um: ich stelle kritische Fragen zu dogmatischem Denken.


Ich denke mal das steht ausser Frage, dass wir das tun. Darüber muss man nicht diskutieren.

An Mitglieder der "12 Stämme" aber z.b. kommt man schlecht ran.


Und wenn Jörn schreibt:

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302019)
  • Wenn Volker Kauder
  • Wenn Papst Franz sagt,
  • Wenn Papst Benedikt


Hr. Kauder würde ich nie wählen und im Verein des Pabstes bin ich auch kein Mitglied. Also ist auch hier (ausser der Diskussion) mein Einfluss gering. :(

keko# 27.04.2017 12:11

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302185)
Das ist mir so zu undifferenziert. Wenn es um Werte wie die Unveräußerlichkeit der Menschenwürde geht oder der geschlechtlichen Gleichberechtigung, bin ich dafür zu sagen, dass dies eine überlegene Weltanschauung ist. Möchtest Du beispielsweise diese Werte relativieren?

Naja, jetzt hast du mal eben zwei Perlen herausgepickt. Das ist mir auch zu undifferenziert.

qbz 27.04.2017 12:31

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302169)
Das ist auch meine Meinung.

Wenn jemand privat etwas glaubt, was diskriminierend ist - inwieweit kann ein soziales Leben führen, ohne dass sein diskriminierende Denken Wirkungen nach außen zeigt? Nach den Regeln unserer Gesellschaft kann er denken, was er will, solange er sich im Zusammenleben an die Regeln hält.
...........
Ich frage mich generell, ob ein privater geistiger Rückzugsraum, der sich jeglicher kritischen Hinterfragung entziehen darf, nicht der Boden sein kann für ein kritikfreies Denken auch in anderen Bereichen und insbesondere im sozialen Leben.

Letztlich betrachtet man heute jede Form von Verhalten mit anderen, auch "Schweigen", als Form einer interaktiven Kommunikation (Watzlawick). Insofern existieren reine Rückzugsräume gerade vielleicht noch für eine "geschützte" Gruppe von Ureinwohnern im Amazonas Urwald, ansonsten nicht, IMHO.

Die individuell(privat)-bestimmten religiösen Vorstellungen der Neuzeit entstehen als Folge der Individualisierung, d.h. wachsender Selbstbestimmung, z.B. in der Auseinandersetzung mit dem Kirchenkanon, der dadurch wiederum sich verändert, anpasst. Je mehr sich der Kirchenkanon von den neuzeitlichen Lebensgrundlagen entfernt, desto grösser der Unterschied zwischen Privat-Glaube und Kanon.

Typisch dafür die islamischen Gottes-/Monarchiestaaten, wo der Gegensatz zwischen der Lehre der Religionswächter, welche die öffentliche Alltagskultur normieren, und der privaten Familien-und Hinterzimmer-Kultur, die auch neuzeitlich ausgerichtet sein kann, immer grösser wird.

Progressive Änderungen sozaler und kultureller Normen entstehen in meinen Augen unter anderem gerade dadurch, dass Gruppen von Menschen zuerst in "privaten" Räumen andere Regeln leben, z.B. Schwule gegen den § 175 handelten. (Oder in der Politik: Burschenschaften um 1848).

Umgekehrt zu den progressiven Änderungsformen entstehen natürlich auch reaktionäre Räume, welche die Progression behindern, wo halt rückwärtsgewandte Menschen noch ihre Werte leben. Anders ist Entwicklung kaum vorstellbar. Mein Ideal-Ziel: friedliche Konfliktlösungen.

captainbeefheart 27.04.2017 12:44

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1302190)

Änderungen sozaler und kultureller Normen entstehen in meinen Augen unter anderem gerade dadurch, dass Gruppen von Menschen zuerst in "privaten" Räumen andere Regeln leben, z.B. Schwule gegen den § 175 handelten. (Oder in der Politik: Burschenschaften um 1848)

Da stimme ich zu, Danke qbz für gute Zusammenfassung.

Ich würde noch ergänzen, dass systemtheoretisch betrachtet, Systeme semi-stabil sind. D.h., dass Normen und Regeln recht stabil und lange in Systemen gelten und von diesen prinzipiell reproduziert werden. Durch permanenten "Beschuss" der geltenden Normen und Regeln von außerhalb (andere Systeme) bzw. innerhalb (Subsysteme) des Systems ändern sich dann Normen und Regeln oberflächlich betrachtet scheinbar "plötzlich". Ursächlich ist das aber z.B. in den "privaten Räumen" (=Subsystem) schon länger angelegt und vorbereitet.

waden 27.04.2017 13:57

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1302190)
Letztlich ... .

danke, sehr interessante Sicht

waden 27.04.2017 14:15

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302188)
Naja, jetzt hast du mal eben zwei Perlen herausgepickt. Das ist mir auch zu undifferenziert.

Es war meine Antwort auf Deine Frage "Welches Mitglied der westlichen Welt denkt denn nicht, dass die westliche Lebensweise und deren Errungenschaften allen anderen überlegen sei?"

Ich halte das Hinterfragen der westlichen Lebensformen durchaus für angebracht. Andererseits sind einige „unserer“ Werte so hoch anzusiedeln, dass Du auch Du sie wohl kaum mit einer alles relativierenden Weltsicht infrage stellen würdest. Das will ich mit den zwei „Perlen“ verdeutlichen.

Jörn 27.04.2017 14:53

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1302165)
Es hat dem Volk der Juden aber auch jahrtausende lang das Überleben in der Diaspora gesichert.

Das ist historisch falsch. Der Glaube der Juden an die Übermacht ihres Gottes hat nichts daran geändert, dass Israel andauernd von irgendwelchen Mächten überfallen wurde. Die Darstellung der Bibel vom siegreichen (oder geeinten) jüdischen Volk ist falsch.

Der Jahwe-Kult hat sich sogar während der Besetzung Israels durch die Babylonier geformt, als die gesellschaftliche Elite Israels gezwungen wurde, Israel zu verlassen. In diesem Exil hat sich eine kleine (und von den Feinden besiegte) religiöse Minderheit radikalisiert. Als sie später nach Israel zurückkehren konnte, haben sie dort den Monotheismus und den Jahwe-Kult durchgesetzt.

Die Diskrepanz von Israels Machtlosigkeit einerseits und der angeblichen Allmächtigkeit Jahwes andererseits hat dazu geführt, dass manche Bibelstellen sogar behaupten, Jahwe selbst hätte sich gegen das eigene Volk gewandt. Nur so konnte man die dauernde Besetzung durch die Feinde und die damit verbundenen Zerstörungen ihrer Kultstätten erklären.

Zu keiner Zeit war der Jahwe-Kult in Israel ein "Erfolgsmodell". Sondern es war eine praktisch ununterbrochene Folge des Scheiterns.

keko# 27.04.2017 15:27

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302209)
Ich halte das Hinterfragen der westlichen Lebensformen durchaus für angebracht. Andererseits sind einige „unserer“ Werte so hoch anzusiedeln, dass Du auch Du sie wohl kaum mit einer alles relativieren Weltsicht infrage stellen würdest. Das will ich mit den zwei „Perlen“ verdeutlichen.

Man sieht ja bei der aktuellen Flüchtlingsproblematik wie es um die westlichen Werte bestellt ist. Müssen wir was abgeben, ist sehr sehr schnell vorbei mit den tollen Werten und Flüchtlingsheime brennen. Und dass wir auf Kosten andere leben (Menschen, Ressourcen) ist längst bekannt. Ökologisch sauber mit dem Fahrrad ins Büro fahren, dann aber mal eben nach Malle fliegen, billige Handys kaufen und billiges Essen dazu. Ich muss schon sehr genau hinschauen, um eine westliche Perle zu finden. Ist aber ein anderes Thema... ;)

Jörn 27.04.2017 15:32

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302177)
Im Umkehrschluß darf es überhaupt keinen privaten Rückzugsraum mehr geben, weil der Auslöser für irgendwas Schlimmes sein könnte? :(

Wo gibt es einen privaten Rückzugsraum für die These, dass die Umsatzsteuer nicht mehr als 12 Prozent betragen sollte?

Jeder kann dazu seine eigene Meinung haben; dennoch steht es allen anderen frei, sich ebenfalls dazu zu äußern.

Wem solche Äußerungen absolut unerträglich sind, der kann an diesen Debatten nicht teilnehmen und könnte vielleicht in einer einsamen Hütte im Wald leben, wo er andere Menschen nicht ertragen muss. Falls er jedoch elektrischen Strom und Kabelfernsehen bevorzugt, muss er sich wohl mit der Existenz anderer Menschen und derer Meinungen arrangieren.

Ist die Gleichstellung von Frauen eine staatliche oder religiöse Angelegenheit? Man kann nicht einerseits zulassen, dass Gesetze und Normen dazu debattiert werden; und andererseits fordern, dass diese Debatten zu unterlassen seien, sobald jemand religiös ist.

Unser Staat ist säkular. Dadurch ist klipp und klar entschieden, ob die Gleichstellung der Frauen oder die "Homo-Ehe" eine religiöse oder eine weltliche Debatte ist. Es ist eine weltliche Debatte. Ohne Wenn und Aber. Dadurch sind Überlegungen obsolet, ob die gleichen Themen vielleicht in einem religiösen Kontext anderes behandelt werden könnten. Denn es gibt nur den weltlichen Kontext.

Der Schutz der Religion durch den Staat (oder einem religiösen Rückzugsraum) meint etwas ganz anderes. Es meint den Schutz religiöser Inhalte, die mit weltlichen Inhalten nicht konkurrieren. Etwa Fragen rund um den "Heiligen Geist"; aber nicht Fragen um die Gleichstellung der Frauen.

trithos 27.04.2017 16:05

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302169)
Ich frage mich: kann man privat in den dogmatischen Schemata der jeweiligen Kirche denken, ohne dass dies eine Auswirkung auf das Verhalten im Alltag hat?
...
Ich frage mich generell, ob ein privater geistiger Rückzugsraum, der sich jeglicher kritischen Hinterfragung entziehen darf, nicht der Boden sein kann für ein kritikfreies Denken auch in anderen Bereichen und insbesondere im sozialen Leben.

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302223)
Jeder kann dazu seine eigene Meinung haben; dennoch steht es allen anderen frei, sich ebenfalls dazu zu äußern.

Wem solche Äußerungen absolut unerträglich sind, der kann an diesen Debatten nicht teilnehmen und könnte vielleicht in einer einsamen Hütte im Wald leben, wo er andere Menschen nicht ertragen muss. Falls er jedoch elektrischen Strom und Kabelfernsehen bevorzugt, muss er sich wohl mit der Existenz anderer Menschen und derer Meinungen arrangieren.

Diese Kritik halte ich für eine Themenverfehlung.

Ausgangspunkt dieser Teildiskussion war doch ein Posting von waden. Ich habe waden so verstanden, dass er sich (siehe Zitat) mit der Frage beschäftigt, ob nicht schon bestimmte Gedanken "böse" sein können. Das finde ich aber prinzipiell bedenklich: Gedankenfreiheit ist ein hohes Gut und gilt nicht nur für religiöse Menschen, sondern natürlich auch für alle anderen!

Damit haben Äußerungen, Diskussionen und Handlungen nur bedingt zu tun. Natürlich darf man alles kritisieren und man kann als Gesellschaft Äußerungen (in bestimmtem Rahmen) und Handlungen verbieten. Aber man darf meiner Ansicht nach niemandem verbieten, irgendetwas zu denken. Ganz abgesehen von der von mir eh schon kurz angeschnittenen (und natürlich polemischen) Frage, wer denn das Verbot gewisser Gedanken überwachen soll und welche Strafen wir dafür vorsehen sollten?

waden 27.04.2017 16:20

Zitat:

Zitat von trithos (Beitrag 1302233)
Ausgangspunkt dieser Teildiskussion war doch ein Posting von waden. Ich habe waden so verstanden, dass er sich (siehe Zitat) mit der Frage beschäftigt, ob nicht schon bestimmte Gedanken "böse" sein können. Das finde ich aber prinzipiell bedenklich: Gedankenfreiheit ist ein hohes Gut und gilt nicht nur für religiöse Menschen, sondern natürlich auch für alle anderen!

Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Mir geht es nicht um die Bewertung, ob bestimmte Gedanken gut oder böse sind bzw. ob bestimmte Gedanken „böse“ sein können.

Böse Gedanken darf jeder haben. Etwas anderes zu fordern, wäre sowohl sinnlos und wohl gegen die menschliche Natur. (ich kann mich lediglich an den Religionsunterricht meiner Kindheit erinnern, als es bereits als Sünde galt, unkeusche Gedanken zu haben. Diese hätte ich dann beichten sollen).

Die Grenze zwischen Gut und Böse läuft auch nicht zwischen diesen Menschen hier und jenen Menschen dort, sondern verläuft in jedem einzelnen Individuum.

Meine Überlegungen haben also nichts damit zu tun, dass ich Gedanken verbieten will, sondern zielen in eine andere Richtung. Mir geht es um Denkstrukturen: lerne ich, Dinge unhinterfragt zu glauben, weil sie mir so gesagt werden? Wir alle haben als Kinder so gelebt, als unsere Eltern uns gesagt haben: „Fass nicht auf den Herd, sonst verbrennt Dir die Hand, spring nicht aus dem Fenster, sonst verletzt Du Dich tödlich“. Mit der Zeit können wir kritisches Denken erlernen und autoritäre Anweisungen hinterfragen.

waden 27.04.2017 16:31

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302222)
Man sieht ja bei der aktuellen Flüchtlingsproblematik wie es um die westlichen Werte bestellt ist. Müssen wir was abgeben, ist sehr sehr schnell vorbei mit den tollen Werten und Flüchtlingsheime brennen. Und dass wir auf Kosten andere leben (Menschen, Ressourcen) ist längst bekannt. Ökologisch sauber mit dem Fahrrad ins Büro fahren, dann aber mal eben nach Malle fliegen, billige Handys kaufen und billiges Essen dazu. Ich muss schon sehr genau hinschauen, um eine westliche Perle zu finden. Ist aber ein anderes Thema... ;)

All dem will ich natürlich nicht widersprechen. Mit dieser Zivilisationskritik hast Du recht und da ließe sich sicherlich noch manches hinzufügen.

Das ändert aber nichts an den Werten, die bei uns dennoch hochgehalten werden. Die Menschenrechte z.B. scheinen Dir zu hoch gegriffen zu sein. Ich halte das für sehr wichtig. Wenn man sieht, in wie vielen Gesellschaften auf der Erde diese nicht gelten, wundere ich mich, für wie selbstverständlich sie hier bei uns häufig genommen werden.

Immerhin gilt bei uns der Wunsch nach demokratischer Optimierung. sorry für ein bisschen off topic, aber es interessiert mich: fällt Dir z.B. ein Ort/Volk/Gesellschaft/Land ein, das die Gesellschaft besser organisiert hat?

trithos 27.04.2017 16:31

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302235)
Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Mir geht es nicht um die Bewertung, ob bestimmte Gedanken gut oder böse sind bzw. ob bestimmte Gedanken „böse“ sein können.

Böse Gedanken darf jeder haben. Etwas anderes zu fordern, wäre sowohl sinnlos und wohl gegen die menschliche Natur. (ich kann mich lediglich an den Religionsunterricht meiner Kindheit erinnern, als es bereits als Sünde galt, unkeusche Gedanken zu haben. Diese hätte ich dann beichten sollen).

Die Grenze zwischen Gut und Böse läuft auch nicht zwischen diesen Menschen hier und jenen Menschen dort, sondern verläuft in jedem einzelnen Individuum.

Meine Überlegungen haben also nichts damit zu tun, dass ich Gedanken verbieten will, sondern zielen in eine andere Richtung. Mir geht es um Denkstrukturen: lerne ich, Dinge unhinterfragt zu glauben, weil sie mir so gesagt werden? Wir alle haben als Kinder so gelebt, als unsere Eltern uns gesagt haben: „Fass nicht auf den Herd, sonst verbrennt Dir die Hand, spring nicht aus dem Fenster, sonst verletzt Du Dich tödlich“. Mit der Zeit können wir kritisches Denken erlernen und autoritäre Anweisungen hinterfragen.

Damit bin ich einverstanden. Vor allem Dein Beispiel mit dem Religionsunterricht kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir stellt es immer die Haare auf, wenn Gedanken als Sünde deklariert werden - wie ja auch z.B. im katholischen Schuldbekenntnis.

Und das, obwohl ich schon finde, dass Gedanken etwas bewirken und in vielen Situationen eine große Rolle spielen. Das kennen wir ja auch alle z.B. vom mentalen Training. Aber der einzige, der meine Gedanken tatsächlich "kontrollieren" darf, bin ich selbst!

captainbeefheart 27.04.2017 16:33

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302235)
Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Mir geht es nicht um die Bewertung, ob bestimmte Gedanken gut oder böse sind bzw. ob bestimmte Gedanken „böse“ sein können.

Böse Gedanken darf jeder haben. Etwas anderes zu fordern, wäre sowohl sinnlos und wohl gegen die menschliche Natur. (ich kann mich lediglich an den Religionsunterricht meiner Kindheit erinnern, als es bereits als Sünde galt, unkeusche Gedanken zu haben. Diese hätte ich dann beichten sollen).

Die Grenze zwischen Gut und Böse läuft auch nicht zwischen diesen Menschen hier und jenen Menschen dort, sondern verläuft in jedem einzelnen Individuum.

... und vor allem ist die Kategorisierung von "gut" und "böse", wie Zarathustra hier in dem Thread (wenn ich ihn richtig verstanden hab) betont hat, kontextabhängig. Was in einem System "gut" ist, muss es nicht notwendigerweise in einem anderen System sein. Und auch in demselben System kann die Bedeutung im zeitlichen Kontext variieren.

Klugschnacker 27.04.2017 18:47

Was man nicht außer Acht lassen sollte: Die "Menschenrechte" und die "Gleichheit aller Menschen" sind Fiktionen, ebenso wie die Götter, die wir hier diskutieren.

Die Menschen sind keineswegs alle gleich, sondern sehr verschieden. Wir haben lediglich die Verabredung getroffen, dass wir so handeln wollen, als wären sie alle gleich, indem wir ihnen die gleichen Rechte zugestehen. Zu früheren Zeiten gab es andere Definitionen der Menschenrechte, die ebenfalls auf Verabredungen (Festlegungen) beruhten: Man unterschied beispielsweise zwischen Sklaven und freien Menschen. Oder zwischen Sklaven, Frauen und freien Menschen. Worauf es mir ankommt ist die Feststellung, dass es sich bei diesen Wertesystemen um verabredete, von Menschen festgelegte Systeme handelt.

Ein Anwalt, der sich auf Menschenrechte spezialisiert hat, ist ein Fachmann für die Regeln, die sich innerhalb dieses fiktiven Wertesystems ergeben. Je nach Epoche und aktuell geltender Fassung der Menschenrechte kann er Auskunft über Fragen geben wie beispielsweise, ob ein Sklave Land erben, oder ob ein Bürger den Staat verklagen kann. In gleicher Weise ist ein Priester ein Fachmann für das fiktive System aus Göttern, heiligen Geistern, Engeln und so weiter. Können Jesus und Gott unterschiedlicher Meinung sein? Kann man aus der Hölle wieder herauskommen? Kann man die Taufe rückgängig machen?

Vielleicht trägt es zur Aufweichung der Fronten bei, wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir zahlreiche fiktive Systeme pflegen. Unser Geldsystem basiert auf fiktiven Werten: Ein 500-Euro Schein oder eine Aktie verliert in dem Moment seinen Wert, an dem wir gemeinsam aufhören, an ihn zu glauben. Der Wert eines Goldbarrens ist fiktiv. Nationen sind fiktive Konstrukte, ebenso wie Staatsbürgerschaften oder Ehen. Eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft sind fiktive Konstruktionen. Ob eine GmbH die Patentrechte an Pflanzen erwerben, oder ob eine Aktiengesellschaft einer Nation den Krieg erklären darf, sind Auslegungen der Regeln, mit denen wir diese abstrakten Gebilde behandeln. Sie allesamt sind aber nicht im eigentlichen Sinne real.

Wichtig scheint mir zu sein, dass solche fiktiven Systeme sich ihrer fiktiven Wurzeln bewusst sind. Die Menschenrechte sind von Menschen erdacht und deshalb verhandelbar. Das sehen wir in Grenzfällen wie zum Beispiel bei Komapatienten oder bei ungeborenem Leben. Dieses einschränkende Regulativ fehlt meiner entbehrlichen Meinung nach bei den Religionen. Sie bestreiten den fiktiven Charakter ihrer Mythologie und begreifen ihre Verabredungen als Tatsachen. Ein allmächtiger, allgütiger und allwissender Gott ist ein Mythos, ein fiktives Konstrukt, vergleichbar mit der fiktiven, nur postulierten Gleichheit aller Menschen. Man überstrapaziert diesen Mythos, wenn man ihn gegenüber den realen Fakten der tatsächlichen Welt als Tatsache behauptet. Durch dieses Missverständnis wird Sinn zu Unsinn.

waden 27.04.2017 22:16

Volle Zustimmung!

captainbeefheart 27.04.2017 22:37

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1302252)

dass wir zahlreiche fiktive Systeme pflegen

Wenn das alles "fiktive" Systeme sind, ich würde eher sagen, die meisten sind "soziale" Systeme, würde ich konkret verstehen wollen, worin genau der prinzipielle bzw. strukturelle Unterschied mit Blick auf

- Systemgrenzen
- Systemelemente
- Rückkoplungen (Interaktion / Kommunikation) zwischen den Systemelementen
- funktionale Ausdifferenzierung
- Eintritts- und Austrittsentscheidungen

zwischen den Systemen (also bspw. einer GmbH, einer Glaubensgemeinschaft und einem Sportverein) besteht?

waden 27.04.2017 22:51

@captainbeefheart
Du verwendest eine mir nicht geläufige Fachterminologie. Insofern bin ich unsicher, ob ich deine Frage überhaupt verstehe. Fast vermute ich, dass du die Antwort auf deine Frage kennst?
Wenn es dir nicht zuviel Aufwand bereitet, würde mich eine Version in einer etwas alltäglicheren Sprache interessieren

Jörn 27.04.2017 23:43

Außerdem hätte ich gerne eine Ausarbeitung über die Einflüsse auf (und die Einflüsse verursacht durch) den Feminismus unter Berücksichtigung der jeweiligen Macht- und Einflussstrukturen im Verlauf der Zeit.

LidlRacer 27.04.2017 23:47

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302272)
@captainbeefheart
Du verwendest eine mir nicht geläufige Fachterminologie. Insofern bin ich unsicher, ob ich deine Frage überhaupt verstehe. Fast vermute ich, dass du die Antwort auf deine Frage kennst?
Wenn es dir nicht zuviel Aufwand bereitet, würde mich eine Version in einer etwas alltäglicheren Sprache interessieren

Mir scheint, captainbeefheart wollte in erster Linie sagen, dass "fiktiv" keine ganz passende Bezeichnung für all das ist, was Klugschnacker aufgezählt hat.

Keine Ahnung, warum er das so kompliziert ausdrückt.

Oder er wollte was ganz anderes sagen, von dem ich keine Ahnung habe.

captainbeefheart 28.04.2017 10:42

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1302252)
...

Worauf es mir ankommt ist die Feststellung, dass es sich bei diesen Wertesystemen um verabredete, von Menschen festgelegte Systeme handelt.
...
wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir zahlreiche fiktive Systeme pflegen
...
Wichtig scheint mir zu sein, dass solche fiktiven Systeme sich ihrer fiktiven Wurzeln bewusst sind
...
wird Sinn zu Unsinn

Die von Dir beschriebenen Systeme (Glaubensgemeinschaft, GmbH) und alle weiteren Systeme (Sportverein etc.) sind soziale Systeme und prinzipiell gleich konstruiert:

Sie grenzen sich gegenüber anderen Systemen ab, die Systemelemente sind Menschen, die interagieren. Die Interaktionen sind immer Kommunikation, die konstituierend für das Entstehen und die Erhaltung des jeweiligen Systems ist. Es gibt auch jeweils Kommunikation, die den Eintritt und den Austritt aus dem System bedingen. Und: jedes System differenziert sich funktional aus.

Und hier liegt der einzige inhaltliche (nicht strukturelle) Unterschied: die Systeme bilden unterschiedliche Funktionen aus, die sich jeweils an einer prinzipiellen Unterscheidung festmachen und das System formen. Das Wirtschaftssystem entlang von Allokation/Nicht-Allokation von Ressourcen, das Rechtssystem entlang von Recht/Unrecht, das Glaubenssystem entlang von Immanenz/Transzendenz, das Wissenschaftssystem entlang von wahr/unwahr usw.

Entlang dieser Unterscheidungen bilden die Systeme Formen aus und grenzen sich gegenüber den anderen ab. Es sind dann prinzipiell geschlossene, "autopoietische" Systeme. Insofern ist die Zuweisung von Sinn und Unsinn über die Systemgrenzen hinweg nicht wirklich zielführend, weil jeweils andere Codes und Kommunikationen das System bedingen, die Sinnzuweisung also nur "aus dem System heraus" nachvollziehbar und erklärbar wird.

In meiner Wahrnehmung war das auch Teil der Argumentation von Zarathustra in der Zarathustra-Jörn-Debatte.

Klugschnacker 28.04.2017 10:51

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302235)
Meine Überlegungen haben also nichts damit zu tun, dass ich Gedanken verbieten will, sondern zielen in eine andere Richtung. Mir geht es um Denkstrukturen: lerne ich, Dinge unhinterfragt zu glauben, weil sie mir so gesagt werden? Wir alle haben als Kinder so gelebt, als unsere Eltern uns gesagt haben: „Fass nicht auf den Herd, sonst verbrennt Dir die Hand, spring nicht aus dem Fenster, sonst verletzt Du Dich tödlich“. Mit der Zeit können wir kritisches Denken erlernen und autoritäre Anweisungen hinterfragen.

Als Kinder sind wir genetisch darauf programmiert, unseren Eltern oder anderen Autoritäten zu glauben. Wir machen als Kinder normalerweise nicht mehr am eigenen Leib die Erfahrung, dass man Krokodile nicht streicheln darf oder manche rote Beeren nicht essen soll. Sondern wir erfahren es von den Erwachsenen. Weniger folgsame Kinder starben aus nachvollziehbaren Gründen aus.

Als Kinder können wir nur schwer zwischen wahren und fiktiven Geschichten unterscheiden. Dass Jesus in einem Stall zur Welt kam und später von den Toten auferstand, ist für die Religionslehrerin eine Metapher, für die Grundschüler aber eine wahre Begebenheit. Wenn die Kinder erwachsen werden, erkennen sie gelegentlich dieses Missverständnis. Dies jedoch meistens nur mit dem Verstand, nicht mit dem Herzen. Wer als Kind religiös erzogen wurde, wird nur schwer die Überzeugung wieder los, dass es "da oben" irgend etwas geben müsse. Religiöse Menschen sind fast immer die Kinder religiöser Eltern.

Ich bin einer Verfechter der Religionsfreiheit. Jeder soll glauben, was er für richtig hält und diesen Glauben auch ausleben, sofern er nicht andere Menschen beeinträchtigt. Wie steht es aber mit dem Recht der Kinder, frei von religiöser Beeinflussung, gegen die sie sich nicht wehren können, aufzuwachsen? Eltern haben zweifellos das Recht, ihren Kindern auch ihre Religion zu vermitteln. Als Gegengewicht sehe ich die Schulen in der Pflicht, den rein mythologischen Charakter der Religionen zu lehren. Der Staat würde dadurch die Rechte der Kinder vertreten, frei von ideologischer Beeinflussung aufzuwachsen.

merz 28.04.2017 11:09

@captainbeefheart: chapeau, dass es das noch gibt, echte Bielefelder

m.

captainbeefheart 28.04.2017 11:14

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1302321)
Als Kinder sind wir genetisch darauf programmiert, unseren Eltern oder anderen Autoritäten zu glauben.

Ich wüsste nicht, wo für den genetischen Code "Elternautorität anerkennen" oder allgemeiner "Autoritäten anerkennen" eine nachvollziehbare Herleitung existiert.

Womit Kinder tatsächlich geboren werden ist "Urvertrauen" und dass wir dieses gegenüber dem "next relevant other" (das müssen nicht zwingend die Eltern sein) zeigen. Auf dieser Basis kann sich dann im sozialen System "Familie" Autorität herausbilden.

Autorität ist im Kern eine soziale und dann, erst davon abgeleitet, auch eine personenbezogene Kategorie.

Wikipedia dazu: "Autorität ist im weitesten Sinne eine soziale Positionierung, die einer Institution oder Person zugeschrieben wird und bewirken kann, dass sich andere Menschen in ihrem Denken und Handeln nach ihr richten. Sie entsteht (durch Vereinbarungen oder Herrschaftsbeziehungen) in gesellschaftlichen Prozessen (Lehrer/Schüler, Vorgesetzter/Mitarbeiter) oder durch vorausgehende Erfahrungen von Charisma (nach Max Weber beruhend auf charakteristischen Charismatisierungsquellen, wie Stärke, Kompetenz, Tradition oder Offenbarung).

Autorität entsteht also in gesellschaftlichen Prozessen, genetisch ist da nix.

waden 28.04.2017 12:32

Zitat:

Zitat von merz (Beitrag 1302327)
@captainbeefheart: chapeau, dass es das noch gibt, echte Bielefelder

m.

ist damit das https://www.uni-bielefeld.de/soz/ gemeint?

@captainbeefheart: Ich habe momentan keine Zeit zu antworten, danke aber für die verständlicheren Ausführungen und die Antwort auf die selbst gestellte Frage.

Zarathustra 28.04.2017 12:50

Zitat:

Zitat von captainbeefheart (Beitrag 1302318)
... Insofern ist die Zuweisung von Sinn und Unsinn über die Systemgrenzen hinweg nicht wirklich zielführend, weil jeweils andere Codes und Kommunikationen das System bedingen, die Sinnzuweisung also nur "aus dem System heraus" nachvollziehbar und erklärbar wird.

In meiner Wahrnehmung war das auch Teil der Argumentation von Zarathustra in der Zarathustra-Jörn-Debatte.

Ja, darauf wollte ich unter anderem auch hinaus. Danke für das Weiterführen dieser Argumentationslinie!

tandem65 28.04.2017 13:51

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1302321)
Weniger folgsame Kinder starben aus nachvollziehbaren Gründen aus.

Hier ist ein aus zu viel. ;)

waden 28.04.2017 13:52

Zitat:

Zitat von captainbeefheart (Beitrag 1302318)
Die von Dir beschriebenen Systeme (Glaubensgemeinschaft, GmbH) und alle weiteren Systeme (Sportverein etc.) sind soziale Systeme und prinzipiell gleich konstruiert:

Sie grenzen sich gegenüber anderen Systemen ab, die Systemelemente sind Menschen, die interagieren. Die Interaktionen sind immer Kommunikation, die konstituierend für das Entstehen und die Erhaltung des jeweiligen Systems ist. Es gibt auch jeweils Kommunikation, die den Eintritt und den Austritt aus dem System bedingen. Und: jedes System differenziert sich funktional aus.

Und hier liegt der einzige inhaltliche (nicht strukturelle) Unterschied: die Systeme bilden unterschiedliche Funktionen aus, die sich jeweils an einer prinzipiellen Unterscheidung festmachen und das System formen. Das Wirtschaftssystem entlang von Allokation/Nicht-Allokation von Ressourcen, das Rechtssystem entlang von Recht/Unrecht, das Glaubenssystem entlang von Immanenz/Transzendenz, das Wissenschaftssystem entlang von wahr/unwahr usw.

Entlang dieser Unterscheidungen bilden die Systeme Formen aus und grenzen sich gegenüber den anderen ab. Es sind dann prinzipiell geschlossene, "autopoietische" Systeme. Insofern ist die Zuweisung von Sinn und Unsinn über die Systemgrenzen hinweg nicht wirklich zielführend, weil jeweils andere Codes und Kommunikationen das System bedingen, die Sinnzuweisung also nur "aus dem System heraus" nachvollziehbar und erklärbar wird.

In meiner Wahrnehmung war das auch Teil der Argumentation von Zarathustra in der Zarathustra-Jörn-Debatte.

Diese Beschreibungen faszinieren mich, weil sie die Sachverhalte in einen ordentlichen Zusammenhang strukturieren und auch sehr stringent erscheinen. Oft regt sich allerdings Widerspruch in mir, wenn ich Formulierungen lese wie „alle weiteren Systeme sind soziale Systeme und prinzipiell gleich…“ .

Ich will das an diesem Satz illustrieren: „es gibt auch jeweils Kommunikation, die den Eintritt und den Austritt aus dem System bedingen“. Hier besteht natürlich eine Parallelität, die alle Systeme zeigen. Aber mir erscheinen diese Beschreibung doch nicht ganz präzise.

An einem Beispiel verdeutlicht: wenn Du nun die Kommunikation vergleichst, die den Austritt aus dem System Fußballverein (Kündigung, keine Gebühren mehr bezahlen, kein Zutritt mehr zum Gelände, keine Teilnahme mehr am gemeinsamen Sport treiben) vergleichst mit der Kommunikation, die den Austritt aus dem System Islam (geht nach meiner zugegebenermaßen in diesem Bereich schwachen Kenntnis nur durch den Tod) oder den Austritt aus Scientology oder aus einem diktatorischen System begleitet, finde ich die Aussage, dass das prinzipiell, weil strukturell das Gleiche sei, weil es sich um eine Kommunikation, die den Austritt aus dem System handele, nicht sehr zutreffend.

An diesem Beispiel möchte ich meinen Zweifel zeigen, ob man mit einer Systemanalyse, so stringent sie in sich auch erscheinen mag, ganz ans Ziel gelangt.

Jörn 28.04.2017 14:41

Zitat:

Zitat von captainbeefheart (Beitrag 1302328)
Ich wüsste nicht, wo für den genetischen Code "Elternautorität anerkennen" oder allgemeiner "Autoritäten anerkennen" eine nachvollziehbare Herleitung existiert. (...) Autorität entsteht also in gesellschaftlichen Prozessen, genetisch ist da nix.

Es gibt aber genetischen Code für "Vertrauen", "Ängstlichkeit" und ähnliche Dinge, und auch für den Grad, zu dem diese Merkmale ausgeprägt werden. Man kann diese Merkmale daher auch medikamentös beeinflussen oder anhand von Hormonen messen. Bekanntes Beispiel ist die Oxitocin-Forschung.

Bei Tieren kann man es durch Züchtung (also Genetik) beeinflussen, etwa indem man aus höchst scheuen und misstrauischen Tieren langsam eine sehr vertrauensvolle und nähebedürftige Gruppe herauszüchtet. So entstand übrigens auch der heutige Schoßhund, der ursprünglich ein Wolf war.

In diesem Thread geht es um Religiosität. Es wurde eine Erklärung gesucht für den Umstand, dass früh erlernte Dinge auch in einem späteren Alter oft nicht mehr hinterfragt werden; und dafür, warum die eigene Religiosität oft mit denen der Eltern übereinstimmt.

captainbeefheart 28.04.2017 15:02

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302369)
Es gibt aber genetischen Code für "Vertrauen", ...

bereits geschrieben

Zitat:

Zitat von captainbeefheart (Beitrag 1302328)
...

Womit Kinder tatsächlich geboren werden ist "Urvertrauen" ...


Klugschnacker 28.04.2017 16:41

Zitat:

Zitat von captainbeefheart (Beitrag 1302318)
Insofern ist die Zuweisung von Sinn und Unsinn über die Systemgrenzen hinweg nicht wirklich zielführend, weil jeweils andere Codes und Kommunikationen das System bedingen, die Sinnzuweisung also nur "aus dem System heraus" nachvollziehbar und erklärbar wird.

Nein, Sinn und Unsinn lässt sich auch über Systemgrenzen hinweg beurteilen. Denn die Religion will kein in sich abgeschlossenes System sein, sondern etwas über die konkrete Welt mit all ihren Fakten und Tatsachen aussagen.

Wenn ein Bauer den Göttern seine beste Ziege opfert, in der Hoffnung auf ergiebige Regenfälle, dann mag das in dessen Glaubenssystem sinnvoll erscheinen. Er wird aber dennoch durch die Tatsachen widerlegt. Aus diesem Grund opfert niemand mehr Nutztiere für besseres Wetter. Früher war das an der Tagesordnung.

Christen bitten in Gebeten darum, Person X oder Y möge beschützt sein oder wieder gesund werden. Es betet aber kein Katholik der Welt darum, dem Opa möge sein im Krieg verlorenes Bein wieder nachwachsen. Denn offensichtlich ist es auch angesichts eines allmächtigen Gottes vollkommen sinnlos, darum zu bitten. Zwar geschehen allerorten "Wunderheilungen", jedoch niemals bei einem amputierten Menschen. Falls dennoch jemand darum bäte, könnte ich mit Fug und Recht darauf hinweisen, dass das sinnlos sei. Und zwar über Systemgrenzen hinweg.

Jörn 28.04.2017 17:03

Zumal die Ziege überhaupt nicht gläubig war.

Sozusagen eine Höllenziege.

Zarathustra 28.04.2017 18:25

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1302379)
...

Wenn ein Bauer den Göttern seine beste Ziege opfert, in der Hoffnung auf ergiebige Regenfälle, dann mag das in dessen Glaubenssystem sinnvoll erscheinen. Er wird aber dennoch durch die Tatsachen widerlegt. Aus diesem Grund opfert niemand mehr Nutztiere für besseres Wetter. Früher war das an der Tagesordnung.

...


Es ist doch eine völlig verfehlte Interpretation, anzunehmen eine symbolische Handlung, wie die des Ziegenopfers, sei aufgegeben worden, aufgrund einer Einsicht in ihre mangelnde Wirksamkeit.
Symbolische Handlungen sind zu verstehen als Ausdruck einer jeweiligen Befindlichkeit: Du nennst sie hier selbst und sprichst von Hoffnung. Bauern hoffen weiterhin gelegentlich auf Regen, drücken das aber heute vermutlich aus verschiedenen Gründen anders aus.

Wer nur Naturtatsachen und zweckrationale Fiktionen kennen will, dem bleiben weite Teile des kulturell geistigen Lebens verschlossen bzw. ein Mysterium.

Rälph 28.04.2017 18:37

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1302379)
Christen bitten in Gebeten darum, Person X oder Y möge beschützt sein oder wieder gesund werden. Es betet aber kein Katholik der Welt darum, dem Opa möge sein im Krieg verlorenes Bein wieder nachwachsen. Denn offensichtlich ist es auch angesichts eines allmächtigen Gottes vollkommen sinnlos, darum zu bitten. Zwar geschehen allerorten "Wunderheilungen", jedoch niemals bei einem amputierten Menschen.

Damit zeigst du nur, dass auch Katholiken nicht so verblendet sind, wie du es gerne darstellt, oder?


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