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Zarathustra 24.04.2017 18:27

Zitat:

Zitat von Klugschnacker (Beitrag 1301714)
...Vermutlich würden die meisten hier lieber ohne Religion leben, sofern Poseidon oder der indische Affengott Hanuman der Gott dieser Religion wäre.
...

Deiner Vermutung setze ich entgegen: Befänden sich hier wirklich Personen, die an Poseidon oder Hanuman glauben, ließen sie sich kaum durch eine Diskussion über ihre Glaubensinhalte davon abbringen.

Weit davon entfernt gegen eine solche Diskussion zu sein, denke ich nur, daß Du sehr überschätzt, was sich damit erreichen läßt.

Jörn 24.04.2017 21:46

Zitat:

Zitat von tandem65 (Beitrag 1301653)
Dass die Eigenschaften, die Dein Bruder, einem christlichen Gott zuschreibt, gar nicht so klar sind wie er das Darstellt.

Die Eigenschaften Gottes (Allmacht, Allwissen, Allgüte) sind im Christentum eindeutig und schriftlich fixiert. Du kannst das bei allen christlichen Glaubensrichtungen selber nachlesen. Den katholischen Katechismus hatte ich auf den letzten Seiten mehrfach verlinkt. Lies es doch einfach selbst nach?

Zitat:

Zitat von tandem65 (Beitrag 1301653)
Verstehen Deine Kinder auch immer das gleiche wie Du unter Güte?

Nein, und deswegen habe ich mein Beispiel mit den Insekten auch bewusst so gewählt. Denn bei diesen Tieren ist es egal, wie der Begriff der Güte verstanden wird. Denn Insekten haben überhaupt kein Konzept von Güte. Wie auch immer das Konzept von Gottes Güte aussehen mag: Es kann nicht auf Insekten angewendet werden.

Jedoch haben Insekten ein klares Schmerzempfinden, und sie versuchen auch, dem Tod zu entrinnen. Ein Insekt, welches gelähmt, aber noch lebendig, von innen aufgefressen wird, empfindet sowohl den Schmerz als auch die Todesangst und den Fluchtinstinkt (ansonsten wäre es nicht erfoderlich, es zu lähmen).

Hier haben wir also ein unwiderlegbares Beispiel dafür, dass Gott nicht allgütig sein kann, denn seine Güte wäre in Bezug auf das Insekt noch steigerungsfähig.

Übrigens hat nach christlicher Logik Gott überhaupt erst dafür gesorgt, dass Insekten Schmerz und Todesangst empfinden können. Er hat also selber die Umstände geschaffen, in denen das Leid überhaupt erst entstehen kann. Leid ist nicht zwangsläufig. Steine empfinden kein Leid. Bakterien empfinden kein Leid. Einzeller empfinden kein Leid. Gott allein hat das Leid erzeugt, niemand sonst (nach christlicher Logik). Er ist allein dafür verantwortlich.

Jörn 24.04.2017 22:09

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1301663)
Bei dir habe ich ständig das Gefühl, dass du die Kirchen komplett abschaffen und verbieten möchtest. Diese Konsequenz schreckt mich des Öfteren bei Atheisten ab.

Warum genau? Zwei Drittel der aktuell vorhandenen Menschen sind noch nie in Kontakt gekommen mit den christlichen Kirchen. Was ist nach Deiner Meinung falsch mit diesen Leuten?

Wenn man den Blick etwas erweitert und auch jene Kulturen berücksichtigt, die früher lebten: da haben wir beispielsweise die antiken Griechen, deren Philosophie dem Christentum bereits vor zweitausend Jahren überlegen war. Jeder von uns kennt ein paar Namen dieser griechischen Denker, selbst nach so langer Zeit. Hingegen kennt praktisch niemand von uns auch nur einen einzigen christlichen Denker. Das Christentum ist aus philosophischer oder ethischer Sicht völlig unbedeutend -- ein kleiner Schlenker der Geschichte, der bald völlig vergessen sein wird.

Ich würde keineswegs fordern, dass man die Kirchen abschafft, denn ich bin für Religionsfreiheit. Aber ich sehe nicht, dass die dort gelehrte krause Theologie einen nennenswerten Verlust darstellen würde. Die meisten Menschen wissen überhaupt nicht, was die christliche Theologie überhaupt sein soll.

LidlRacer 24.04.2017 22:13

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301740)
Jedoch haben Insekten ein klares Schmerzempfinden, und sie versuchen auch, dem Tod zu entrinnen. Ein Insekt, welches gelähmt, aber noch lebendig, von innen aufgefressen wird, empfindet sowohl den Schmerz als auch die Todesangst und den Fluchtinstinkt (ansonsten wäre es nicht erfoderlich, es zu lähmen).

Hier haben wir also ein unwiderlegbares Beispiel dafür, dass Gott nicht allgütig sein kann, denn seine Güte wäre in Bezug auf das Insekt noch steigerungsfähig.

Übrigens hat nach christlicher Logik Gott überhaupt erst dafür gesorgt, dass Insekten Schmerz und Todesangst empfinden können. Er hat also selber die Umstände geschaffen, in denen das Leid überhaupt erst entstehen kann

Habe Zweifel, ob Insekten hier ein sinnvolles Beispiel sind.
Hier wird jedenfalls eine andere Sichtweise vertreten:
"Aus wissenschaftlicher Sicht sei zu viel Empathie nicht angebracht, sagt auch Alexander Borst vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried. Menschen unterschieden sich viel zu sehr von Tieren, um über das Schmerzempfinden von Tieren urteilen zu können: "Ein Insekt mit einem kaputten Bein läuft genauso wie vorher, ohne das Bein sichtbar zu schonen." Auch Heuschrecken fressen einfach weiter, während sie selbst von einer Gottesanbeterin verspeist werden."
Schmerz lass nach - Wie geht's dem Wurm am Haken?

Überzeugender fand ich Dein Beispiel, wo Insektenlarven Augen menschlicher Babys zerstören (oder so ähnlich).
Wenn ich ein gütiger und allmächtiger Gott wäre, würde ich keine Insektenlarven erschaffen, die so etwas tun.

Nebenbei bemerkt wäre ich als Gott viel zu faul, um die Welt derart unnötig groß und kompliziert zu erschaffen, wie sie ist, nur um nach x Milliarden Jahren Wartezeit ein wenig Spaß daran zu haben, ein paar Menschen (und evtl. anderswo ein paar Außerirdische) dabei zu beobachten, wie sie meine Ge- und Verbote (miss-)achten etc.

Jörn 24.04.2017 22:22

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301721)
Befänden sich hier wirklich Personen, die an Poseidon oder Hanuman glauben, ließen sie sich kaum durch eine Diskussion über ihre Glaubensinhalte davon abbringen.

Aber wer glaubt noch an Poseidon? Niemand, und das beweist, dass Veränderungen möglich sind.

Steve Jobs und das iPhone wären vor einiger Zeit auf dem Scheiterhaufen gelandet, ebenso wie alle, die es gewagt hatten, durch ein Fernrohr oder ein Mikroskop zu blicken. Aber an seine Erfindung wird man sich länger erinnern als an die abwegigen Schriften von Papst Benedikt, der sich als "Seine Heiligkeit" ansprechen lässt.

Die Kirchen, die mal im Zentrum des gesellschaftlichen und geistigen Lebens standen, haben diese Position längst eingebüßt. Es ist also durchaus möglich, Veränderungen zu erwirken.

Jörn 24.04.2017 22:25

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1301747)
Habe Zweifel, ob Insekten hier ein sinnvolles Beispiel sind ...

Danke für die interessanten Infos zu Insekten. Dann nehme ich mein Beispiel in diesem Punkt zurück.

Jörn 24.04.2017 22:56

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301675)
Wie kann der Gläubige darauf reagieren?
- das Recht des Atheisten bestreiten, ihn vom Glauben abbringen zu wollen, sich ggf. im Glauben bestärkt fühlen

Ich will nicht zu pedantisch sein und nicht allzu viel aus Deiner kurzen Formulierung herauslesen.

Es wird (womöglich unabsichtlich) suggeriert, dass die Atheisten versuchen würden, jemanden vom Glauben abzubringen; und zwar deshalb, weil die Kirchen genau das Gegenteil wollen. Dass also beide Gruppen versuchen würden, den Gläubigen irgendeinen Glauben einzureden, nur mit unterschiedlichem Inhalt.

Das trifft aber nicht zu. Die Atheisten verfechten keinen "Glauben" und auch keine klar definierte Moral, Ethik oder Philosophie. Sie sagen lediglich, dass der Anspruch auf Wahrheit begründet sein muss, und dass dafür bestimmte Kriterien einzuhalten sind, die sich aus der Logik ergeben. Wenn Gott eines Tages vor uns steht und ein Rührei in ein Ei verwandelt, werden es die Atheisten nicht abstreiten.

:Blumen:

Zarathustra 24.04.2017 23:30

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301762)
... Die Atheisten verfechten keinen "Glauben" und auch keine klar definierte Moral, Ethik oder Philosophie. Sie sagen lediglich, dass der Anspruch auf Wahrheit begründet sein muss, und dass dafür bestimmte Kriterien einzuhalten sind, die sich aus der Logik ergeben. ...

Ja, ich stimme Dir zu, daß Atheisten per se keinen Glauben verfechten. (In der Realität finden einige von ihnen natürlich schnell einen weltlichen Ersatz...)

Für die Gläubigen ist ihr Anspruch begründet in der Autorität ihres Glaubens und ihrer Glaubensgemeinschaft sowie der Glaubenspraxis. Mit welchem Recht forderst Du eine weitere Rechtfertigung von ihnen?


_____


Nochmals zu den Eigenschaften Gottes:
Das Problem, daß die Eigenschaften eines Gottes für uns nicht begreifbar sind, wurde schon z.B. von Platon aufgeworfen und wird mindestens seitdem diskutiert (Stichwort: Negative Theologie). Es ist ein Irrtum anzunehmen der katholische Katechismus hätte es endgültig überwunden. (Der erfüllt eine ganz andere Funktion.)

Daß es Leid in der Welt gibt, beweist nicht, daß Gott nicht x ist, sondern nur, daß er das Leid in der Welt nicht verhindert.
Daß x etwas damit zu tun hat alles Leid auf der Welt zu verhindern, ist eine Annahme, die erst noch zu begründen wäre.

merz 24.04.2017 23:33

@Jörn: aber wenn die Entropie vor unser aller Augen plötzlich rückwärts rollen würde, würden wir doch eher beim lokalen Lehrstuhl für Physik anrufen, als den für (christliche) Theologie?

m.
(Wollte eigentlich nur sagen, daß Atheisten eine härtere weitreichende These vertreten als Agnostiker)

Jörn 25.04.2017 00:33

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301768)
Für die Gläubigen ist ihr Anspruch begründet in der Autorität ihres Glaubens und ihrer Glaubensgemeinschaft sowie der Glaubenspraxis. Mit welchem Recht forderst Du eine weitere Rechtfertigung von ihnen?

Das ist ein Zirkelschluss. Man kann die Autorität eines Glaubens nicht mit eben diesem Glauben begründen.

Beispielsweise behauptet die kath. Kirche, die Wahrheit der Verkündigung wäre absolut zuverlässig, weil Jesus dafür bürgen würde. Das ist Unsinn. Genau so kann ich die Wahrhaftigkeit von Grimms Märchen nicht damit begründen, dass im Vorwort steht, alle diese Märchen wären wahr.

Ebensowenig wird ein Richter einem Angeklagten nur deswegen glauben, weil er behauptet, er sage die Wahrheit. Auch das Vorlegen einer Schrift, die er selbst verfasst hat, mit dem Inhalt "Ich sage die Wahrheit, Amen!", wird nichts nützen.

Die christliche Religion basiert auf Zirkelschlüssen. Die Bibel sei angeblich wahr, weil in der Bibel steht, dass sie wahr ist.


Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301768)
Das Problem, daß die Eigenschaften eines Gottes für uns nicht begreifbar sind, wurde schon z.B. von Platon aufgeworfen und wird mindestens seitdem diskutiert (Stichwort: Negative Theologie). Es ist ein Irrtum anzunehmen der katholische Katechismus hätte es endgültig überwunden.

Der Katechismus behauptet, über diese Gewissheit zu verfügen. Es spielt keine Rolle, ob Platon begründet, dass es Unsinn ist. Natürlich ist es Unsinn. Die Kirchen behaupten es dennoch. Und die Gläubigen glauben es.

Der Kathechismus sagt: "Gott ist in sich unendlich vollkommen". Also nicht nur einfach vollkommen. Sondern unendlich vollkommen. Das sollte alle Unsicherheiten in der Interpretation beseitigen.

Die Argumentation, dass Gott nicht begreifbar wäre, ist eine Schein-Argumentation, weil sie einfach das gewünschte Ergebnis per Definition verkündet. Es ist wiederum ein Zirkelschluss. Wenn Gott nicht begreifbar ist, dann begreifen wir auch nicht, ob er begreifbar ist. Es ist eine unsinnige Debatte, die sich nur im Kreis dreht.

Ich lege einfach mal per Definition fest, dass ich Gott begreifen kann. Du kannst den gesamten Vatikan dagegen aufbieten, und es wird ihm nicht gelingen, das Gegenteil zu beweisen.


Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301768)
Daß es Leid in der Welt gibt, beweist nicht, daß Gott nicht x ist, sondern nur, daß er das Leid in der Welt nicht verhindert.
Daß x etwas damit zu tun hat alles Leid auf der Welt zu verhindern, ist eine Annahme, die erst noch zu begründen wäre.

Gott und seine Eigenschaften müssen nicht bewiesen werden. Sondern sie wurden von ihm selbst offenbart. Es ist unerheblich, ob wir diese Offenbarung logisch finden. Gott hat sich als "unendlich vollkommen" offenbart. Deswegen ist es die Grundlage der Debatte.

Und weil die Welt offenbar nicht vollkommen ist (das beweist die Existenz von Dieter Bohlen), kann irgendwas mit seiner Offenbarung nicht stimmen.

LidlRacer 25.04.2017 00:40

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1300674)
So ein Ei mag nebensächlich klingen, gerade im Vergleich zum spektakulären Urknall. Dabei hängen beide miteinander zusammen. Ich wurde in diesem Thread gebeten, ein Experiment zu nennen, welches mich nachdenklich stimmen würde, und natürlich kann ich nicht sagen: "Soll der Papst Franz mal einen Urknall machen". Stattdessen entschied ich mich für das Ei.

Was ist also so interessant an dem Ei?

Das Ei hat eine Eigenschaft, die man mit den Urknall vergleichen kann, und zwar auf eine verblüffende Weise.

Ganz am Anfang des Universums ist die Ordnung noch sehr hoch (alle Teilchen eng aneinander gequetscht, aber sehr ordentlich, wie in einer Matrix), und dann fliegt alles auseinander und vermischt sich zu einem riesigen Brei an Nebeln, Galaxien, Sternen, und Planeten.





In der Sprache der Physik verwendet man den Begriff der "Entropie". Man beschreibt damit, wie groß die Unordnung ist. Am Anfang hatte das Universum also eine geringe Entropie (es war alles ordentlich) und nach dem Urknall eine recht hohe Entropie (ein riesiges Durcheinander).

Beim Ei ist es ebenso. Man bräuchte relativ wenig Informationen, um es zu beschreiben. Aber wenn ich es zerschmettere und zu Rührei verkoche, gerät die Ordnung durcheinander. Nun bräuchte ich sehr viele Informationen, um es zu beschreiben. Es ist also vergleichbar mit dem Urknall.





Ein weiterer Effekt ist sehr interessant. Nämlich, dass die Unordnung immer nur zunimmt, und nie abnimmt. Was wir als das Fortschreiten der Zeit wahrnehmen, ist das Zunehmen dieser Unordnung. Anders gesagt: Unser Beweis dafür, dass die Zeit vorwärts läuft, besteht in der zunehmenden Unordnung. Wenn die Unordnung zunimmt, geht die Zeit vorwärts.

Aufregend ist, was sich daraus ergibt: Eben weil die Zeit vorwärts läuft, kann die Unordnung nur zunehmen (hin zum Rührei), aber nicht abnehmen (zurück zum unbeschädigten Ei).

Wohlgemerkt, es ist nicht nur eine Frage der Geschicklichkeit. Sondern es ist aus Prinzip ausgeschlossen.

Das ist der Grund, warum ich vorschlug, Papst Franz möge ein Rührei zurückverwandeln in ein unbeschädigtes Ei. Es ist also keineswegs ein kindischer Vorschlag unterhalb des Forums-Niveaus, sondern ein Ausflug an die Grenzen der Raumzeit, nur eben essbar.

-------


Die Bibel behauptet, diese Entropie (also das Maß der Unordnung) sei umkehrbar (was sie aber nicht ist, es sei denn, die Zeit läuft rückwärts).

Ein Beispiel dafür aus der Bibel ist die Erweckung von Toten. Woher wissen wir klipp und klar, dass Tote nicht erweckt werden können, jedenfalls nicht nachdem Zerfallsprozesse begonnen haben? Weil die Entropie (der Zerfall) immer nur in eine Richtung gehen KANN, genauso wie man ein Rührei nicht in ein unbeschädigtes Ei zurückführen KANN.

Hier haben wir also einige zentrale Bibelgeschichten über die Auferweckung von Toten, die nicht stimmen können. Bei den zahlreichen Wunderberichten kann man ein paar dieser Geschichten über Bord werfen, ohne dass es weh tut.

Aber was ist mit Jesus selbst? Dessen Auferstehung ist DIE zentrale Botschaft des Neuen Testaments. Wenn hier was nicht stimmt, dann ist das keine Kleinigkeit. Es ist der Dreh- und Angelpunkt.

Hier die Eine-Million-Euro-Frage: Hat Gott dann einfach die Zeit rückwärts laufen lassen?

Und gleich die Antwort: Wenn Gott die Zeit nach dem Tod von Jesus rückwärts laufen ließ, sodass er den Tod auf diese Weise rückgängig machte, dann ist er nicht gestorben (denn dies ist dann ja gar nicht geschehen). Also ist er auch nicht auferstanden. Kein Tod, keine Auferstehung. Und falls doch, hätte er auch gleichzeitig die Vergebung unserer Sünden rückgängig gemacht, denn diese waren an den Tod gekoppelt. Kein Tod, keine Vergebung. Tja.

Mehr noch: Da Einstein bewiesen hat, dass Raum und Zeit gekoppelt sind, kann man nicht einfach die Zeit rückwärts laufen lassen, ohne dass es in Jerusalem zu sehr unschönen Konsequenzen geführt hätte. Zumal gerade Feiertage waren.

Das Ei widerlegt also die Geschichte mit der Auferweckung. Zum Glück sind die Ostertage bereits vorbei.

Ich finde nicht, dass man mir vorwerfen kann, diese Betrachtung sei "so langweilig und lächerlich", dass man nicht darauf eingehen müsse.

(Sorry für das Komplettzitat, aber es schien mir schwierig, das sinnvoll zu kürzen.)

Ich fürchte, auch dieses Beispiel mit dem Ei und der Entropie ist nicht glücklich gewählt.

1. versteht kaum jemand (inkl. meiner Wenigkeit), was Entropie wirklich ist. Die Umschreibung als "Maß der Unordnung" ist laut Wikipedia "sehr umstritten".

2. gilt der Grundsatz, dass die Entropie nicht abnehmen kann, nur für ein abgeschlossenes System, bei dem also kein Austausch von Energie oder Materie mit der Umgebung stattfindet.

Bei der Frage, ob jemand/Gott ein kaputtes Ei in ein heiles verwandeln kann, wäre dieser Austausch (insbesondere Zufuhr von Energie) gerade nicht ausgeschlossen. Und genau deshalb ist es auch nicht grundsätzlich unmöglich. Gut, bei einem Ei ist es schwierig, zumindest theoretisch könnte ich aber jedes Atom wieder an seine Ausgangsposition bewegen.

Aber Du zeigst ja selbst auch als einfacheres Beispiel das Bild ordentlich angeordneter Würfel. Die kann man selbstverständlich nicht nur durcheinander bringen, sondern auch wieder richtig ordnen.
Theoretisch könnte ich sogar meine Wohnung aufräumen. ;)

Jörn 25.04.2017 00:58

Zitat:

Zitat von LidlRacer (Beitrag 1301774)
Ich fürchte, auch dieses Beispiel mit dem Ei und der Entropie ist nicht glücklich gewählt.

Wegen der Länge meines Postings (mit dem Ei) habe ich davon abgesehen, die genauen Umstände eines solchen Versuchs zu definieren (etwa Energiezufuhr usw.). Ich habe es vor allem wegen des Vorwurfs ausgeführt, mein Vorschlag mit dem Ei sei kindisch; und ich wollte daher erläutern, welche Überlegungen dahinterstehen.

Entscheidend ist, dass man ein Experiment so anlegt, dass es den Naturgesetzen widerspricht. Dann wäre ich überzeugt, dass über-natürliche Dinge existieren können. Weil das jedoch ein Zirkelschluss ist, wird es nie passieren.

Zarathustra 25.04.2017 01:35

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301773)
Das ist ein Zirkelschluss. Man kann die Autorität eines Glaubens nicht mit eben diesem Glauben begründen.
...
Der Katechismus behauptet, über diese Gewissheit zu verfügen. ... Der Kathechismus sagt: "Gott ist in sich unendlich vollkommen". Also nicht nur einfach vollkommen. Sondern unendlich vollkommen. Das sollte alle Unsicherheiten in der Interpretation beseitigen.
...
Gott und seine Eigenschaften müssen nicht bewiesen werden. Sondern sie wurden von ihm selbst offenbart.
...

Nein, das ist kein Zirkelschluß, das ist überhaupt kein Schluß, obwohl es so aussehen mag.* Der Punkt ist: die Gläubigen akzeptieren es für sich als Rechtfertigung. Daß Du das nicht tust, ist ein anderes Thema. (Aber hatten wir das nicht schon?)

Ich bezweifle weiterhin, daß damit behauptet wird, wir könnten die Eigenschaften Gottes begreifen. Es sollte klar sein, daß dem Wort Allmacht noch die Ergänzungen vollkommen und unendlich hinzufügen nicht dasselbe heißt wie begreifen.

Wo steht, daß es eine Eigenschaft Gottes ist, alles Leid in der Welt zu verhindern?
___

*Das lustige hier ist: Du spürst zuverlässig die Axiome der Religion auf. Dann aber passiert immer der gleiche Fehler: Du willst sie unbedingt als Thesen oder Deduktionen mißverstehen, um sie widerlegen zu können. So etwa als ob in der Mathematik Einer Antritt, um endlich zu beweisen, daß es eigentlich gar keine Zahlen gibt...

Jörn 25.04.2017 02:29

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301778)
Nein, das ist kein Zirkelschluß, das ist überhaupt kein Schluß, obwohl es so aussehen mag. (...) Es sollte klar sein, daß dem Wort Allmacht noch die Ergänzungen vollkommen und unendlich hinzufügen nicht dasselbe heißt wie begreifen. (...) Du spürst zuverlässig die Axiome der Religion auf. (...) Du willst sie unbedingt als Thesen oder Deduktionen mißverstehen, um sie widerlegen zu können. (...)

Da Du mich offenbar direkt ansprichst: Mich interessiert diese Wortklauberei eigentlich nicht. Vielleicht möchte ein anderer Foren-Teilnehmer darauf antworten. Ich glaube nicht, dass es zu einem interessanten Ergebnis führt.

Die bekannten Vorzeige-Atheisten englischer Sprache (etwa Richard Dawkins oder Sam Harris) sagen übereinstimmend, dass der Widerstand gegen ihre Thesen mindestens zur Hälfte von anderen Atheisten (!) stammt. Diese würden sich endlos an irgendwelchen Formulierungen oder begrifflichen Spitzfindigkeiten abarbeiten. Oft heißt es: "Sie haben zwar Recht, aber mit diesem Begriff können sie es nicht formulieren, weil... blabla...", und dann beginnt ein endloser Vortrag über Semantik, Sprachlogik und ein paar altgriechischen Zitate.

Ich finde diese Art von Wortklauberei äußerst ermüdend, weil es nur weg vom eigentlichen Kern der Debatte führt.

Jörn 25.04.2017 03:09

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301778)
Wo steht, daß es eine Eigenschaft Gottes ist, alles Leid in der Welt zu verhindern?

Niemand hat je behauptet, Gott würde alles Leid verhindern; denn es ist offensichtlich, dass Leid existiert.

Es ist das Theodizee-Problem. Es ist seit 2.000 Jahren ungelöst, weil es es von unsinnigen Annahmen ausgeht. Es wurde bereits mehrfach im Thread besprochen.

Eine übliche Ausflucht, auf die Du vermutlich zusteuerst, ist die Behauptung, Gott würde Leid ganz absichtlich erzeugen (etwa aus Erziehungsgründen), sodass es sowohl eine Folge seiner Allgüte als auch seiner Allmacht wäre.

Diese Ausflucht wird allerdings versperrt durch einen Haufen Bibelstellen, die zuverlässig bezeugen, dass Gott irgendwie eine unerklärliche Abneigung gegen Leid hat. Es sieht fast so aus, als könne er Leid nicht leiden. Folgendes sagt die Bibel über das Himmelreich, wo Gott tun kann, was er will:
»Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein« (Offenbarung 21,4).
Der übliche Einwand ist, dass im Himmel eben andere Umstände herrschen als auf der Erde. Aber da Gott die Umstände selbst erzeugt hat und verändern kann (per Allmacht) kann er die Umstände so einrichten, dass Leid fernbleiben kann. Dass er diesen Zustand ohne Leid als den besten aller Zustände betrachtet, bezeugt das obige Zitat.

Jörn 25.04.2017 04:18

Ich würde gerne noch auf eine Abscheulichkeit hinweisen, die in der Debatte über das Leid mitschwingt, aber oft nicht in seiner kompletten Monströsität angesprochen wird, weil es schwer verdaulich ist.

Nämlich die Unterstellung, dass Leid gewollt ist und einen Sinn verfolgt. Dass also Kinder, die an chronischen Krankheiten leiden und häufig im Krankenhaus sind, dieses Leid ertragen müssen, weil Gott es will, da sie nur "Kinder zweiter Klasse" sind, während die "Kinder erster Klasse" ein Leben im Sonnenschein führen dürfen. Kinder glauben sowas (weil ihre Eltern ebenfalls daran glauben).

Dieser Teil der christlichen Ideologie ist vielleicht einer der verachtenswertesten Aspekte des Gottes-Wahns. Jede Form von Höflichkeit ist an dieser Stelle komplett fehl am Platz. Da hört der Spaß einfach auf.

Die Wissenschaft hat die Menschen nicht nur vom Leid befreit (wo es ihr möglich war). Sondern sie hat die Menschen auch von einem zerstörerischen Wahn erlöst: Anstelle von Gottes Strafe waren es rein biologische oder chemische Vorgänge, die das Leid verursachten; und ebenso konnte man das Leid beseitigen.

Und statt diese segensreiche Entdeckung mit allen Mitteln zu fördern, hat die Kirche in den letzten 2.000 Jahren jede nur denkbare Maßnahme ergriffen, um jeden wissenschaftlichen Fortschritt (gerade in der Medizin!) zu verhindern. Die Kirche tut so, als sei sie der beste Freund der Leidenden; stattdessen weidet sie sich parasitär an den Wunden der Menschen. Leidende Menschen sind gut für den Glauben.

Derzeit stirbt alle fünf bis zehn Sekunden ein Mensch an Hunger. Häufig sind Kinder unter fünf Jahren betroffen, nämlich 45% aller Sterbefälle. Das sind 3,1 Millionen Kinder unter fünf Jahren jedes einzelne Jahr. (Wikipedia) Wir reden hier nicht von einem Schwarm Fliegen, sondern von Kindern. Es ist wie die Stadt Berlin, komplett übersät mit Leichen. Jedes Jahr. Nur Kinder unter 5. Das Wort "Apokalypse" beschreibt dieses Horror-Szenario nicht annähernd.

Angesichts dieses Leids ist es geradezu obszön, in deutschen Kirchen singend und händeklatschend die unendliche und vollkommene Güte von Gott zu bejubeln, und sich daran zu berauschen, wie sehr man persönlich von Gott geliebt und bevorzugt wird; während man völlig ignoriert, wie viel Leid dieser Gott für andere Menschen verursacht oder gleichgültig toleriert. Und genauso ist es obszön, selbstgerechte philosophische Debatten über den angeblich göttlichen Sinn des Leids der anderen zu führen.

Wer würde es sich trauen, eine theoretische Debatte über das Leid der Juden zu führen? Hier ist jedem vernünftigen Menschen sofort einleuchtend, dass die Debatte obszön ist, speziell wenn sie von Menschen geführt wird, die in Freiheit und Wohlstand leben. (Natürlich wird sie in der Kirche trotzdem geführt.)

Zarathustra 25.04.2017 10:21

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301779)
Da Du mich offenbar direkt ansprichst: Mich interessiert diese Wortklauberei eigentlich nicht. ...

Die bekannten Vorzeige-Atheisten englischer Sprache (etwa Richard Dawinks oder Sam Harris)...

Wer es in dieser Debatte ablehnt, gründlich(!) auf die verwendeten Begriffe zu reflektieren, macht es sich zu einfach. (Ist das schon Scharlatanerie?)

Zarathustra 25.04.2017 10:30

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301780)
... Ausflucht, auf die Du vermutlich zusteuerst, ist die Behauptung, Gott würde Leid ganz absichtlich erzeugen ...

Nein, darauf steuere ich nicht zu. Ich bleibe bei der einfachen Beobachtung, in der alle übereinstimmen: Kein Gott verhindert alles Leid auf der Welt.
Spekulative Schlüsse, wie Du sie aus dieser Beobachtung ableiten willst, lehne ich ab.

keko# 25.04.2017 11:31

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301744)
Warum genau? Zwei Drittel der aktuell vorhandenen Menschen sind noch nie in Kontakt gekommen mit den christlichen Kirchen. Was ist nach Deiner Meinung falsch mit diesen Leuten?

Gar nichts ist falsch mit denen. Es gibt viele Menschen, die niemals über Religion nachdenken. Oder Behinderte, die es gar nicht können. Das ist völlig i.O.
Ich meinte diejenigen, die mir die Religion austreiben wollen.

qbz 25.04.2017 11:41

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301822)
Nein, darauf steuere ich nicht zu. Ich bleibe bei der einfachen Beobachtung, in der alle übereinstimmen: Kein Gott verhindert alles Leid auf der Welt.

da ich persönlich die Gottesvorstellungen der Menschen als ihre Projektionen verstehe, denen ausserhalb der menschlichen Gesellschaft keinerlei Realität zukommt, kann man IMHO auch nicht beobachten (mithilfe unserer Wahrnehmung), ob "ein Gott" Leiden verhindert, mildert, beseitigt. Hochstens die Wirkungen des Betens, die Wirkung der Absolution, also menschliche religiöse Aktivitäten (incl. die der Institutionen) lassen sich beobachten, und diese können bei manchen Menschen durchaus auch psychischen Stress verringern und ihr Wohlbefinden steigern (Warnhinweis: psychisches Suchtpotential ;) ) oder selbst sehr grosses Leid zufügen. Leider überwog in der Gesamtschau der Religionen in meiner persönlichen Wertung letzeres.

Fasst man die Gottesvorstellungen als gesellschatliche Ideologien (im Sinne von Projektionen auf eine Gottesfigur) auf, versteht man erst, weshalb es keine in sich konsistente Lehre / Theorie für das Christentum und für andere Religionen gab und geben wird, weil sie unterschiedliche Interessenlagen und Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder ausdrücken, und es so sinnlos wie der Kampf von Don Quijote gegen Windmühlen wäre, eine konsistente Universal-Lehre des Christentums einzufordern oder das Fehlen einer solchen als ein Mangel zu kritisieren.

keko# 25.04.2017 12:16

Zitat:

Zitat von merz (Beitrag 1301769)
@Jörn: aber wenn die Entropie vor unser aller Augen plötzlich rückwärts rollen würde, würden wir doch eher beim lokalen Lehrstuhl für Physik anrufen, als den für (christliche) Theologie?

Zeitpfeile sind ein interessantes Thema. Das ist nach meinem Geschmack :) Im Raum kann man beliebig umherfliegen, in der Zeitdimension nicht, es besteht eine Richtungscharakteristik.

Zarathustra 25.04.2017 13:03

Zitat:

Zitat von qbz (Beitrag 1301841)
... kann man IMHO auch nicht beobachten (mithilfe unserer Wahrnehmung), ob "ein Gott" Leiden verhindert
...
sehr grosses Leid zufügen. Leider überwog in der Gesamtschau der Religionen in meiner persönlichen Wertung letzeres.
...

Da hast Du natürlich recht. Was ich meinte ist: Wir alle können real existierendes Leid in der Welt beobachten, was dann auch bedeutet, daß dieses Leid von niemandem (auch nicht von einem Gott) verhindert wird.

Zur Gesamtschau müssen wir, glaube ich, auch zugeben, daß es schwer ist zu beurteilen, ob nicht die Menschen auch ohne Religionen genug Gründe und Rechtfertigungen dafür gefunden hätten, anderen und sich selbst großes Leid zuzufügen.
(Es gelingt ja schließlich sogar auch im Namen von Freiheit und Demokratie.)

keko# 25.04.2017 13:14

Zitat:

Zitat von Zarathustra (Beitrag 1301859)
Zur Gesamtschau müssen wir, glaube ich, auch zugeben, daß es schwer ist zu beurteilen, ob nicht die Menschen auch ohne Religionen genug Gründe und Rechtfertigungen dafür gefunden hätten, anderen und sich selbst großes Leid zuzufügen.
(Es gelingt ja schließlich sogar auch im Namen von Freiheit und Demokratie.)

Das steht wohl ausser Frage! Menschen finden immer einen Grund zu unterdrücken, um ihre eigenen Interessen durchzusetzten. Traurigstes Beispiel wohl der 2. Weltkrieg, ausgehend von Deutschland und kein Religionskrieg (um eiin Haar wäre er hier im Fred ja einer geworden).

MattF 25.04.2017 13:36

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301779)
Ich finde diese Art von Wortklauberei äußerst ermüdend, weil es nur weg vom eigentlichen Kern der Debatte führt.

Mal unabhängig davon und ohne dass ich es gezählt habe, würde ich mal behaupten die meisten Worte in diesem Thread hast bis jetzt du verbraucht.

Aber:


Was ist der Kern der Debatte?

Jörn 25.04.2017 13:58

Zitat:

Zitat von MattF (Beitrag 1301872)
Was ist der Kern der Debatte?

Mache ich auf Dich den Eindruck, als würde ich das wissen??

MattF 25.04.2017 14:20

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1301879)
Mache ich auf Dich den Eindruck, als würde ich das wissen??


Nein :Cheese:

waden 25.04.2017 18:21

Danke an alle für die - bei allen gelegentlichen Zirkelschlüssen - produktive Diskussion, die Interesse verfolge. Nur selten finde ich Zeit, meine Gedanken zu äußern.

Ich frage mich, bis zu welchem Grad es in einer Gesellschaft Privatsache bleiben kann, welchem Glauben jemand anhängt. Die in Deutschland bzw. in weiten Teilen Europas und der westlichen Welt sehr weit verbreiteten Varianten eines selbst geschnitzten christlichen Privatglaubens, der die Grundwerte der freiheitlichen Welt über die christlichen Urtexte stellt, hat ebenso wenig oder viel Wirkung wie viele anderen privaten Ansichten auch, welche diese Grundwerte nicht infrage stellen. In diesem Thread wird von Seiten der Gläubigen diese Variante eines Privatglaubens verteidigt. Sicherlich leben die meisten derjenigen, die in diesem Thread einen privaten Glauben verteidigen, in ihrem Glauben völlig im Einklang mit dem Grundgesetz bzw. den Menschenrechten. Aber auch dieser christliche Privatglaube hat seinen Kern in den Texten, deren detaillierte Ausbreitung hier nicht viele Leser zu interessieren scheint.

Dieser Privat-Glaube hat sich beispielsweise offensichtlich verabschiedet vom Gedanken des Auserwählten Volkes, als das sich die den Urtexten zugewandten Gläubigen des Christentums, Judentums und Islam betrachten. Dieser Gedanke ist sehr ausgrenzend und einem globalen Zusammenleben der Menschen auf der ganzen Welt nicht zuträglich. Ich denke, dass es ein Fehler ist, diesen Grundsatz als unwichtig wahrzunehmen, weil er in der Welt tatsächlich große Wirkung zeigt. Wir sehen dies beispielsweise im Israel-Konflikt, aber auch bei den Gläubigen in Deutschland (Beispiel in der Süddeutschen Zeitung von heute: http://www.sueddeutsche.de/politik/e...ffe-1.3476141). Ohne Link, weil ich annehme, dass sich alle mitlesenden daran erinnern, erwähne ich in diesem Zusammenhang die hohe Anzahl von Menschen in Deutschland, die den Koran über das Grundgesetz stellen.

Mich stört diese weltweit wirksame Ausgrenzung all derjenigen, die nicht zum auserwählten Volk gehören - unter Hinweis auf den religiösen Glauben. Desgleichen stört mich die weltweit sehr wirksame Ausgrenzung der Frauen unter dem Hinweis auf Urtexte behaupteten göttlichen Ursprungs.

Und es fällt mir schwer, die christlichen Texte frei von den diskriminierenden Dogmen zu betrachten, weil mir das zu beliebig erscheint.

Jörn 26.04.2017 08:34

Hallo waden, danke für Dein interessantes Posting! Wenn ich Dich richtig verstehe, ist dies die zentrale Frage:

Ist Religion Privatsache?

Ich habe meine Meinung dazu geändert. Früher dachte ich, Religion kann logischerweise nur Privatsache sein. Aber seit man von religiösen Leuten in die Luft gesprengt oder auf dem Weihnachtsmarkt überfahren wird, ist es wohl notwendig, diesen Gedanken erneut auf den Prüfstand zu stellen.

Ein kurzes Beispiel: Nach dem Fußball-Training trifft sich die Mannschaft noch auf das übliche Bier (natürlich alkoholfrei). Einer der Fußballer fällt mit Nazi-Thesen auf. Die anderen Fußballer argumentieren dagegen. Aufgrund der Argumente und des allgemeinen Widerstands kommt der Nazi-Fußballer irgendwann vielleicht ins Grübeln und verlegt sich vielleicht auf etwas moderatere Töne. Die Chance besteht jedenfalls, dass die Gemeinschaft hier einen ausgleichenden Effekt hat.

Aber was ist, wenn der Nazi-Fußballer einfach sagen würde: "Wieso, das ist meine Religion, da könnt Ihr mir überhaupt nichts sagen!" Dann wäre die Debatte an dieser Stelle zu Ende. Religion ist unantastbar -- angeblich wegen des gesellschaftlichen Friedens.

Mittlerweile kann man die absurdesten gesellschaftlichen Thesen für unangreifbar erklären, solange man behauptet, sie wären religiös. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine religiöse Debatte erlebt zu haben, in der es um Engel oder den Heiligen Geist ging. Stattdessen ging es stets um rein weltliche Dinge, nämlich um Adoptionsrecht, Gleichberechtigung (man stelle sich vor!), Arbeitsrecht, Erziehungsrecht, neuerdings sogar Kleidung, und so weiter.
  • Wenn Volker Kauder in die laufenden Kameras diktiert, seine Partei wäre eben der Meinung, Gott habe die Welt für Mann und Frau geschaffen, dann ist die Debatte zu Ende, und seine Anhänger freuen sich, dass niemand etwas dagegen ausrichten kann. Er braucht überhaupt keine Beweise oder Begründungen vorzulegen.

    Die Gesetze, die sich daraus ergeben, gelten kurioserweise für alle; nicht nur für Katholiken.
  • Wenn Papst Franz sagt, die Homo-Ehe sei eine Erfindung des Teufels (so wurde es berichtet in der "heute"-Sendung), dann wird einfach mit dem nächsten Thema weitergemacht. Keine Gegenrede, keine Kritik, kein Faktencheck. Die Schwulen/Lesben dürfen sich nicht verteidigen. Hingegen, wenn ein Minister auch nur einen einzigen Satz über ein Tempo-Limit auf deutschen Autobahnen sagt, dann gibt es zahlreiche Statements von allen Parteien, sowie einen Einspieler mit einem Experten des ADAC.
  • Wenn Papst Benedikt bei seinem Besuch im Deutschen Parlament über das "Naturrecht" faselt, dann wird das einfach unkommentiert gesendet. Der Zuschauer erfährt nicht, warum dieses Wort seit 70 Jahren nicht mehr im Bundestag zu hören war. Wäre dieses Wort bei einer Rede eines einfachen Abgeordneten gefallen, wäre das ein riesiger Skandal gewesen. Warum gibt es keine Gegenrede an einem Ort, der ausschließlich für Rede und Gegenrede gedacht ist? Ist da nicht offensichtlich was faul?

Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass Glaube zwar insofern Privatsache ist, als dass man niemandem vorschreiben kann, welche Überzeugungen er haben soll. Aber es ist nicht so sehr Privatsache, als dass man nicht darüber debattieren dürfte oder Kritik üben dürfte. Es sollte den gleichen Status haben wie jede andere Meinung.

Gerade wenn wir in Deutschland zunehmend mit islamischen Positionen konfrontiert werden, und wenn wir alle gut miteinander auskommen wollen, dann müssen Religionen es sich gefallen lassen, infrage gestellt zu werden.

Es gibt nicht den geringsten Beweis, dass es in einer Gesellschaft jemals ein Zuviel an kritischer Debatte gegeben hätte. Aber es gibt viele scheußliche Beispiele dafür, was passiert, wenn die kritische Debatte ausbleibt.

Zarathustra 26.04.2017 13:30

@Jörn: Was ist der Skandal am Naturrecht?

keko# 26.04.2017 13:53

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302019)
Ein kurzes Beispiel: Nach dem Fußball-Training trifft sich die Mannschaft noch auf das übliche Bier (natürlich alkoholfrei). Einer der Fußballer fällt mit Nazi-Thesen auf. Die anderen Fußballer argumentieren dagegen. Aufgrund der Argumente und des allgemeinen Widerstands kommt der Nazi-Fußballer irgendwann vielleicht ins Grübeln und verlegt sich vielleicht auf etwas moderatere Töne. Die Chance besteht jedenfalls, dass die Gemeinschaft hier einen ausgleichenden Effekt hat.

Aber was ist, wenn der Nazi-Fußballer einfach sagen würde: "Wieso, das ist meine Religion, da könnt Ihr mir überhaupt nichts sagen!" Dann wäre die Debatte an dieser Stelle zu Ende. Religion ist unantastbar -- angeblich wegen des gesellschaftlichen Friedens.

Wären in unserem Land vor 70 Jahren aus religiösen Gründen Millionen Menschen industriell getötet worden, dann wäre die Debatte vermutlich nicht zu Ende.

Religion ist übrigens nicht unantastbar. Ganz im Gegenteil: Sie ist in weiten Teilen doch längst aus der Gesellschaft verbannt. Wir sind also schon einen Schritt weiter.

Jörn 26.04.2017 14:10

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302070)
Wären in unserem Land vor 70 Jahren aus religiösen Gründen Millionen Menschen industriell getötet worden, dann wäre die Debatte vermutlich nicht zu Ende.

Die Debatte ist ja auch nicht zu Ende, und das ist gut so.

Ich wollte darauf hinweisen, dass religiöse Menschen eine Argumentation aufbauen, bei der diese Katastrophe einen Sinn gehabt hätte, dass sie notwendig gewesen wäre (um Gottes Plan zu verwirklichen), dass sie gerecht gewesen wäre (Gott kann schließlich nicht ungerecht sein), oder dass sie von den Opfern verschuldet worden wäre (nicht fest genug geglaubt, zu wenig gebetet, zu viel gesündet, usw.).

waden 26.04.2017 14:47

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302070)
Wären in unserem Land vor 70 Jahren aus religiösen Gründen Millionen Menschen industriell getötet worden, dann wäre die Debatte vermutlich nicht zu Ende.

zu Deinem zutreffenden Hinweis auf die weltlichen Ideologen (Hitler, Stalin) in der Verantwortung für die Tötung von zig-Millionen von Menschen : Wenn ich mir überlege, welche Geisteshaltung dieses Morden verbinden mit den Gräueltaten, die im Namen der Religionen durchgeführt wurden und werden, ist dies ein Überlegenheitsgefühl der eigenen Gemeinschaft, welches die Ausgrenzung derer, „die nicht zu uns gehören“ rechtfertigt sowie eine unhinterfragbare Dogmatik zusammen mit einem blinden Glauben und Gehorsam.

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302070)
Religion ist übrigens nicht unantastbar. Ganz im Gegenteil: Sie ist in weiten Teilen doch längst aus der Gesellschaft verbannt. Wir sind also schon einen Schritt weiter.

Diese Aussage ist sehr eurozentrisch und gilt sicher nicht in Israel, Palästina, Indien, Pakistan, Afghanistan…. und im übrigen auch in unserer Gesellschaft nicht überall, zB in den Köpfen der Muslime, die den Koran über das Grundgesetz stellen.

Rälph 26.04.2017 15:32

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302019)
Hallo waden, danke für Dein interessantes Posting! Wenn ich Dich richtig verstehe, ist dies die zentrale Frage:

Ist Religion Privatsache?

....

Es gibt nicht den geringsten Beweis, dass es in einer Gesellschaft jemals ein Zuviel an kritischer Debatte gegeben hätte. Aber es gibt viele scheußliche Beispiele dafür, was passiert, wenn die kritische Debatte ausbleibt.

Gutes Posting!:Blumen:

keko# 26.04.2017 15:43

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302079)
zu Deinem zutreffenden Hinweis auf die weltlichen Ideologen (Hitler, Stalin) in der Verantwortung für die Tötung von zig-Millionen von Menschen : Wenn ich mir überlege, welche Geisteshaltung dieses Morden verbinden mit den Gräueltaten, die im Namen der Religionen durchgeführt wurden und werden, ist dies ein Überlegenheitsgefühl der eigenen Gemeinschaft, welches die Ausgrenzung derer, „die nicht zu uns gehören“ rechtfertigt sowie eine unhinterfragbare Dogmatik zusammen mit einem blinden Glauben und Gehorsam.

Es läuft immer gleich ab: ausgrenzen, um Minderwertigkeit zu generien und dann diese gerechtfertigt vernichten. Ob mit Hilfe von Religionen, "Rassen", Nationalitäten oder sonst was.

waden 26.04.2017 19:31

Zitat:

Zitat von keko# (Beitrag 1302089)
Es läuft immer gleich ab: ausgrenzen, um Minderwertigkeit zu generien und dann diese gerechtfertigt vernichten. Ob mit Hilfe von Religionen, "Rassen", Nationalitäten oder sonst was.

Darin sind wir uns völlig einig.

Problematisch finde ich deshalb Weltanschauungen, zu deren Kern die Überzeugung der eigenen Überlegenheit gehört. Und insofern finde ich die Jahwe-Weltanschauungen (Auserwähltes Volk) problematisch.

Ich finde es in diesem Zusammenhang erstaunlich, welchen geistigen Spagat die christliche Theologie versucht, einerseits dieses Dogma beizubehalten und andererseits nichtchristlich gläubige Menschen nicht auszugrenzen.

MattF 27.04.2017 10:26

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302109)
Darin sind wir uns völlig einig.

Problematisch finde ich deshalb Weltanschauungen, zu deren Kern die Überzeugung der eigenen Überlegenheit gehört. Und insofern finde ich die Jahwe-Weltanschauungen (Auserwähltes Volk) problematisch.

Es hat dem Volk der Juden aber auch jahrtausende lang das Überleben in der Diaspora gesichert.

Ist halt immer auch die Frage, wer ist der Kleine und wer ist der Große.

MattF 27.04.2017 10:34

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302076)

Ich wollte darauf hinweisen, dass religiöse Menschen eine Argumentation aufbauen, bei der diese Katastrophe einen Sinn gehabt hätte, dass sie notwendig gewesen wäre (um Gottes Plan zu verwirklichen), dass sie gerecht gewesen wäre (Gott kann schließlich nicht ungerecht sein), oder dass sie von den Opfern verschuldet worden wäre (nicht fest genug geglaubt, zu wenig gebetet, zu viel gesündet, usw.).

Und das passiert?

Hat ein religiöser Mensch sowas gemacht?

Und wenn ja, dann wäre das natürlich genauso falsch und kritisierbar wie die Nazizeit. Darüber muss man sich eigentlich nicht unterhalten.

Das der IS eine letztlich faschistische Organistation ist, ist doch klar.

waden 27.04.2017 10:43

Zitat:

Zitat von Jörn (Beitrag 1302019)

Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass Glaube zwar insofern Privatsache ist, als dass man niemandem vorschreiben kann, welche Überzeugungen er haben soll. Aber es ist nicht so sehr Privatsache, als dass man nicht darüber debattieren dürfte oder Kritik üben dürfte. Es sollte den gleichen Status haben wie jede andere Meinung.

Das ist auch meine Meinung.

Wenn jemand privat etwas glaubt, was diskriminierend ist - inwieweit kann ein soziales Leben führen, ohne dass sein diskriminierende Denken Wirkungen nach außen zeigt? Nach den Regeln unserer Gesellschaft kann er denken, was er will, solange er sich im Zusammenleben an die Regeln hält.

Ist es von der Religionsfreiheit gedeckt, wenn jemand Homosexuelle für Sünder hält? Wenn er aus diesen Gründen einen Homosexuellen schlechter behandelt als einen Heterosexuellen - ist das unter Hinweis auf die Religionsfreiheit besser als bei jemandem, der sich nicht auf eine Religion berufen kann? Merkt man das immer?
Die gleiche Frage lässt sich beispielsweise in Bezug auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft stellen. In unserer Gesellschaft wird darum gerungen, die Diskriminierung der Frauen aufgrund des Geschlechtes zu verringern. Gleichzeitig ringt man darum, Muslime nicht zu diskriminieren, die einer Frau nicht die Hand reichen wollen aus religiösen Gründen bzw. aus sogenanntem Respekt.

Ich frage mich: kann man privat in den dogmatischen Schemata der jeweiligen Kirche denken, ohne dass dies eine Auswirkung auf das Verhalten im Alltag hat? Wie ich schon in einem anderen Posting schrieb, will ich den Gläubigen in diesem Forum nicht unterstellen, dass sie dogmatisch beschränkt sind. Sie haben ja schon wiederholt darauf hingewiesen, dass sie mit den Dogmen der Kirche nichts zu tun haben wollen.

Ich frage mich generell, ob ein privater geistiger Rückzugsraum, der sich jeglicher kritischen Hinterfragung entziehen darf, nicht der Boden sein kann für ein kritikfreies Denken auch in anderen Bereichen und insbesondere im sozialen Leben.

MattF 27.04.2017 10:55

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302169)
Ich frage mich generell, ob ein privater geistiger Rückzugsraum, der sich jeglicher kritischen Hinterfragung entziehen darf, nicht der Boden sein kann für ein kritikfreies Denken auch in anderen Bereichen und insbesondere im sozialen Leben.


Natürlich kann es das sein. Das hast du ja auch bei Sekten z.b. oder extrem religiösen christlichen Gemeinschaften, z.b. die zwölf Stämme.

Die Frage ist wie geht man damit um.

Schränkt man die Glaubenfreiheit ein (wie auch immer) nur um Extremisten zu bekämpfen (z.b. auch IS)?

Reicht der normale Rechtsstaat nicht aus, gegen sowas vorzugehen?
Ändern wir unser Leben, weil wir vom IS bedroht sind? Hat dann nicht der IS einen Sieg erzielt?

Wie würde denn Gesellschaft und Rechtsordnung aussehen, die obige Gefahr anders als heute bekämpfen würde?

trithos 27.04.2017 11:03

Zitat:

Zitat von waden (Beitrag 1302169)
Ich frage mich generell, ob ein privater geistiger Rückzugsraum, der sich jeglicher kritischen Hinterfragung entziehen darf, nicht der Boden sein kann für ein kritikfreies Denken auch in anderen Bereichen und insbesondere im sozialen Leben.

Und wenn es so wäre? Wie würdest Du damit umgehen? Sozial unerwünschte (wer auch immer das festlegt?!?) Gedanken verbieten und eine Gedankenpolizei losschicken?


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