Vollständige Version anzeigen : Ist LD Paleo?
schoppenhauer
03.07.2013, 11:09
Diese Quälerei, das für alle sichtbare stundenlange Leiden auf der Laufstrecke – geht’s da um Buße, Erlösung, Jesus oder um etwas, das noch viel weiter zurück liegt und viel tiefer in uns drin steckt?
Die Athleten konnten am Sonntag wieder mit diesem Mix aus Bewunderung und vollstem Unverständnis bestaunt werden. Nicht die erste Hälfte – hier geht’s um die zweite Hälfte. Die Motivation der Top 1000 ist leicht nachvollziehbar: Das vorhandene Talent wird über Disziplin und Ehrgeiz zur Entfaltung gebracht. Saure Wochen, süße Feste hat Goethe das genannt.
Nur – was sucht die zweite Hälfte an diesem endlos langen Tag eigentlich? Viele beginnen schon das Laufen auf einer Weise, die nichts mit diesem Sport zu tun hat. Verbissen und verkniffen, mit starrem Blick, immer weiter….. 5 oder 6 Stunden lang. Ich schaff es – und das völlig ohne Not! Die Atmosphäre am Lendkanal nach 18:00 Uhr kann wirklich finster sein. Erlebt man dann den Zielkanal schlägt das schnell in ein „hätte ich mal auch“ um. Dann könnt ich jetzt auch vor Glück heulen, mich selbst richtig lieben und die Anerkennung der Masse in vollen Zügen genießen.
Zur Ausgangsfrage – warum das alles? Über Jahrtausende hat der Mensch die meiste Zeit seines Lebens leidend verbracht: Kälte, Hitze, Hunger und Durst galt es zu bewältigen, Angreifer abzuwehren. Seit einem schwindend geringen Teil seiner Entwicklungsgeschichte ist es dem Mensch möglich, ein halbwegs unbeschwertes, leidloses Leben zu führen. Nicht allen, aber sehr vielen und natürlich fast allen LD-Teilnehmern. Ein Blick in die Wechselzone genügt.
Über Jahrtausende kam das Leben über weite Strecken dem gleich, was man am Abend auf der Laufstrecke beobachtet: Leiden, Verzicht, sich durchbeißen und auf das Ziel hoffen, egal wie weit es weg ist. Und wenn man dann nach Tagen der Entbehrung den Säbelzahntiger erlegt hatte und die Beute zur hungrigen Sippe brachte war man im Zielkanal, nur halt ohne „You are an Ironman!“.
Es ist ja nicht so, dass das alles Teilnehmer sind, die einmal über sich hinaus wachsen wollen und etwas wirklich großartiges leisten wollen. Gerade unter den älteren Männern findet man viele Wiederholungstäter, die es einfach nicht lassen können nach der langen Radwanderung 42 Kilometer in der Hitze zu humpeln….
Das ist Paleo !
Diese Quälerei, das für alle sichtbare stundenlange Leiden auf der Laufstrecke – geht’s da um Buße, Erlösung, Jesus oder um etwas, das noch viel weiter zurück liegt und viel tiefer in uns drin steckt?
Zumindest geht das dann an mir vorbei.
Ich finishe ne Mitteldistanz mit einem Lächeln auf den Lippen und ne LD kommt für mich zumindest im Moment nicht in Frage weil ich genau das befürchte, dass ich leiden werden.
Also ich bin kein Leider.
Bin ich dann eher ein moderner Mensch?
MfG
Matthias
Wolfgang L.
03.07.2013, 12:42
Diese Quälerei, .... nach der langen Radwanderung 42 Kilometer in der Hitze zu humpeln….
Das ist Paleo !
:Cheese:
schön geschrieben, du übertreibst ein wenig, aber die Freude am sich selber Quälen ist sicher bei vielen vorhanden.
@Mattf
Auch wenn viele mit einem Lächeln finishen heißt das ja nicht, dass sie die ganze Wettkampf Distanz über gelächelt haben.
pinkpoison
03.07.2013, 13:19
Glaubst Du wirklich, dass Jäger und Sammler (früher und in der heutigen Zeit) trotz karger materieller Lebensumstände unglücklichere Menschen sind, als wir sesshaften Menschen in den Industrieländern? Sie leben traditionell das, was gemeinhein als "paleo" gemeint ist. Wer je in seinem Leben in Kontakt mit solchen Kulturen war, vermittelt nicht das Bild eines von Qualen und Leid geprägten Lebens und unglücklicher Menschen. Ganz im Gegenteil.
Schau ich mir hingegen die subjektiven Einschätzung der Lebensqualität Menschen unserer Breiten an, dann bekomm ich eher den Eindruck, dass Qualität von "Qual" kommt und dass wesentlich mehr Menschen, die weder gelegentlich frieren noch gelegentlich hungern müssen, unglücklicher sind als dies bei den Jägern und Sammlern der Fall ist.
Auch in Aksese lebende Menschen in Klostergemeinschaften wirken zumindest auf mich ziemlich zufrieden mit ihrem Dasein, während diejenigen die blind dem Paradigma der Marktwirtschaft folgend, im Konsum materieller Güter dauerhaftes Glück suchen, eher einen unglücklichen Eindruck machen.
Ist Extremsport (und der m.E. extrem von "Materialismus" geprägte Triathlonsport) letztlich nichts anderes als ein Fetisch einer Generation die im Konsum Glück sucht und es letztlich dort ebensowenig dauerhaft finden kann wie im Konsum von Klamotten und Smartphones?
Dies würde zumindest die "Wiederholungstäter" erklären, die in einer Schleife gefangen scheinen, die sie nicht verstehen und die sie deshalb endlos neu durchleben müssen und dabei doch keine "Erlösung" erfahren werden.
Ich glaube, wenn Du das Thema "Katharis (http://de.wikipedia.org/wiki/Katharsis_%28Psychologie%29)" gewählt hättest, wäre das passender gewesen als "paleo".
(...) Hypothese, dass das Ausleben innerer Konflikte und verdrängter Emotionen zu einer Reduktion dieser Konflikte und Gefühle führt. Vornehmlich wird von Katharsis gesprochen, wenn durch das Ausleben von Aggressionen, z. B. das Schlagen auf einen Sandsack, eine Reduktion von negativen Emotionen (Ärger, Wut usw.) erzielt werden soll.
Extremsport als Katharis passt m.E. wesentlich besser zu der These eines - subjektiv empfunden - an sich unerfüllten und letztlich unglücklichen Lebens, dem durch den extrem betriebenen Sport ein Sinn bzw. Erlösung von der Qual eines reizlosen Lebens gegeben werden soll.
Hinzu kommt (individuell) ggfls. noch ein guter Schuss christlicher (vor allem protestantischer) Ethik, wonach nur gottgefällig lebt, wer etwas leistet. Und Leistung ist seit dem biblischen Ursündenfall nur im Schweisse unseres Angesichtes als solche zu bewerten.
Früher gabs die Flagellanten (http://de.wikipedia.org/wiki/Flagellanten) - heute gibts eben LD-Triathleten und Ultraläufer, die nach einem 100-Meilen Lauf mit ihren blutig geschundenen Füssen prahlen.... mit Paleo hat das gar nichts zu tun.
Paleo ist im Kern nicht mehr als der Versuch, unserem genetisch evolvierten Setup gemäß zu leben, um möglichst gesund, möglichst alt zu werden. Mehr nicht - auch wenn man natürlich auch an den kulturellen Randfragen und ihrer Diskussion seine Freude haben kann.
Hinzu kommt (individuell) ggfls. noch ein guter Schuss christlicher (vor allem protestantischer) Ethik, wonach nur gottgefällig lebt, wer etwas leistet. Und Leistung ist seit dem biblischen Ursündenfall nur im Schweisse unseres Angesichtes als solche zu bewerten.
Das ist wohl so.
Bin ich aber auch weit davon entfernt, vielleicht werde ich deshalb auch nie eine LD finishen.
@Mattf
Auch wenn viele mit einem Lächeln finishen heißt das ja nicht, dass sie die ganze Wettkampf Distanz über gelächelt haben.
Ich sprach ja auch von mir und ich finishe ne MD ohne all zu großes Leiden, und das Laufen sieht aus wie Laufen und nicht wie humpeln. wobei viele andere Menschen das gar nicht verstehen können. Fast 6h Sport zu machen geht über die Vorstellungskraft vieler.
MfG
Matthias
pinkpoison
03.07.2013, 13:43
. Fast 6h Sport zu machen geht über die Vorstellungskraft vieler.
...denen Du Dich deshalb auch nicht nur körperlich, sondern auch moralisch überlegen fühlst und die Du deshalb manchmal verachtest für das was und wie sie sind, weil sie Dir unterlegen sind... ?? ;)
...denen Du Dich deshalb auch nicht nur körperlich, sondern auch moralisch überlegen fühlst und die Du deshalb manchmal verachtest für das was und wie sie sind, weil sie Dir unterlegen sind... ?? ;)
Verachten wäre zuviel gesagt.
Verachten tu ich eher die Leute die glauben die ganze Zeit mir ihren Benzinkutschen durch die Gegend zu fahren. Ganz schlimm, mit der Benzinkutsche ins Fitnessstudio.
Aber auch hier gilt, Leben und Leben lassen.
Die Gedanken sind allerdings frei.
:Huhu:
... Paleo ...
............. paleo .................................................. ............................................. paleo .........................
Paleo .............................................. Paleo .............
und es geht los ... ;)
pinkpoison
03.07.2013, 14:19
und es geht los ... ;)
... und dass Du dich ebenfalls zu Wort meldest (obwohl Du in der Sache offenbar nichts beizutragen hast..) gehört auch irgendwie zum Ritual ;)
sbechtel
03.07.2013, 15:12
Ist Extremsport (und der m.E. extrem von "Materialismus" geprägte Triathlonsport) letztlich nichts anderes als ein Fetisch einer Generation die im Konsum Glück sucht und es letztlich dort ebensowenig dauerhaft finden kann wie im Konsum von Klamotten und Smartphones?
Und solche Worte aus dem Munde eines Marketingexperten, trotz oder wegen? :Cheese:
... und dass Du dich ebenfalls zu Wort meldest (obwohl Du in der Sache offenbar nichts beizutragen hast..) gehört auch irgendwie zum Ritual ;)
Ach weisst Du, seit längerer Zeit halte ich mich raus, nur ab und zu überkommt es mich, aber auch dann hab ich, wie Du richtig bemerkst, eigentlich nichts beizutragen.
Und auf keinen Fall wollte ich diesen auch von der Philosophie her (oder so) sehr interessanten Thread unterbrechen und zieh' mich auch schon wieder zurück ...
Katharis (http://de.wikipedia.org/wiki/Katharsis_%28Psychologie%29)
Katharis
KatharSis.
Schoppi hat recht. Ich halte es mit Mallory (http://video.nationalgeographic.com/video/movies/wildestdream/wildest-dream-because/).
schoppenhauer
03.07.2013, 22:20
Gelöscht
schoppenhauer
03.07.2013, 22:25
Glaubst Du wirklich, dass Jäger und Sammler (früher und in der heutigen Zeit) trotz karger materieller Lebensumstände unglücklichere Menschen sind, als wir sesshaften Menschen in den Industrieländern? .
Was für ein erster Satz !
Zeig mir die Stelle, an der ich von 'Unglücklichen' schreibe, und ich lese gerne auch den Rest deiner ausführlichen Ausführungen.
vBulletin v3.6.1, Copyright ©2000-2025, Jelsoft Enterprises Ltd.