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Vollständige Version anzeigen : Warum fällt ein rollendes Fahrrad nicht um?


Lutz
25.04.2017, 12:52
In der FAZ ist ein netter Artikel, der das nicht umfallen damit erklärt, dass im Falle des Rollens die Schwerkraft durch Fliehkraft ausbalanciert wird.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/familie/wie-erklaere-ich-s-meinem-kind/warum-man-auf-dem-fahrrad-nicht-umfaellt-14981663.html

Hätte ich auch so geglaubt wenn nicht ein Leserbrief von Harald Merkel -

("Wenn sie mit einem Steinscheibenfahrrad mit 100km/h unterwegs sind, beginnen Kreiseleffekte eine stabilisierende Rolle zu spielen. Die Stabilität des Fahrrads liegt am positiven Gabelwinkel, der eine Lenkbewegung mit einer stabilisierende Seitenlage koppelt. Seit Menschengedenken wird in Mechanikvorlesungen darauf gedrungen, den Begriff "Zentrifugalkraft" zu vermeiden und stattdessen die Kräftebilanz mithilfe der entgegengesetzten Zentripetalkraft zu bilden. Damit kann die Gesamtbetrachtung innerhalb eines Intertialsystems geschehen welches obigem groben Unsinn vorbeugt.)

Den Artikel ad absurdum führen würde. Kann einer der physikalisch gebildeteten mir mal erklären, warum ich nur umfalle, wenn ich zu blöd war aus den Cleats zu komme? Bitte kindgerecht erklären - ich bin Geisteswissenschaftler ;-)

MattF
25.04.2017, 13:27
Lies mal das ich denke da ist es ganz gut erklärt:

http://www.wdr.de/tv/kopfball/sendungsbeitraege/2011/0410/fahrradfahren.jsp

MfG
Matthias

Schwarzfahrer
25.04.2017, 14:22
Ich habe allerdings an diesem Satz Zweifel:
Erstaunlicherweise braucht es nicht einmal einen Fahrer, um das Rad im Gleichgewicht zu halten. In einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich bei etwa 20 km/h schafft das ein Fahrrad nämlich auch ganz alleine. Das Rad gleicht dann selbstständig die entstehenden Schräglagen aus und kann sogar kleine Stöße verkraften.

Wäre das wirklich grundsätzlich so, bräuchte die Firma Sensodrive nicht aufwändige Steuerelektronik, um mittels eines kleinen Gewichtes zur Schwerpunktverlagerung ein fahrerloses Fahrrad auf der Rolle fahren zu lassen (https://www.youtube.com/watch?v=gpDAjRMi2BE). Dieses "Feintuning" macht der Fahrer eben selbst, weitgehend unbewußt/reflexartig. Wenn die Reflexe langsamer sind, als wie das Fahrrad kippt, dann hat man verloren. Ich schätze, bei einem MTB mit breiten Schlappen geht die "Selbstkompensation" evtl. in einem bestimmten Bereich, ohne daß der Schwerpunkt zu weit seitlich wandert, bei einem ganz schmalen Rennrad wohl kaum.

MattF
25.04.2017, 15:15
In dem Artikel :

https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=12&sqi=2&ved=0ahUKEwiv67if1r_TAhXGD8AKHXrRByEQFghUMAs&url=https%3A%2F%2Fwww.uni-frankfurt.de%2F52726327%2F01_MNU_Fahrrad.pdf&usg=AFQjCNHDDsviVkw1Pe94WM-6MmGE3N4cDQ&sig2=9HZ0l4ooHCJajxrHb5i0qw&cad=rja

steht, dass man ein Fahrrad auch ohne Regelung auf einer Rolle fahren lassen kann.

Wieso sensodrive da ne aufwendige Regelung einbaut, verstehe ich nicht.

Das Rad muss halt schon ne gewisse Geschwindigkeit haben, bevor es stabil wird (durch den Nachlauf).

Und am Schluß von dem video versucht er ja das Rad per Hand aus dem Gleichgewicht zu bekommen und es fällt auch nicht um, obwohl er die Regelung mit dem Lenkrad beeinflusst.

Ich kann leider den Ton des Videos nicht hören. Wird das noch erklärt?

LidlRacer
25.04.2017, 15:16
Es ist etwas unübersichtlich, denn es gibt viele Effekte, die eine Rolle spielen können.
Erstaunlicherweise sind die beiden meist genannten Kreiselwirkung und Nachlauf nicht zwingend nötig, damit sich ein Fahrrad selbst stabiliert:
www.youtube.com/watch?v=84Wczsi4vHg
http://bicycle.tudelft.nl/stablebicycle
http://ruina.tam.cornell.edu/research/topics/bicycle_mechanics/stablebicycle/index.htm

Hab's aber selbst noch nicht 100%ig verstanden ...

Übrigens meine ich, das wir das Thema vor gar nicht allzu langer Zeit (vielleicht 2 Jahre?) schon mal hatten, aber ich habe es (noch) nicht gefunden ...

MattF
25.04.2017, 15:19
www.youtube.com/watch?v=84Wczsi4vHg



Genau. Da sieht man das Rad fährt komplett ohne Regelung allein, wenn er es mit einer gewissen Geschw. anschubst.

LidlRacer
25.04.2017, 15:25
Übrigens:
Wenn in diesem Zusammenhang von Kreiselwirkung die Rede ist, geht es nicht darum, dass diese so stark ist, dass sie allein Fahrrad und Fahrer aufrecht hält.
Es geht viel mehr darum, dass sie ein automatisches Lenken bewirkt, also wenn das Rad nach links kippt, lenkt es automatisch nach links und verhindert damit weiteres Kippen bzw. sorgt für das Wiederaufrichten.

Selbstversuch:
Man nehme ein Vorderrad, fasse es mit beiden Händen an den Achsenden und versetze es in schnelle Rotation (in normaler Fahrtrichtung).
Nun lasse man mit einer Hand los, und wundere sich, was passiert, falls man den Effekt noch nicht kennt!

Aber wie gesagt, dieser Effekt ist nicht (allein) entscheidend!

Thorsten
25.04.2017, 19:17
Manchmal sollte ein Feuilleton-Redakteur sich beim Schreiben über technische Zusammenhänge lieber auf einen einfachen Link wie diesen beschränken (von mir aus auch von dort abschreiben):

https://de.wikipedia.org/wiki/Gyroskopischer_Effekt

Dann kommt einfach nicht soviel Unsinn dabei raus :(. Um bei dem Aufhänger "Wie erkläre ich es meinem Kind?" zu bleiben - "Ist halt so!" wäre immer noch die bessere Antwort gewesen ;).

LidlRacer
25.04.2017, 20:27
Manchmal sollte ein Feuilleton-Redakteur sich beim Schreiben über technische Zusammenhänge lieber auf einen einfachen Link wie diesen beschränken (von mir aus auch von dort abschreiben):

https://de.wikipedia.org/wiki/Gyroskopischer_Effekt

Dann kommt einfach nicht soviel Unsinn dabei raus :(. Um bei dem Aufhänger "Wie erkläre ich es meinem Kind?" zu bleiben - "Ist halt so!" wäre immer noch die bessere Antwort gewesen ;).

Vielleicht sollte man sich aber auch mit Kritik zurückhalten, weil in dem Artikel ein anderer Aspekt erklärt wird, als wir hier (und Dein Link) primär diskutieren.

Der Artikel erklärt eigentlich nur, warum ein Fahrrad in diesem Zustand -
http://media1.faz.net/ppmedia/aktuell/4233785700/1.4970009/width610x580/infografik-die-physik-des.jpg
also in einer Kurve - nicht umkippt.
Und das im Prinzip zutreffend. Dabei ist die Zentrifugalkraft zwar eine "Scheinkraft", aber damit ist es anschaulicher als wenn man einem Laien etwas von der Zentripetalkraft erzählen würde.
Der gyroskopische Effekt hat damit an sich nix zu tun.

Der Artikel will gar nicht erklären, warum das Fahrrad sich selbst stabilisiert.

Frieder
25.04.2017, 21:15
Ist mir voll egal - Hauptsache es funktioniert!

Thorsten
25.04.2017, 21:43
Der Artikel will gar nicht erklären, warum das Fahrrad sich selbst stabilisiert.
Was die Überschrift nicht wirklich suggeriert ;).

Bei nochmaligem genaueren Lesen erscheint es mir so, dass der Artikel das Regelsystem des Fahrers erklärt, der beim drohendem Umkippen des Fahrrads eine Kurvenbewegung einleitet, die durch die dabei auftretende Zentripetalkraft ein dagegen gerichtetes aufrichtendes Moment erzeugt. Dieses Moment würde den Fahrer ohne Gegenbewegung direkt zur anderen Seite umkippen lassen, also tritt der Regelkreis sofort wieder in Aktion. Das ganze natürlich in minimalen Auslenkungen. Ich habe es nicht ausgerechnet, würde aber vermuten, dass der gyroskopische Effekt und der Nachlauf für den größten Teil des stabilen Fahrzustandes sorgt und damit die erforderliche Rest-Regelung minimal hält.

Hier steht nochmal was zum selbststabilisierenden "Fahrrad" ohne die Hilfe von Nachlauf und Kreiselkräften:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/neues-freihand-fahrrad-die-masse-macht-s-a-756544.html

sybenwurz
25.04.2017, 22:05
Wäre das wirklich grundsätzlich so, bräuchte die Firma Sensodrive nicht aufwändige Steuerelektronik, ...

Braucht man nicht, solange du das Ding nicht steuern willst.
Nimm dein Rad mal am Sattel, ein paar Schritte Anlauf und schieb es damit an.
Dann lässte los und du wirst sehen, dass es 10, 20m rollt. Dann wirds langsamer und kippt irgendwann um.




Manchmal sollte ein Feuilleton-Redakteur sich beim Schreiben über technische Zusammenhänge lieber auf einen einfachen Link wie diesen beschränken (von mir aus auch von dort abschreiben):

https://de.wikipedia.org/wiki/Gyroskopischer_Effekt

Dann kommt einfach nicht soviel Unsinn dabei raus . Um bei dem Aufhänger "Wie erkläre ich es meinem Kind?" zu bleiben - "Ist halt so!" wäre immer noch die bessere Antwort gewesen .

Alles schön und gut, aber wieso sind dann auch Skirodel, quasi antriebslose Fahrräder mit Skiern statt Rädern und Fussrasten problemlos zu händeln und steuern?

http://www.sbc-royal.de/skibob_club/skibob_sportart/nostalgie07.jpg

Ein paar Worte hab ich auch hier (http://www.triathlon-szene.de/index.php?Itemid=10&id=497&option=com_content&task=view) darüber verloren.
Dazu zitiere ich noch einen Satz aus deinem Link:
Entgegen der gängigen Meinung ist der gyroskopische Effekt nicht ausschlaggebend dafür verantwortlich, dass sich ein (vorwärts) freilaufendes Fahrrad üblicher Lenkgeometrie selbständig ausbalanciert.

Schwarzfahrer
25.04.2017, 23:02
Wieso sensodrive da ne aufwendige Regelung einbaut, verstehe ich nicht.

Das war mal ein Messeexponat, um ihre tolle Regelungstechnik zu demonstrieren - Grund genug., oder?:Lachen2:

Nach etwas längerem Studium der Quellen (ging in der Arbeit nicht so gut) sehe ich auch ein, es geht tatsächlich auch ohne Regelung - aber nur wenn es schnell genug ist; mit der Sensodrive-Regelung geht es auch langsamer (im Stand dürfte es aber auch versagen). Außerdem kann ich mich inzwischen erinnern (war vor ca. 10 Jahren), daß sie sagten, damit können sie die sonst unvermeidliche seitliche Drift abfangen, und quasi endlos auf der Rolle fahren. Wäre doch etwas, um das Fahrrad zu beschäftigen, oder neue Reifen einzufahren, auch wenn man selbst einen Ruhetag einlegen will....:Lachanfall:

Raimund
26.04.2017, 00:39
Für alle Eltern: :Huhu:

http://www.leifiphysik.de/mechanik/drehbewegungen/versuche

Nobodyknows
26.04.2017, 06:09
Ist mir voll egal - Hauptsache es funktioniert!

Danke! :Blumen:
Sind die nicht alle wieder voll nerdy? :Cheese:

Gruß
N. :Huhu:

MattF
26.04.2017, 12:27
Das war mal ein Messeexponat, um ihre tolle Regelungstechnik zu demonstrieren - Grund genug., oder?:Lachen2:

Sie regeln was, was man gar nicht regeln muss, sehr clever. :Cheese:

Thorsten
26.04.2017, 21:02
Und warum? Weil sie es können :Cheese:.

LidlRacer
27.04.2017, 23:05
Sind die nicht alle wieder voll nerdy? :Cheese:


Mehr Nerdiness:


Hier steht nochmal was zum selbststabilisierenden "Fahrrad" ohne die Hilfe von Nachlauf und Kreiselkräften:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/neues-freihand-fahrrad-die-masse-macht-s-a-756544.html

Noch mal zu dem merkwürdigen Teil.
http://cdn2.spiegel.de/images/image-202819-galleryV9-memp-202819.jpg
Mir war zunächst unklar, wofür das Gewicht an der vorderen Rahmenverlängerung gut ist. Und damit war mir ebenso unklar, inwieweit die Erkenntnisse von diesem Spezialrad auch für ein normales Fahrrad gültig sind.

Inzwischen ist mir immer noch unklar, wofür das Gewicht an der vorderen Rahmenverlängerung gut ist. Aber nun bin ich ziemlich sicher, dass es überhaupt keine Funktion hat! :Lachen2:
Und ich bin nun sicher, dass die Erkenntnisse von diesem Spezialrad - nämlich, dass es auch ohne Kreiselwirkung und Nachlauf von selbst gegenlenkt, wenn es in eine Richtung kippt, auch für ein normales Fahrrad gültig ist.
Um das zu zeigen, hätte man das Teil eigentlich gar nicht bauen müssen.

Kleiner Versuch, den jeder mit seinem Fahrrad durchführen kann:
Man halte das stehende Rad z.B. an Sattel oder Oberrohr fest und neige es nach links! Was passiert? Es tut genau das, was das komische Spezialteil tut: Es lenkt nach links! Offensichtlich auch ohne Kreiselwirkung, denn die Räder drehen sich ja gar nicht.
Spielt hier im Stand evtl. der Nachlauf eine Rolle, obwohl es gar nicht "läuft"?
Um das auszuschließen, heben wir das Rad in die Luft und neigen es dann wieder nach links. Was passiert? Es lenkt immer noch nach links!

Hurra!

Warum lenkt es von selbst? Weil der Schwerpunkt des gelenkten Teils (Vorderrad, Gabel, Vorbau, Lenker mit Anbauteilen) vor der Lenkachse liegt, und wenn dieser Schwerpunkt bei Schräglage sich weiter nach unten bewegen "will", lenkt er damit das Rad automatisch so, dass das Kippen durch Fahren einer Kurve abgefangen wird. Letzteres funktioniert natürlich nur, wenn es fährt.

sybenwurz
27.04.2017, 23:44
Es lenkt immer noch nach links!

Du kannst deinen Schwerpunkt auch woandershin verlagern, so dass du die Kiste anhebst, nach irgendwohin neigst und das Rad schlägt auf die andere Seite ein.
Fahrbar ist es dennoch, und nicht zwangsweise schlecht(er).
Schau dir Saalsporträder an wie für Kunstradfahren oder Radball.
Noch einfacheres Beispiel: rastendes Lenklager.

Thorsten
27.04.2017, 23:59
Bei einem Steuerrohrwinkel von 90 Grad wäre das nicht mehr der Fall, oder?

Das Kippen wird auch nur abgefangen, wenn die Zentripetalkraft groß genug ist, um das Rad auch wieder aufzurichten. Wenn nicht, dann wird das Umkippen nur verlangsamt.

Vielleicht liegt die Wirkung der nach vorne ragenden Gewichte auch darin, dass die Zentripetalkraft m * Omega² * r bei identischer Winkelgeschwindigkeit Omega durch den größeren Radius (Schwerpunkt wandert durch das Gewicht nach außen) auch größer wird und eine aufrichtende Hebelwirkung auf das gesamte "Fahrrad" ausübt?

LidlRacer
28.04.2017, 00:03
Wenn ich das richtig sehe, haben Saalsporträder einen besonders großen Nachlauf, weil die Gabel NICHT nach vorn gebogen ist.

Bei dem anfangs verlinkten Kopfball-Film wird das übrigens falsch erklärt.
Da heißt es, durch die Vorbiegung der Gabel entstehe der Nachlauf.
Tatsächlich entsteht der Nachlauf durch die schräge Lenkachse - die Vorbiegung verringert ihn.

LidlRacer
28.04.2017, 00:05
[sorry, Doppelposting wegen Serverproblem]