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Ringelnatz
Die Geburtenzahl
Ging herunter, Traf der Pfarrer im Tal Nachts noch munter. Heidel da diedel dumm Wie war es schön im Tal! Aufwärts steigt wiederum Bald die Geburtenzahl. Und dann lächelt alles froh Im statistischen Büro. |
Goethe ...
Eine einzige Nacht an deinem Herzen! – Das andre
Gibt sich. Es trennet uns noch Amor in Nebel und Nacht. Ja, ich erlebe den Morgen, an dem Aurora die Freunde Busen an Busen belauscht, Phöbus, der frühe, sie weckt. |
Ringelnatz
"Sie faule, verbummelte Schlampe,"
Sagte der Spiegel zur Lampe. "Sie altes, schmieriges Scherbenstück," Gab die Lampe dem Spiegel zurück. Der Spiegel in seiner Erbitterung Bekam einen ganz gewaltigen Sprung. Der zornigen Lampe verging die Puste. Sie fauchte, rauchte, schwelte und rußte. Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe, Und doch: Ihr schob man die Schuld in die Schuhe. |
Ein Gedicht mit einer Lampe passt ja heute perfekt :Lachen2:
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Goethe ...
Hab ich tausendmal geschworen,
Dieser Flasche nicht zu trauen, Bin ich doch wie neugeboren, Läßt mein Schenke fern sie schauen. Alles ist an ihr zu loben, Glaskristall und Purpurwein. Wird der Pfropf herausgehoben – Sie ist leer, und ich nicht mein. Hab ich tausendmal geschworen, Dieser Falschen nicht zu trauen, Und doch bin ich neugeboren, Läßt sie sich ins Auge schauen. Mag sie doch mit mir verfahren, Wie’s dem stärksten Mann geschah; Deine Scher in meinen Haaren, Allerliebste Dalila! |
Axel Marquardt
Was weiß ich
Lieb ich Dich? Ich weiß es nicht. Gestern Abend um halb acht hab ich es mal kurz gedacht aber schon um Viertel vor kam's mir unwahrscheinlich vor. Dann eine halbe Stunde lang – anhaltender Liebesdrang, der drauf der Überzeugung wich: Ich lieb dich nicht. Ach, was weiß ich… |
Heinrich Heine
Ich wohnte früher weit von hier,
Zwei Häuser trennen mich jetzt von Dir: Es kam mir oft schon in den Sinn Ach! wärst Du meine Nachbarin. |
Heute so großzügig, grip?
Vielen Dank? J., die noch nicht zum Präsentversand gekommen ist. |
Kästner
Damentoast im Obstgarten
Casanova sprach lächelnd zu seinen Gästen: „Mit den Frauen ist es, ich hoffe, ihr wisst es, wie mit den Äpfeln rings an den Ästen. Die schönsten schmecken nicht immer am besten.“ |
Axel Marquardt
Nein, nein, ich widerspreche!
Sie widersprechen mir, mein Herr? Nein, Gott bewahre, Ihrem Nachbarn! Dem hier zur Rechten wohl gar? O nein, wie käm ich denn dazu, niemals! So dem zur Linken, sagen Sie schon! Iwo, iwo, dem linken nicht und nicht dem rechten. Da kenn sich einer aus, sagten Sie nicht soeben, dass Sie widersprächen? Wie? Sagte ich, ich widerspräche? Das muss ich aber glatt verneinen. |
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Marquardt ist genial. Danke, grip.
Das "Was weiß ich" auf der letzten Seite ist eins meiner Lieblingsgedichte. |
Zitat:
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Wie passend für Internetforen !
Was für ein Neuling ist doch Der, welcher wähnt, Geist und Verstand zu zeigen wäre ein Mittel, sich in Gesellschaft beliebt zu machen!
Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. |
Zugabe zum Herbst: Wilhelm Müller
Wilhelm Müller:
Herbst In den Reben lieg ich hier, Grün und gelb umrankt, Wo die schwere Traube mir Um die Lippen wankt. Netze sie mit frischer Kost, Herbst, ich wittre was – Hast du denn noch keinen Most, Alter Herr, im Faß? Ist es noch nicht Kelterzeit In dem Garten hier? Mach dich, Winzerin, bereit Und komm her zu mir. Traub an Traube dränget sich Deinen Händchen zu, Bittend: Ach, zerdrück mich, schönes Mädchen du! |
Frank Schulz
Der Affe
Zausen einer Vogelscheuche, angedrohte Maulschellen… Des Affen Sitten und Gebräuche sind die durchaus konventionellen. Haarig ist er. (Weil entbehrlich, afterwärts jedoch bloß spärlich.) Der Affe gafft gern, feixt – und saust den Affenweibchen hinterher, nachdem er sie galant gelaust. Die Folge meist: Geschlechtsverkehr. |
Ringelnatz
Der Globus
„Wo sitzt“, frug der Globus leise Und naseweis die weise, weiße, Unübersehbar weite Wand, „Wo sitzt bei uns wohl der Verstand?“ Die Wand besann sich eine Weile, Sprach dann: „Bei dir – im Hinterteile!“ Nun dreht seitdem der Globus leise Sich um und um herum im Kreise – Als wie am Bratenspieß ein Huhn, Und wie auch wir das schließlich tun – Dreht stetig sich und sucht derweil Sein Hinterteil, sein Hinterteil. |
Erich Kästner
Stimme von der Galerie
Die Welt ist ein Theaterstück. Spielt eure Rollen gut! Ihr spielt ums Leben. Seid Freund! Seid Feind! Habt Macht! Habt Glück! Ich spiel nicht mit. In jedem Stück muß es auch Menschen, die bloß zuschaun, geben. Und wenn das Stück mißfällt, so laßt mich schließen, ist das noch längst kein Grund, aufs Publikum zu schießen. |
Wie ist das bei dir:
Fällt dir bei deinem aufmerksamen Gang durchs Leben in bestimmten Situationen tatsächlich ein bestimmtes Gedicht ein, das du dir mal gemerkt hast und das zu passen scheint, und du stellst es dann hier rein? Oder liest du regelmäßig Gedichte, zum Beispiel Kästner, und eines davon hat einfach Glück und landet hier? Würde mich interessieren. Vielleicht hätten wir uns in Sölden nicht nur kurz die Hand geben sollen. Aber es war halt auch wenig Zeit. |
Zitat:
Vielleicht kreuzen sich unsere Wege 2011/2012 bald wieder. Nein - aufm Oktoberfest bestimmt nicht. |
Johann Wolfgang von Goethe
Nachgefühl
Wenn die Reben wieder blühen, Rühret sich der Wein im Fasse; Wenn die Rosen wieder glühen, Weiß ich nicht, wie mir geschieht. Thränen rinnen von den Wangen, Was ich thue, was ich lasse; Nur ein unbestimmt Verlangen Fühl‘ ich, das die Brust durchglüht. Und zuletzt muß ich mir sagen, Wenn ich mich bedenk‘ und fasse, Daß in solchen schönen Tagen Doris einst für mich geglüht. |
Ringelnatz
Flie und Ele
Fliegend entfernten sich die Fliegen. Doch ließen sie auf Ei und Kaviar Zwei, drei, vier Fliegenexkremente liegen. Die aß der Mensch und ward es nicht gewahr. Ein Elefant bemerkte diesen Fall Und rollte einen schweren, goldnen Ball Nicht ohne leises Lächeln durch den Stall. |
Heinrich Heine
Unterwelt/I
Blieb ich doch ein Junggeselle! – Seufzet Pluto tausendmal – Jetzt, in meiner Ehstandsqual, Merk ich, früher ohne Weib War die Hölle keine Hölle. Blieb ich doch ein Junggeselle! Seit ich Proserpine hab, Wünsch ich täglich mich ins Grab! Wenn sie keift, so hör ich kaum Meines Cerberus Gebelle. Stets vergeblich, stets nach Frieden Ring ich. Hier im Schattenreich Kein Verdammter ist mir gleich! Ich beneide Sisyphus Und die edlen Danaiden. |
Ringelnatz
Der Briefmark
Ein männlicher Briefmark erlebte Was Schönes, bevor er klebte. Er war von einer Prinzessin beleckt. Da war die Liebe in ihm erweckt. Er wollte sie wiederküssen, Da hat er verreisen müssen. So liebte er sie vergebens. Das ist die Tragik des Lebens … |
Heinrich Heine
Unterwelt/II
Auf goldenem Stuhl, im Reiche der Schatten, Zur Seite des königlichen Gatten, Sitzt Proserpine Mit finstrer Miene, Und im Herzen seufzte sie traurig: Ich lechze nach Rosen, nach Sangesergüssen Der Nachtigall, nach Sonnenküssen – Und hier unter bleichen Lemuren und Leichen Mein junges Leben vertraur ich! Bin festgeschmiedet am Ehejoche, In diesem verwünschten Rattenloche! Und des Nachts die Gespenster, Sie schaun mir ins Fenster, Und der Styx, er murmelt so schaurig! Heut hab ich den Charon zu Tische geladen – Glatzköpfig ist er und ohne Waden – Auch die Totenrichter, Langweilge Gesichter – In solcher Gesellschaft versaur ich. |
Wilhelm Busch
Beim Lesen des Paleo Freds kamen mir irgendwie diese in den Sinn:
Laß ihn Er ist verliebt, laß ihn gewähren, Bekümmre dich um dein Pläsier, Und kommst du gar, ihn zu bekehren, Wirft er dich sicher vor die Tür. Mit Gründen ist da nichts zu machen. Was einer mag, ist seine Sach, Denn kurz gesagt: In Herzenssachen Geht jeder seiner Nase nach. Rechthaber Seine Meinung ist die rechte, Wenn er spricht, müßt ihr verstummen, Sonst erklärt er euch für Schlechte Oder nennt euch gar die Dummen. Leider sind dergleichen Strolche Keine seltene Erscheinung. Wer nicht taub, der meidet solche Ritter von der eignen Meinung. |
:Blumen:
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Joachim Ringelnatz
Avant-propos
Ich kann ein Buch doch nennen wie ich will Und orthographisch nach Belieben schreiben! Wer mich nicht lesen mag, der laß es bleiben. Ich darf den Sau, das Klops, das Krokodil Und jeden andern Gegenstand bedichten, Darf ich doch ungestört daheim Auch mein Bedürfnis, wie mir’s paßt, verrichten. Was könnte mich zu Geist und reinem Reim, Was zu Geschmack und zu Humor verpflichten? – Bescheidenheit? – captatio – oho! Und wer mich haßt, –– sie mögen mich nur hassen! Ich darf mich gründlich an den Hintern fassen Sowie an den avant-propos. |
@ pumuggel:
Danke! :Blumen: J. |
Nochmal W. Busch
Zitat:
Zitat:
Geschmacksache Dies für den und das für jenen. Viele Tische sind gedeckt. Keine Zunge soll verhöhnen, Was der andern Zunge schmeckt. Lasse jedem seine Freuden, Gönn ihm, daß er sich erquickt, Wenn er sittsam und bescheiden Auf den eignen Teller blickt. Wenn jedoch bei deinem Tisch er Unverschämt dich neckt und stört, Dann so gib ihm einen Wischer, Daß er merkt, was sich gehört. Ich hoffe the grip stört es nicht, wenn ich hier auch ab und an mal... |
The grip:
Ich fürchte ja, dass auch die anderen Teile von Heines Unterwelt noch folgen... Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du sie mit Ringelnatz umgibst. |
Heinrich Heine
Solidität
Liebe sprach zum Gott der Lieder, Sie verlange Sicherheiten, Ehe sie sich ganz ergebe, Denn es wären schlechte Zeiten. Lachend gab der Gott zur Antwort: Ja, die Zeiten sich verändern, Und du sprichst jetzt wie ein alter Wuchrer, welcher leiht auf Pfändern. Ach, ich hab nur eine Leier, Doch sie ist von gutem Golde. Wieviel Küsse willst du borgen Mir darauf, o meine Holde? |
Joachim Ringelnatz
Zitat:
Die Schnupftabaksdose Es war eine Schnupftabaksdose, Die hatte Friedrich der Große Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz. Und darauf war sie natürlich stolz. Da kam ein Holzwurm gekrochen, Der hatte Nußbaum gerochen. Die Dose erzählte ihm lang und breit Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit. Sie nannte den alten Fritz generös. Da aber wurde der Holzwurm nervös Und sagte, indem er zu bohren begann: "Was geht mich Friedrich der Große an!" |
Zitat:
Es war ja eher ein versteckter Wunsch. |
Heinz Erhardt:
Die Made
Hinter eines Baumes Rinde wohnt die Made mit dem Kinde. Sie ist Witwe, denn der Gatte, den sie hatte, fiel vom Blatte. Diente so auf diese Weise einer Ameise als Speise. Eines Morgens sprach die Made: „Liebes Kind, ich sehe grade, drüben gibt es frischen Kohl, den ich hol. So leb denn wohl! Halt, noch eins! Denk, was geschah, geh nicht aus, denk an Papa!“ Also sprach sie und entwich. - Made junior aber schlich hinterdrein; und das war schlecht! Denn schon kam ein bunter Specht und verschlang die kleine fade Made ohne Gnade. Schade! Hinter eines Baumes Rinde ruft die Made nach dem Kinde ... |
Heinrich Heine
K.-Jammer
Diese graue Wolkenschar Stieg aus einem Meer von Freuden; Heute muß ich dafür leiden, Daß ich gestern glücklich war. Ach, in Wermut hat verkehrt Sich der Nektar! Ach, wie quälend Katzenjammer, Hundeelend Herz und Magen mir beschwert. |
Kästner, aus aktuellem Anlaß
Der November
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor … Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben. Die Wälder weinten. Und die Farben starben. Nun sind die Tage grau wie nie zuvor. Und der November trägt den Trauerflor. Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor. Die letzten Kränze werden feilgeboten. Die Lebenden besuchen ihre Toten. In der Kapelle klagt ein Männerchor. Und der November trägt den Trauerflor. Was man besaß, weiß man, wenn man’s verlor. Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen. Es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen. Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor. Und der November trägt den Trauerflor … |
Lessing (nein, nicht der Simon):
Antwort eines trunknen Dichters
Ein trunkner Dichter leerte Sein Glas auf einen Zug; Ihn warnte sein Gefährte: Hör' auf! du hast genug. Bereit vom Stuhl zu sinken, Sprach der: Du bist nicht klug; Zu viel kann man wohl trinken, Doch nie trinkt man genug. |
Heine ...
Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort; Sie streicht das Haar dir von der Stirne Und küßt dich rasch und flattert fort. Frau Unglück hat im Gegenteile Dich liebefest ans Herz gedrückt; Sie sagt, sie habe keine Eile, Setzt sich zu dir ans Bett und strickt. |
Sehr schön! :)
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