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Christian Morgenstern:
Geburtsakt der Philosophie
Erschrocken schaut der Heide Schaf mich an, als säh's in mir den ersten Menschenmann. Sein Blick steckt an; wir stehen wie im Schlaf; mir ist, ich säh zum ersten Mal ein Schaf. |
Wilhelm Busch:
Kritik des Herzens
Er stellt sich vor sein Spiegelglas Und arrangiert noch dies und das. Er dreht hinaus des Bartes Spitzen, Sieht zu, wie seine Ringe blitzen, Probiert auch mal, wie sich das macht, Wenn er so herzgewinnend lacht, Übt seines Auges Zauberkraft, Legt die Krawatte musterhaft, Wirft einen süßen Scheideblick Auf sein geliebtes Bild zurück, Geht dann hinaus zur Promenade, Umschwebt vom Dufte der Pomade, Und ärgert sich als wie ein Stint, Daß andre Leute eitel sind. |
Bukowski:
Such
Der Hund springt aufs Bett und robbt über mich. "Weißt du das Wort?" frage ich ihn. Er gibt keine Antwort. "Weißt du das Wort? Ich such das richtige Wort." Er sieht mich mit seinen ernsten Braunen Augen an. "Ich warte auf das richtige Wort" erkläre ich ihm. "Ich komme mir vor als würde ich durch eine große heiße Bratpfanne schnalzen." Er wedelt und versucht, mein Gesicht zu lecken. "Hör mal", ruft sie aus dem Bade- zimmer, "kommst du jetzt endlich aus den Federn und hörst auf, mit dem Hund zu reden?!" Meine Eltern haben mich auch nie verstanden. |
Ein paar Zeilen aus dem Journal der Brüder Goncourt:
Seltsam, das literarische Leben!
Bei jedem Band die Furcht vor etwas Unangenehmen; jede Veröffentlichung eine Gefahr. Die Furcht, nicht genug Erfolg zu haben, oder, wenn er zu groß ist, die wie es weitergehen soll. |
Ringelnatz:
Im dunklen Erdteil Afrika
Starb eine Ziehharmonika. Sie wurde mit Musik begraben. Am Grabe saßen zwanzig Raben. Der Rabe Num’ro einundzwanzig Fuhr mit dem Segelschiff nach Danzig Und gründete dort etwas später Ein Heim für kinderlose Väter. Und die Moral von der Geschicht? – Die weiß ich leider selber nicht. |
Wiglaf Droste:
Es wird Frühling – alles schimmert
Nur die Kiefer quietscht und wimmert Jammert über Winterschäden Muß zum Kieferorthopäden |
Goethe:
Wenn ich mir in stiller Seele
Singe leise Lieder vor: Wie ich fühle, daß sie fehle, Die ich einzig mir erkor – Möcht ich hoffen, daß sie sänge, Was ich ihr so gern vertraut; Ach, aus dieser Brust und Enge Drängen frühe Lieder laut. |
Erich Kästner:
Offener Brief an Angestellte
Vorgesetzte muss es geben. Angestellte müssen sein. Ordnung ist das halbe Leben. Brust heraus und Bauch hinein! Vorgesetzte tragen feiste Bäuche unter dem Jackett. Feist ist an dem Pack das meiste, und sie gehn nur quer ins Bett. Sie sind fett aus Überzeugung. Und der bloße Anblick schon zwingt uns andre zur Verbeugung. Korpulenz wird Religion! In den runden Händen halten sie Zigarren schussbereit. Jede ihrer Prachtgestalten wirkt, als wären sie zu zweit. Manche sagen (wenn auch selten), sie verstünden unsre Not. Und wir kleine Angestellten schmieren uns den Quatsch aufs Brot. Atemholen sei nicht teuer, sagen sie, und nahrhaft auch! Und dann hinterziehn sie Steuer und beklopfen sich den Bauch. Nagelt ihnen auf die Glatzen kalten Braten und Coupons! Blast sie auf, und wenn sie platzen! Gibt es schönre Luftballons? Laßt sie steigen und sich blähen, über Deutschland, hoch im Wind! Bis sie alles übersehen, weil sie Aufsichtsräte sind. Wenn sie eines Tags verrecken, stopft sie aus und weckt sie ein! Tiere kann man damit necken, Kinder kann man damit schrecken, aber euch? Ich hoffe: Nein! |
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