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the grip 23.09.2014 10:19

Ludwig Thoma:
 
Warnung

Die Welt will euch so schön bedünken
Weil euch die junge Freiheit lacht;
Ihr wollt in ihrem Schoß versinken.
So hab‘ ich auch einmal gedacht.

Den Weg, den ihr im Jugendprangen
Mit freudevollem Herzen zieht;
Auch ich bin ihn einmal gegangen,
Obschon ich besser ihn vermied.

Die Blumen, die am Rande blühten,
Ich hab‘ nach ihnen mich gebückt,
Und – davor möcht‘ ich euch behüten –
Ich habe manche mir gepflückt.

Ich könnt‘ euch gute Warnung geben,
Jedoch ich weiß, ihr hört mich nicht,
Man kennt die Rosen, wie das Leben,
Nur, wenn man ich an ihnen sticht.

the grip 25.09.2014 11:02

Joachim Ringelnatz:
 
Reklame

Ich wollte von gar nichts wissen.
Da habe ich eine Reklame erblickt.
Die hat mich in die Augen gezwickt
Und ins Gedächtnis gebissen.

Sie predigte mir von früh bis spät
Laut öffentlich wie im stillen
Von der vorzüglichen Qualität
Gewisser Bettnässer-Pillen.

Ich sagte: "Mag sein! Doch für mich nicht! Nein, nein!
Mein Bett und mein Gewissen sind rein!"

Doch sie lief weiter hinter mir her.
Sie folgte mir bis an die Brille.
Sie kam mir aus jedem Journal in die Quer
Und säuselte: "Bettnässer-Pille."

Sie war bald rosa, bald lieblich grün.
Sie sprach in Reimen von Dichtern.
Sie fuhr in der Trambahn und kletterte kühn
Nachts auf die Dächer mit Lichtern.

Und weil sie so zähe und künstlerisch
Blieb, war ich ihr endlich zu Willen.
Es liegen auf meinem Frühstückstisch
Nun täglich zwei Bettnässer-Pillen.

Die ißt meine Frau als "Entfettungsbonbon".
Ich habe die Frau belogen.
Ein holder Frieden ist in den Salon
Meiner Seele eingezogen.

the grip 26.09.2014 15:12

Wilhelm Busch:
 
Dilemma

Das glaube mir – so sagte er –
Die Welt ist mir zuwider,
Und wenn die Grübelei nicht wär,
So schöß ich mich darnieder.

Was aber wird nach diesem Knall
Sich späterhin begeben?
Warum ist mir mein Todesfall
So eklig wie mein Leben?

Mir wäre doch, potzsapperlot,
Der ganze Spaß verdorben,
Wenn man am Ende gar nicht tot,
Nachdem daß man gestorben.

the grip 28.09.2014 11:41

Wolf Wondratschek:
 
Der Seiltänzer

Fallen ist fürchterlich,
fürchterlicher aber der Zweifel.
Ein Publikum gäbe es nicht,
verlöre nicht manchmal einer sein Gleichgewicht
und stürzte in den Tode.
Nur ein Sturz macht der Menschenmenge klar,
daß kein Trick dabei war.
Doch dann liegt eine Leiche auf dem Asphalt –
und deren Wahrheitsgehalt überzeugt sie.
Sie weichen staunend zurück
und nehmen ihn mit in den Schlaf,
bevor ihn ein Wind in die Seite traf.

the grip 30.09.2014 10:33

Heinz Erhardt:
 
Bilanz

Wir hatten manchen Weg zurückgelegt,
wir beide, Hand in Hand.
Wir schufteten und schufen unentwegt
und bauten nie auf Sand.
Wir meisterten sofort, was uns erregt,
mit Herz und mit Verstand.
Wenn man sich das so richtig überlegt
dann war das allerhand.

the grip 01.10.2014 12:19

Heinz Erhardt:
 
Alterserscheinung

Nicht immer schon war ich so alt –
das machten erst die Jahre.
Die Stirne wuchs, nicht der Verstand
im Laufe meiner Haare.

Ich hatte großes Glück bei Frau‘n –
ja, mir gefiel fast jede.
Man sieht hieraus, wie alt ich bin,
weil ich gern drüber rede ...

the grip 05.10.2014 11:28

Wolf Wondratschek:
 
Eifersucht

Da saß ich
Und war eifersüchtig.
Ich war eifersüchtig wie
ein zu kurz geratener Mexikaner.
Ich war krank vor Eifersucht
und größenwahnsinnig vor Selbstmitleid
und die Pulsadern warfen Schatten
an die Wand.

Ich mußte raus hier –
und kam erst am nächsten
Morgen wieder zurück.

Da saß sie:
Eifersüchtig,
krank vor Eifersucht
und bewarf mich mit
weichen Kissen.

Ich wollte ihr alles erklären, alles –
nur das eine nicht: daß ich ebenfalls
eifersüchtig gewesen war.
Und deshalb begann ich zu lügen;
Und bald stimmte die ganze Geschichte
Nicht mehr – und dann
Packte sie ihre Koffer.

In jener Nacht
war sie zärtlich und
sprach davon, daß sie mich
eines Tages umbringen wird.
Ich war auch zärtlich und sagte,
ich auch.

the grip 07.10.2014 10:42

Ringelnatz:
 
Dorthin geh, wo die Andern nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.

Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Daß – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Daß du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.


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