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Thomas Gsella
Ich, Du, Überwir
An uns beiden abzulesen sind die Qualen des Expander. Mann und Frau, verdehnte Wesen, drängt es zu- und ineinander. An uns beiden zu studieren ist das Überwir der Liebe. All das Rauschen und Charmieren, all das liebe Triebgeschiebe (sich beriechen, sich versuchen, sich verzehren und vermehren) will, daß Schwanz und Mutterkuchen Föten zeugen, Föten nähren, Eltern werden, Eltern bleiben, Müsli rühren, Bettchen bauen, Fläschchen kochen, Äpfel reiben, Nacht durchwachen, Tag versauen. So sind wir, so geht es allen Tief im Glück: hereingefallen. |
Rainer Maria Rilke
Im alten Hause
Im alten Hause; vor mir frei seh ich ganz Prag in weiter Runde; tief unten geht die Dämmerstunde mit lautlos leisem Schritt vorbei. Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas. Nur hoch, wie ein behelmter Hüne, ragt klar vor mir die grünspangrüne Turmkuppel von Sankt Nikolas. Schon blinzelt da und dort ein Licht fern auf im schwülen Stadtgebrause. – Mir ist, daß in dem alten Hause jetzt eine Stimme „Amen“ spricht. |
Peter Rühmkorf:
Rennst du gegen Wände…
Rennst du gegen Wände, Mann, was soll der Stuß?! Irgendwann ist Ende, irgendwann ist Schluß. Gestern noch paar Lieder, allemann zusamm; und schon seid ihr wieder raus aus dem Programm. Kommt´n Interviewer, fragt nach´m Lebenssinn, hau dem Wichtigtuer Portion Hackfleisch hin! Denkt er dann, er hätt was – sagnwermal Substanz – Du und ein zartes Etwas fliehen außer Lands. Bon voyage, euch beiden rund um Welt und Uhr – Liebe geht mit Leiden um wie von Natur. |
Matthias Politycki:
Touristen
Immer sitzen sie vor den falschen Cáfes und warten auf die große Fremde, immer finden sie alles zu teuer, immer, im Vergleich zum Prospekt, enttäuscht: Man kann’s ihnen einfach nicht recht machen. Immer sind es ihrer zu viele und reich gesegnet obendrein mit Socken, immer stellen sie die gleichen Fragen, immer versichern sie einander der gleichen Antworten: Sie können’s uns einfach nicht recht machen. |
Kurt Tucholsky:
Die Kronprinzenbühne
Sieh da, sieh da: am preuß’schen Hof erblickt man einen Musenschwof. Man spielt beim Sohn vom Vater Theater. Die kleine Zote, lieb und nett, wird blank poliert für das Parkett – und, was der Gallier schildert, gemildert. Auch fühlt man sich beträchtlich wohl im reinlichen Salontirol. Der Dichter schwingt im Gmüatl ’s Hüatl. Und auch die Tonkunst ist allhier: da hinten trommelt am Klavier für viele Pinke-Pinke Paul Lincke. Und alles ist im Ordensfrack … Nur leider fehlt der Kunstgeschmack. Nun, man behilft sich ohne beim Sohne, Sohne, Sohne – beim Sohne. |
Karlchen Kopp:
Frühe Liebe
Meine erste Zigarette kam von Annette. Wir rauchten hinter einem Strauch, worauf Sie mir erst ihren Bauch, dann ihre Brüste sehen ließ. Ich hatte sowas noch nie gesehen. Alles begann sich um mich zu drehen. Ich weiß nicht – kam das von Annette Oder wars die Zigarette? |
Wilhelm Busch
Der Gefällige
Die Grete steigt zum Hühnernest. Der Hansel hält die Leiter fest. Die Leiter bricht von dem Gewicht. Erfreulich ist’s für beide nicht. |
Ludwig Thoma:
An der Riviera
An der langen Tafel sind wir gesessen Im Hotel. Und ich muß sagen, Man hat da wirklich vortrefflich gegessen, Auch über das Trinken war nicht zu klagen. Alle Leute, die wir gesehen, – Man hätte das gar nicht zu sagen brauchen – Schifften erst kurz in die Häfen der Ehen; Es waren Deutsche mit ihren Frauchen. Die Männchen sind sichtlich sehr stolz gewesen Über alles, was bereits vorgefallen; In den Siegerblicken war es zu lesen, Sie zeigten es gerne und öffentlich allen. Die Frauchen bewiesen mit leuchtenden Blicken, Daß sie das Mädchenhafte bezwungen Und fähig waren, so ganz zu beglücken Die Männchen, welche sie sich errungen. Und daß sie endlich begehen dürften, Was sie bis jetzt als verboten kannten – Und daß sie mit Freuden die Wonnen schlürften, Auch durchaus nicht abscheulich fanden. Es wurde mit Blicken herumgeschmissen, So ganz, als ob sie alleinig seien Mit den geheimen Verständnissen Und den gesetzlichen Schweinigeleien. |
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