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the grip 14.05.2015 14:57

Wilhelm Busch:
 
Reue

Die Tugend will nicht immer passen,
Im ganzen läßt sie etwas kalt,
Und daß man eine unterlassen,
Vergißt man bald.

Doch schmerzlich denkt manch alter Knaster,
Der von vergangnen Zeiten träumt,
An die Gelegenheit zum Laster,
Die er versäumt.

the grip 18.05.2015 08:58

Karl Mickel:
 
Maischnee

Sie sagte nichts, als ich ihr offen sagte:
„Es hängt von mir ab, wann ich wieder geh“
Ihr damit sagend, anstatt daß ich klagte
Wie gern ich sie besäh von Kopf bis Zeh.

Der Regen wärmte, als wir raschen Schrittes
Uns suchten einen Ort, daß dies gescheh.
Da sagte sie: „Nur dieses und kein Drittes:
Bis morgen oder bis zum ersten Schnee.“

Sie lag im weißen Laken und sie litt es.
Erst nach der ersten Frühe sprach sie: „Ach
Ich bin ein Haus mit siebenfachem Dach.“
Dann sahen wir: Es schneite.
Sie bestritt es.

Ich merkte wohl: Es ist mit ihr was Bittres.
Und war zum Gehen wiederum zu schwach.

the grip 19.05.2015 14:30

Christian Morgenstern:
 
Der Sperling und das Känguru

In seinem Zaun das Känguru –
es hockt und guckt dem Sperling zu.

Der Sperling sitzt auf dem Gebäude –
doch ohne sonderliche Freude.

Vielmehr, er fühlt, den Kopf geduckt,
wie ihn das Känguru beguckt.

Der Sperling sträubt den Federflaus –
die Sache ist auch gar zu kraus.

Ihm ist, als ob er kaum noch säße …
Wenn nun das Känguru ihn fräße?!

Doch dieses dreht nach einer Stunde
den Kopf, aus irgend einem Grunde,

vielleicht auch ohne tiefern Sinn,
nach einer andern Richtung hin.

the grip 21.05.2015 12:12

Charles Bukowski:
 
Ohne Titel

Alle Theorien
wie Klischees
verpufft; all die
kleinen Gesichter
wie sie aufschauen
so gläubig und schön;
mir ist nach Heulen
aber Kummer ist
blöd. Ich möchte
glauben können
doch glauben ist
ein Friedhof.
Wir haben es auf
dem Punkt:
Schlachtermesser und Spottdrossel.
Wünsch uns
Glück

the grip 22.05.2015 10:52

Shakespeare:
 
Cupido warf die Fackel hin, und schlief;
Ein Mädchen der Diana stahl den Fang,
Und taucht der Liebe Feuerzunder tief
In einen kalten Quell, der dort entsprang.
Alsbald durchdrang vom heil’gen Brand die Wellen
Für alle Zeit lebendig rege Glut,
Und ward ein siedend Bad, in schlimmen Fällen
Der Menschen letzte Hülf’ und höchstes Gut.
Doch – die an Liebchens Blick frisch angefachte Kerze
Hielt mir aufs Herz der Knabe zum Versuch;
Daß ich, erkrankend von dem heißen Schmerze,
Ein trüber Gast, mich nach dem Bade trug.
Doch half mir’s nicht: Die Bäder, die mir taugen,
sind Amors Feuerquellen, Liebchens Augen.

the grip 23.05.2015 17:14

Matthias Beltz:
 
Videonette

Hier mit dieser Löwenkralle,
mach ich meine Feinde alle,
und mit dem beschuhten Fuß
tret ich Gegner gern zu Mus.
Selbst mein Hang zur Liebe
Spielt mit dem Todestriebe.
Denn der Aggressionsverzicht
Führt zu Rheuma, Krebs und Gicht.

the grip 24.05.2015 17:02

Gottfried Keller:
 
Berliner Pfingsten

Heute sah ich ein Gesicht,
Freudevoll zu deuten:
In dem frühen Pfingstenlicht
Und beim Glockenläuten
Schritten Weiber drei einher,
Feierlich im Gange,
Wäscherinnen fest und schwer,
Jede trug 'ne Stange.

Mädchensommerkleider drei
Flaggten von den Stangen,
Schönre Fahnen, stolz und frei,
Als je Krieger schwangen;
Frisch gewaschen und gesteift,
Tadellos gebügelt,
Blau und weiss und rot gestreift,
Wunderbar geflügelt!

Lustig blies der Wind, der Schuft,
Falbeln auf und Büste,
Und mit frischer Morgenluft
Füllten sich die Brüste;
Und ich sang, als ich gesehn
Ferne sie entschweben:
„Auf und lasst die Fahnen wehn,
Lustig ist das Leben!“

the grip 26.05.2015 12:15

Erich Mühsam:
 
Dämmerung

Traurig ist's und jämmerlicht,
Wenn der Mensch im Dämmerlicht
Früh den Weg nach Hause sucht
Und dabei die Welt verflucht.

Aus dem grauen Pflasterstein
Grinst Verzweiflung, Laster, Pein,
Und vom schwanken Lampenpfahl
Flackert Aberwitz und Qual.

In des Menschen bangem Leid
Stöbert die Vergangenheit –
Und er steigt voll Scham und Schmach
Einer späten Hure nach.


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