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Vollständige Version anzeigen : Welche Teile auswechseln?


Joerg aus Hattingen
15.08.2024, 20:12
Ich bin letzte Tage unaufmerksam mit der linken Lenkerseite in eine Strebe eines Brückengeländers gerauscht. Tempo ca. 20km/h. Das Rad stoppte natürlich sofort, das Vorderrad schlug nach links zum Geländer hin und ich nahm den kurzen Abgang zur Seite. Nach kurzer Durchsicht stellte sich heraus, die Position des linken Bremsschalthebels hat sich verdreht und das unversehrte Vorderrad steht in der Gabel, diese um ca 30° versetzt zur Vorbaurichtung.
Mir stellt sich nun die Frage was ich auswechseln muss? Den Lenker auf jeden Fall, den Vorbau werde ich ebenfalls tauschen. Wie sieht das mit dem Gabelschaft aus? Der wurde in dem Vorbau tordiert. Ich kann nicht einschätzen, ob der Schaft durch die Reibung eine Schwächung erlitt und evtl bei der nächsten Belastung bricht. Ich habe den Vorbau noch nicht demontiert.

Vielen Dank für Tipps im Voraus.
Joerg

dr_big
15.08.2024, 20:32
Wenn du selbst nicht entscheiden kannst, dann bleibt wohl nur der Gang zum Fachmann.
Falls du wirklich auf Hinweise aus dem Forum hoffst wären weitere Daten hilfreich: Welches Rad? Drop-Bar, Flat-Bar, Base-Bar? Fotos? Material der Komponenten? Sichtbare Spuren (Risse, Dellen, Macken)?

Adept
15.08.2024, 21:40
Ich würde erstmal gar nichts tauschen, wenn es keine sichtbaren Schäden hat. Dazu würde ich die Teile mal im Stand belasten, verdrehen und schauen was passiert.

Ich bin früher in einem Radteam gefahren und Stürze waren an der Tagesordung, da wurde nur getauscht, wenn es wirklich kaputt war. Nie was gehört, dass bei jemanden dann plötzlich das Material auf Grund eines Sturzes nachgegeben hat.

Musst aber selbst entscheiden.

Siebenschwein
15.08.2024, 22:56
Ja, würde ich auch empfehlen: erstmal Sichtprüfung und statischer Belastungstest im Stand, dann entscheiden, ob da was getauscht werden muss.
Im Zweifelsfall zum Fachmann. Der wird sich aber eventuell auch den Schuh nicht anziehen, Dir eine Garantie zu geben. Ausserdem wittert er eventuell ein gutes Geschäft ( wobei es natürlich auch ehrliche Leute gibt in dem Geschäft).

thomas_g
16.08.2024, 11:15
Ich vermute, ein Fachmann wird Dir keinen Freibrief ausstellen, weil dann das Risiko für die Haftung bei ihm bleiben könnte.

An Deiner Stelle würde ich nach folgender (umgekehrter) Logik vorgehen: Welche Teile würdest Du gebraucht kaufen, wenn Du wüsstest, dass sie zuvor in einen solchen Sturz verwickelt waren? Einen Lenker würde ich z.B. lieber neu kaufen, beim Umwerfer hätte hingehen weniger Bedenken. Auf diese Weise kannst Du eine Liste der Teile erstellen, denen Du vertraust.

Letztlich ist es ein Abwägen wie viel Geld Du für ein gutes Gefühl bezahlen möchtest. Und selbst mit einem komplett neuen Fahrrad bist Du nicht sicher, denn viele Unfälle passieren durch eigene und fremde Fahrfehler.

sybenwurz
16.08.2024, 11:38
Das ist doch alles Fischen im Trüben.
Prinzipiell kannste bei Carbon davon ausgehen, dass du entweder klar nen Bruch erkennst oder wenn nicht, es ne Delaminierung geben kann. Die macht sich aber in der Regel durch Geräusche bemerkbar., weil die nun voneinander getrennten Faserlagen aneinanderreiben.
Ausgestattet mit diesem Wissen ist es nun ne Frage deines Nervenkostüms, wie weit du nach ner ordentlichen Inaugenscheinnahme aller beteiligten Komponenten im Hinblick darauf noch fahren kannst.
Syntace sagt beispielsweise zu den eigenen Produkten: nen Sturz den du überstehst, übersteht auch deren Material.
Das ist natürlich nicht sehr wissenschaftlich und dehnbar dazu, aber letztlich wird sich auch in ner Werkstatt niemand den Schuh anziehen wollen, dir ne Garantie geben zu wollen, statt 'aus Sicherheitsgründen' alles neu zu verkaufen.
Weil, du willst ja nicht schlaflose Nächte irgendwann, weilst hundert Kunden mit geschredderter Plaste leichten Herzens weitergeschickt hast.
Und ne fachgerechte Prüfung durch bildgebende Massnahmen kostet halt bei Lenker/Gabel schnell mehr als das betreffende Bauteil.
Andererseits zeigt die Erfahrung, dass Materialversagen im Bereich Vorderrad, Gabel, Vorbau oder Lenker eher zu den ungemütlicheren Szenarien gehört, die Kunden, wenn sie es überleben, das Wrack in der Regel nicht selbst in die Werkstatt bringen, und wenn sie es wieder abholen, immer noch nicht wirklich gut aussehn.
Bleibt also schwierig...

MattF
16.08.2024, 11:48
und wenn sie es wieder abholen, immer noch nicht wirklich gut aussehn.
Bleibt also schwierig...

Sehr schön und lebennah beschrieben.

Und zu der Anmerkung zu Syntace: Carbon ist nicht weniger sicher und haltbar als Stahl (halt anders, Stahl verbiegt sich meist, Carbon bricht) und deutlich unproblematischer als Alu.

Alu war an Anfang fast schon unverantwortbar zu benutzen, wobei man hat auch das in den Griff bekommen mit der Zeit.
Alu beult leicht, also bei dünnen Wandstärken, die man wg. des Gewichts ja aber haben wollte, ist es problematisch und es hat ne riesen Kerbwirkung. Das hat z.b. viele Lenker an der Vorbauklemmung gekostet!

Estampie
16.08.2024, 13:08
Alu war an Anfang fast schon unverantwortbar zu benutzen,

Naja, man muss es wie jedes Material richtig einsetzen.
Die meisten Flugzeuge sind aus Aluminium, und das schon sehr lange. Bei sachgemäßer Verwendung hält das auch großen Belastungen Stand, die FW190 oder BF109 waren hauptsächlich aus Alu und bekannterweise recht robust. Falsch eingesetzt wie bei der DH 106 Comet war es eine Katastrophe, aber dafür konnte das Material ja nichts.

Flugzeuge sind MHO kein ganz schlechtes Beispiel weil die Belastungen recht hoch sind, und auch tragende Teile oft aus Alu sind. Ausserdem werden die meist recht lange benutzt.

Ich bin kein ausgesprochener Alu Fan, aber immer nur aufs Material schieben ist auch nicht richtig. :Blumen:

Gruß,
Thomas

Duamax
16.08.2024, 14:43
Naja, man muss es wie jedes Material richtig einsetzen.
Die meisten Flugzeuge sind aus Aluminium, und das schon sehr lange. Bei sachgemäßer Verwendung hält das auch großen Belastungen Stand, die FW190 oder BF109 waren hauptsächlich aus Alu und bekannterweise recht robust. Falsch eingesetzt wie bei der DH 106 Comet war es eine Katastrophe, aber dafür konnte das Material ja nichts.

Flugzeuge sind MHO kein ganz schlechtes Beispiel weil die Belastungen recht hoch sind, und auch tragende Teile oft aus Alu sind. Ausserdem werden die meist recht lange benutzt.

Ich bin kein ausgesprochener Alu Fan, aber immer nur aufs Material schieben ist auch nicht richtig. :Blumen:

Gruß,
Thomas

Der Vergleich passt, doch hat deine Ausführung eigentlich nichts mit dem Punkt von Matt zu tun. Schaut man sich die hochfesten Aluknetlegierungen der 6xxx und 7xxx Serie an, ist die Bruchdehnung nahe 0. Da ist das Bruchverhalten nicht viel anders als Carbon. Dann noch schlampig und nicht belastungsgerecht konstruiert und schon hast du ein Teil, das wirklich schnell versagt. Der von Matt beschriebene Punkt war vielmehr der, dass mit Beginn der Alu-Ära im Radsport die Teile immer noch so konstruiert wurden wie mit Stahl. Das ist halt nicht wirklich optimal. Ähnlich verhält es sich, wenn ich ein Carbonbauteil, wie ein Aluteil konstruiere.

Aber zurück zum Thema; Bei so nem kleinen Unfall anhören, wie der Lenker klingt, draufklopfen und weiterfahren. Da würde ich mir keine Gedanken machen.

Ich bin mal nen Carbonbasebar weitergefahren, der nach nem Crash auf der linken Seite bestimmt 2 Lagen Carbon auf der Straße gelassen hat. Ganz Außen am Lenker ist die Last deutlich niedriger als an der Klemmung. Hat problemlos viele weitere KM gehalten. Hat sich stabil angefühlt und war es auch.
Carbon ist kein rohes Ei, das Zeug hält deutlich mehr aus, als die meisten Leute glauben.

Am Ende ist es aber individuell. Wenn du in jeder Abfahrt den Flattermann bekommst, weil du denkst, der Lenker könnte versagen, ist es besser den Lenker zu tauschen, sonst lenkst du as Versehen noch in den Graben und baust nen richtigen Sturz ohne, dass der Lenker davor kaputt gegangen ist.

MattF
16.08.2024, 14:52
Die meisten Flugzeuge sind aus Aluminium,


Ja weil ein Fahrrad auch ein Flugzeug ist und umgekehrt. :cool:

Mein Vorredner hat ansonsten genug dazu geschrieben. :liebe053:

sybenwurz
16.08.2024, 15:57
Naja, man muss es wie jedes Material richtig einsetzen.
Die meisten Flugzeuge sind aus Aluminium, und das schon sehr lange. Bei sachgemäßer Verwendung hält das auch großen Belastungen Stand, die FW190 oder BF109 waren hauptsächlich aus Alu und bekannterweise recht robust. Falsch eingesetzt wie bei der DH 106 Comet war es eine Katastrophe, aber dafür konnte das Material ja nichts.

Flugzeuge sind MHO kein ganz schlechtes Beispiel weil die Belastungen recht hoch sind, und auch tragende Teile oft aus Alu sind. Ausserdem werden die meist recht lange benutzt.


Das ist so n typischer Apfel-Birnen Vergleich.
Wie hoch war nochmal die zu erwartende Lebensdauer einer FW oder Bf?
Auch der Vergleich zu aktuellem Flugmaterial hinkt.
Hier wie da wird das Material unter völlig anderen Vorzeichen verplant, verbaut, benutzt und gewartet. Für jedes gottverdammte Bauteil an so nem Stratoliner gibts ne aufs Kleinste vorherberechnete Lebensdauer und Austauschgrenze, es gibt (wenn Boeing das nicht grad mal wieder aushebelt) ne nennenswerte Qualitätskontrolle im Gegensatz zu den allermeisten Biketeilezulieferern und die Verarbeitung erfolgt von hochspezialisierten Experten und nicht jedem dahergelaufenen Schlosser oder Lehrling aus der Youtube-Akademie.
Ich kann dir ausm Stegreif ne beliebige Menge Flugzeugbauteile nennen, mit deren Materialien du am Bike keinen Stich machst.
Damit ist nicht automatisch ein Werkstoff, der an einem zwar hoch-, aber dennoch grundsätzlich unterschiedlich konstruiert, belasteten und überwachten Bauteil verwendet wird, für die Verwendung an nem Fahrrad qualifiziert.

Der Einzug von Alu im weitesten Sinne beim Bike folgte schlicht der Erkenntnis, dass man mit dem butterweichen Zeug die Werkzeuge viel länger verwenden und somit günstiger produzieren konnte. Wiedermal.
Welch ein Segen, als man es hinkriegte, das Zeug auch in Grossserie zu verschweissen, statt es wie bei den ersten Versuchen von Alan beispielsweise in Muffen zu kleben wie man zuvor die Stahlrahmen halt in Muffen gelötet hat.
Gottlob hat man dem Material im Laufe der Entwicklung eine deutlich freundlichere Versagenscharakteristik anerziehen können, Stichwort Konifizierung, später mit Hydroforming auf die Spitze getrieben, Legierung oder Wärmebehandlung, sonst würden wir wahrscheinlich heute alle nimmer leben...:Cheese:
Der grundlegende Unterschied zu Stahl ist, dass man mit Stahl unbegrenzt dauerbelastbar bauen kann, mit Alu nicht.
Hier ists notwendig, zu studieren, welche Belastungen ein Bike innerhalb eines Lebenszyklus erfährt, rechnet ne Toleranz drauf und kann bzw. muss auch dann dementsprechend planen. Nennt man dann 'betriebsfest'. Also, man gibt dem Werkstück die benötigten Attribute inkl. ner Sicherheitsspanne mit, die es braucht, und fertig.
Ist beim Flieger, um die Analogie nochmal zu bemühen, haargenauso was die einzelnen Bauteile anbelangt, daher wird so n Vogel eben im Laufe seines Lebens ein paarmal durchgehend runderneuert und wenn das Ding in Arizona dann auf nem Schrottplatz abgestellt wird, sind nur noch ne handvoll Teile die gleichen wie zum Zeitpunkt, als die Büchse in Betrieb ging.

Um letztlich das Carbon noch zu streifen: hier kann man wie mit Stahl dauerfest konstruieren. Meint, wenn man richtig konstruiert, ist das Bauteil ebenso unendlich haltbar wie aus Stahl.
Nur: wo Stahl alles mögliche verzeiht, ist die Plaste halt n Prinzesschen auf der Erbse.

Was aber auf jeden Fall identisch zu Alu ist, sind die Diskussionen und Vorbehalte, die dem neuen Material entgegengebracht wurden und immer noch werden.
Was ich mir heute und seit Jahren über Carbon anhöre, kenne ich alles schon aus den 80ern und 90ern zu Alu.
:Lachen2:

Fazit: jedes Material ist optimal, nur nicht für die gleiche Anwendung, und es kann halt völlig unterschiedlich behandelt werden müssen dazu.

Estampie
17.08.2024, 09:55
Fazit: jedes Material ist optimal, nur nicht für die gleiche Anwendung, und es kann halt völlig unterschiedlich behandelt werden müssen dazu.

Nagut, zumindest da bin ich dabei. Und wie gesagt ich bin ja kein ausgesprochener ALU Fan, mein Lieblingsrad ist immer noch magnetisch. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass Aluminium nicht nur das Material gewordene Böse ist :Blumen: