kaiserswerther kenianer
16.11.2011, 21:57
Der Kenianer beim Breitreifentriathlon - Cross ist krass!
Endlich ein Wettkampf, zu dem sie ihn überreden musste.
„Triathlon auf Ameland? Da müssen wir hin.“ Für einen Ausflug auf ihre Lieblingsinsel nahm sie in Kauf, dass der Kenianer einen ganzen Tag mit Sporttreiben beschäftigt wäre. Nicht, dass er dort für eine Kurzdistanz so lange brauchen sollte, aber sie wusste genau, dass ein Wettkampftag in aller früh mit einem ausgewogenen Frühstück begann und spät in der Nacht mit einem stöhnenden und krampfgeplagten Mann im Doppelbett endete. Dazwischen würde er siebzehnmal die Tasche kontrollieren, immer wieder die Toilette blockieren und der ganzen Familie mit Verpflegungsanweisungen auf die Nerven gehen. Trotzdem. Da wollte sie hin.
„Warum sind wir da noch nie gewesen? Du weißt doch, wie gerne wir dorthin fahren. Selbst für ein Wochenende…!“
Was sollte er sagen? Vielleicht die Wahrheit? Dass ihn 36km kurze Radstrecken nicht interessierten? Dass es doch kein richtiger Triathlon war, weil man nur mit breiten Reifen fahren durfte? Dass Veranstaltungen, die keine fünfzig Euro kosteten, keine ernstzunehmende Wettkämpfe sein konnten? Dass das Datum nicht in seinen Jahreszyklus passte?
Das würde sie nicht verstehen.
„Ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen, dass es dort einen Triathlon gibt. Aber wenn du möchtest, bitte… Fahren wir halt dahin.“ Diesen Gefallen würde er ihr gerne machen.
Sie hatte gerade die Website der Veranstaltung gefunden. „Cross Triathlon? Was bedeutet das denn?“
Der Kenianer stöhnte… So viel Unwissenheit.
„Ist eigentlich alles normal, außer dass man mit einem Mountainbike fahren muss…“
„Aber du hast doch gar keins…“
„…ist kein Problem. Kann man auf der Insel leihen...“
Sie öffnete die Streckenbeschreibung. Ein blaue Linie auf einem Satellitenbild markierte den Verlauf der Radstrecke.
„Wo fahren die denn da?“ Sie deutete auf die Karte. „ Da sind doch gar keine Wege.“
„Doch, doch. Das liegt an unserem Browser. Die Linien sind etwas verrutscht. Die fahren auf den Radwegen aus Muschelkalk und am Strand entlang zurück!“, er war sich zu sicher.
Denn es lag nicht am Browser. Die Linie war nicht verrückt und die Radstrecke wirklich auf Wegen, wo keine Wege waren und am Ende war ihm jeder Meter der Strecke zu viel. Brutal lernte er den Unterschied kennen. Den Unterschied zwischen herkömmlichen Triathlon und der Crossvariante seiner Sportart.
Schon das Schwimmen war anders. Es war eine Premiere für ihn, zum ersten Mal in Salzwasser zu schwimmen. Doch statt der klaren und warmen Dünung vor Hawaii wartete auf ihn vor Ameland das Wattenmeer. Fünfzehn Grad kaltes Nordseewasser schwappte an den Deich. Die erste Prüfung war das Fluten des Anzugs. Er presste Zeigefinger und Daumen aufeinander, um seinem Sohn zu signalisieren, wie kalt das Wasser war.
Das war wirklich kälter, als alles, was er bisher erlebt hatte.
„Ok. Jungs, einmal reingehen reicht doch, oder nicht? Das ist doch nur ein Spaß, das wir hier schwimmen sollen. Das ist doch bestimmt mur so ein Inselritual, dass man als Mutprobe ins Wasser springt, oder nicht?“ dachte er still. Wen hätte er es auch fragen sollen? Landsleute waren kaum da. Vielleicht werde ich ja bester Deutscher, hoffte er.
Aber es war kein friesischer Initiationsritus. Die Holländer machten ernst. Ein Startschuss, dann jagte das Feld durchs Watt aufs Meer hinaus. Fünfzig Meter konnte man noch im Schlick gehen, dann gab es kein entkommen mehr. Ein Kilometer eisiges Wasser mussten sie hinter sich bringen. Zwei Bojen um schwimmen. Wenn er die Bojen denn sah. In Wellentälern sah er nichts als Berge aus dunklem Wasser und einige Badekappen um sich herum.
„Was mache ich hier eigentlich?“ fragte er sich, als er schon das zweite Mal einen kräftigen Schluck Salzwasser genommen hatte. Selbst im Neoprenanzug wurde es kalt, die Dünung machte das atmen schwer und orientieren war Glückssache. „Wohl doch kein Kinderspiel!“ Er setzte all seine Energie ein, um die ganze Strecke durch zu kraulen. „Wenn ich schon nicht als erster aus dem Wasser steige, so will ich später zumindest nicht Brustschwimmen. Und wenn ich das Schwimmen hinter mir habe, dann ist das schlimmste vorbei…“ dachte er, als er durch die Nordsee pflügte.
Mit dem Kraulen hatte es geklappt. Er hatte das Brustschwimmen vermeiden können. Aber mit der Annahme, dass der angenehmere Teil an Land begann, lag er gründlich daneben, als er sich auf das Leihrad mit den breiten Reifen schwang.
Er hatte es im Verleih kritisch beäugt. Eine Schaltgruppe, deren Namen mehr einer Warnung als einer Verheißung nahe kam und Bremsen, wie es sie schon lange nicht mehr im Handel waren. Aber egal. Erstens sollten es ja nur die paar Kilometer über die Insel sein, zweitens könnte er dann ja auch nichts wertvolles kaputtmachen und drittens wusste er eh nicht, wie sich ein gutes Mountainbike anfühlte. Um genau zu sein, wusste er überhaupt nicht, wie sich ein Mountainbike anfühlte. Weder ein gutes noch ein schlechtes. Er hatte noch nie auf einem gesessen.
Nach wenigen Metern merkte er, dass es keine gute Idee war. Es war keine gute Idee, hier mit dem Mountainbiken zu beginnen. Erst recht war es keine gute Idee, es in einem Wettkampf mit achthundert Teilnehmern zu tun. Zwischen Sandlöchern, Grasnarben, schmalen Matschpfaden und dem steten Auf- und Ab von Dünen wurde er zum Verkehrshindernis. Rechts und links überholten ihn die Holländer. „Chottverdommet…!“ tönte es hinter ihm, wenn er mal wieder schmale Pfade blockierte, weil er mit gezogenen Bremsen Dünen hinunterrutschte.
Ohne jede Erfahrung hatte er sich in ein Abenteuer gestürzt und zahlte den Preis dafür. Erst fünf Kilometer vorbei. Diese 36 Kilometer würden lang werden. Verdammt lang.
Mehrere Stürze sah er. Der erste fuhr auf dem Feldweg in ein Schlammloch und landete mit einem spektakulären Überschlag im Entwässerungsgraben. Mitten in einem Gemisch aus Brackwasser und Schafsscheiße. Der zweite versuchte erfolglos von einer schmalen Furche auf eine breitere zu wechseln und der dritte passierte sein Vorderrad, als es im tiefen Sand stecken blieb.
Das machte ihn noch bänger.
Zudem war es auch noch anstrengend. Keine Sekunde Pause. Lenken, Treten, Durchgeschüttelt und Überholt werden. Nach fünf Kilometern brannten die Beine, nach zehn Kilometer schmerzten die Hände, nach fünfzehn Kilometer waren die Rückenmuskeln ein einziger, schmerzender Granitblock . Was sollte er tun? Ins Gras werfen und weinen? Verlockende Idee. Er wollte nicht mehr. Nicht mehr fahren durch wilde Naturschutzgebiete. Das waren Pfade, auf denen er nicht mal Laufen wollte. Rechts und Links jagten holländische Meisjes an ihm vorbei und versuchten ihn aufzumuntern.
Er hatte keine Ahnung, was die sagten. Er sehnte sich nach dem Strand. Die letzten zehn Kilometer der Radstrecke führten über den Sandstrand. „Bei Ebbe lässt es sich bestimmt gut fahren“, hoffte er.
Es war Ebbe. Aber es ließ sich nicht gut fahren. Für einen Doppelzentner war der Sand immer noch zu weich. Und es war Gegenwind.
Kurz vor dem Ziel erwischte es auch ihn. Nachdem er sein Rad wieder auf die Dünenkrone geschleppt hatte, versuchte er sich wieder mit Fahren. Von einer schmalen Grasnarbe rutschte er in ein Sandloch. Das Vorderrad blieb stecken und der Kenianer überholte in zwei Meter Höhe den Lenker. Er rollte sich über die untere Zahnreihe ab und testete die Bissfestigkeit von Nordseesand. Der knirschte zwischen den Zähnen, aber sonst war alles gut gegangen. Er spuckte aus, schimpfte über die Ungerechtigkeit der Welt und schnappte sich sein Rad.
Ein beherzter Tritt in die Pedale, ein Ruck und dann war kein Widerstand mehr auf der Kette. Was war denn das?
Er traute seinen Augen nicht. Der Tag hatte noch weitere Überraschungen für ihn parat. Jetzt war es die erstaunliche Erkenntnis, das Schaltwerke in der Mitte durchreißen können. Es baumelte lose an der Kette. So etwas hatte er noch nie gesehen. Fahren ging nicht mehr. Ein Kilometer noch.
Doch von Verzweiflung keine Spur. Im Gegenteil! Der Kenianer konnte sein Glück kaum fassen. Das war sein weißer Ritter für die grauenvolle Crosstriathlonpremiere. Die glorreiche Ausrede für eine schwache Zeit (Anm. Bis zu diesem Zeitpunkt decken sich die Erlebnisse des Autors mit denen des Protagonisten der Geschichte…). Das gerissene Schaltwerk machte aus ihm einen Helden, als er das Rad in die Wechselzone schob.
Der Streckensprecher bejubelte den „Kenianer uit Duitsland“. Die Zuschauer klatschten begeistert. Trotz Defekts nicht aufgegeben. Was für ein toller Kerl!
Er deponierte den Schrotthaufen an seinem Wechselplatz und begab sich auf die Laufstrecke. Nach den ersten beiden Disziplinen machte er sich keine Illusionen mehr. Schwimmen und Radfahren war mörderisch hart gewesen. Fürs Laufen erwartete er nichts anderes.
Und diesmal hatte er Recht! In dem kleinen Wäldchen wurde keine Steigung ausgelassen, jedes Loch durchlaufen und zu allem Überfluss musste er noch einige Kilometer am Strand rennen. Durch tiefsten Sand die Dünen runter und wieder hoch. Und das ganze zwei Mal.
Was half ihm jetzt noch? Die netten Zuschauer, die anderen Teilnehmer, die klaglos über die Strecken liefen und der Gedanke an die Hotelsauna. Es war kein Vergnügen. 36 Kilometer Radfahren und zwölf Kilometer Laufen fühlen sich anders an. Jedenfalls, wenn der Zusatz „Cross“ vor der ganzen Sache steht.
Kilometerschnitt? Er wollte es nicht wissen. Zeit und Platzierung? So etwas von egal. Er war am Ende des Wettkampfes überglücklich, den schönsten Zielbereich seiner Karriere an der alten Windmühle laufend zu erreichen. Er hatte anderes erhofft, aber nach dreieinhalb Stunden war es das Beste, was er erreichen konnte. Zieleinlauf!
Leider interessierte sich noch nicht mal seine eigene Familie dafür. Kaum war er im Ziel, da begannen sein Weib und Sohnemann zu erzählen. Es war wichtigeres geschehen. Während der Kenianer Sand schluckte, hatte nämlich Sohnemann die Kindervariante gefinisht!
Der kleine Mann hatte seine Triathlonpremiere absolviert. Er berichtete ohne Unterlass. Vom Schwimmen im Hallenbad, wo er als erster seine Bahn verlassen hatte. Vom Radfahren über die Wiese und seiner geschickten Renneinteilung beim Laufen. Das Weib platzte vor Stolz.
„Toll!“, dachte der Kenianer. „Wenn ich Sport mache, dann ist es lästig. Aber bei Sohnemann ist das natürlich was ganz anderes!“
So sah es aus. Kenianers Zieleinlauf war Nebensache. Keiner interessierte sich für sein gerissenes Schaltwerk, das eiskalte Wasser und seine heldenhaft ertragenen Schmerzen. Er spielte die Nebenrolle. Auch bester Deutscher war er nicht. Einer der wenigen Landsmänner war nämlich Erster geworden. Kurz nachdem er Meister über die Langdistanz geworden war nutzte Georg Potrebitsch die Insel um sich auf Hawaii vorzubereiten und nebenbei freundlich lächelnd zu gewinnen.
Noch in der Sauna war sein Sohn nicht zu bremsen.
„Ey Papa. Das ist so Hammer. Ich habe meinen ersten Triathlon gemacht.“
Auf der Finisherparty stolzierte Sohnemann durch die Reihen. Plötzlich noch einen ganzen Kopf größer.
Der Kenianer ertränkte seine Erschöpfung in kühlem Heineken. Nach dem zweiten fühlte er sich, als wenn er schon immer der beste Kumpel von Georg gewesen sei, mit dem er an der Theke die Vorzüge der Insel pries. Das war ein extrem versöhnlicher Abschluss des Tages.
Den Crosstriahlon war was anderes als das, was er sonst so machte. Wo schon hundert Meter Pflasterstein reichten, damit er böse Kommentare über skandalöse Streckenführung ins Internet stellte. Hier haben sich die Leute reihenweise zerlegt, aber das war für niemand ein Grund zur Beschwerde.
„Cross ist krass!“ , das hatte er heute gelernt. Aber er würde sicher nicht das letzte Mal dabei gewesen sein.
So viel zu der Geschichte über den Ameländer Triathlon. Wer mehr von dieser tollen Veranstaltung wissen will, der kann sich diesen holländischen Beitrag über zehn Minuten auf Youtube (http://www.youtube.com/watch?v=EaT9f-CX-QM&sns=e) anschauen.
Endlich ein Wettkampf, zu dem sie ihn überreden musste.
„Triathlon auf Ameland? Da müssen wir hin.“ Für einen Ausflug auf ihre Lieblingsinsel nahm sie in Kauf, dass der Kenianer einen ganzen Tag mit Sporttreiben beschäftigt wäre. Nicht, dass er dort für eine Kurzdistanz so lange brauchen sollte, aber sie wusste genau, dass ein Wettkampftag in aller früh mit einem ausgewogenen Frühstück begann und spät in der Nacht mit einem stöhnenden und krampfgeplagten Mann im Doppelbett endete. Dazwischen würde er siebzehnmal die Tasche kontrollieren, immer wieder die Toilette blockieren und der ganzen Familie mit Verpflegungsanweisungen auf die Nerven gehen. Trotzdem. Da wollte sie hin.
„Warum sind wir da noch nie gewesen? Du weißt doch, wie gerne wir dorthin fahren. Selbst für ein Wochenende…!“
Was sollte er sagen? Vielleicht die Wahrheit? Dass ihn 36km kurze Radstrecken nicht interessierten? Dass es doch kein richtiger Triathlon war, weil man nur mit breiten Reifen fahren durfte? Dass Veranstaltungen, die keine fünfzig Euro kosteten, keine ernstzunehmende Wettkämpfe sein konnten? Dass das Datum nicht in seinen Jahreszyklus passte?
Das würde sie nicht verstehen.
„Ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen, dass es dort einen Triathlon gibt. Aber wenn du möchtest, bitte… Fahren wir halt dahin.“ Diesen Gefallen würde er ihr gerne machen.
Sie hatte gerade die Website der Veranstaltung gefunden. „Cross Triathlon? Was bedeutet das denn?“
Der Kenianer stöhnte… So viel Unwissenheit.
„Ist eigentlich alles normal, außer dass man mit einem Mountainbike fahren muss…“
„Aber du hast doch gar keins…“
„…ist kein Problem. Kann man auf der Insel leihen...“
Sie öffnete die Streckenbeschreibung. Ein blaue Linie auf einem Satellitenbild markierte den Verlauf der Radstrecke.
„Wo fahren die denn da?“ Sie deutete auf die Karte. „ Da sind doch gar keine Wege.“
„Doch, doch. Das liegt an unserem Browser. Die Linien sind etwas verrutscht. Die fahren auf den Radwegen aus Muschelkalk und am Strand entlang zurück!“, er war sich zu sicher.
Denn es lag nicht am Browser. Die Linie war nicht verrückt und die Radstrecke wirklich auf Wegen, wo keine Wege waren und am Ende war ihm jeder Meter der Strecke zu viel. Brutal lernte er den Unterschied kennen. Den Unterschied zwischen herkömmlichen Triathlon und der Crossvariante seiner Sportart.
Schon das Schwimmen war anders. Es war eine Premiere für ihn, zum ersten Mal in Salzwasser zu schwimmen. Doch statt der klaren und warmen Dünung vor Hawaii wartete auf ihn vor Ameland das Wattenmeer. Fünfzehn Grad kaltes Nordseewasser schwappte an den Deich. Die erste Prüfung war das Fluten des Anzugs. Er presste Zeigefinger und Daumen aufeinander, um seinem Sohn zu signalisieren, wie kalt das Wasser war.
Das war wirklich kälter, als alles, was er bisher erlebt hatte.
„Ok. Jungs, einmal reingehen reicht doch, oder nicht? Das ist doch nur ein Spaß, das wir hier schwimmen sollen. Das ist doch bestimmt mur so ein Inselritual, dass man als Mutprobe ins Wasser springt, oder nicht?“ dachte er still. Wen hätte er es auch fragen sollen? Landsleute waren kaum da. Vielleicht werde ich ja bester Deutscher, hoffte er.
Aber es war kein friesischer Initiationsritus. Die Holländer machten ernst. Ein Startschuss, dann jagte das Feld durchs Watt aufs Meer hinaus. Fünfzig Meter konnte man noch im Schlick gehen, dann gab es kein entkommen mehr. Ein Kilometer eisiges Wasser mussten sie hinter sich bringen. Zwei Bojen um schwimmen. Wenn er die Bojen denn sah. In Wellentälern sah er nichts als Berge aus dunklem Wasser und einige Badekappen um sich herum.
„Was mache ich hier eigentlich?“ fragte er sich, als er schon das zweite Mal einen kräftigen Schluck Salzwasser genommen hatte. Selbst im Neoprenanzug wurde es kalt, die Dünung machte das atmen schwer und orientieren war Glückssache. „Wohl doch kein Kinderspiel!“ Er setzte all seine Energie ein, um die ganze Strecke durch zu kraulen. „Wenn ich schon nicht als erster aus dem Wasser steige, so will ich später zumindest nicht Brustschwimmen. Und wenn ich das Schwimmen hinter mir habe, dann ist das schlimmste vorbei…“ dachte er, als er durch die Nordsee pflügte.
Mit dem Kraulen hatte es geklappt. Er hatte das Brustschwimmen vermeiden können. Aber mit der Annahme, dass der angenehmere Teil an Land begann, lag er gründlich daneben, als er sich auf das Leihrad mit den breiten Reifen schwang.
Er hatte es im Verleih kritisch beäugt. Eine Schaltgruppe, deren Namen mehr einer Warnung als einer Verheißung nahe kam und Bremsen, wie es sie schon lange nicht mehr im Handel waren. Aber egal. Erstens sollten es ja nur die paar Kilometer über die Insel sein, zweitens könnte er dann ja auch nichts wertvolles kaputtmachen und drittens wusste er eh nicht, wie sich ein gutes Mountainbike anfühlte. Um genau zu sein, wusste er überhaupt nicht, wie sich ein Mountainbike anfühlte. Weder ein gutes noch ein schlechtes. Er hatte noch nie auf einem gesessen.
Nach wenigen Metern merkte er, dass es keine gute Idee war. Es war keine gute Idee, hier mit dem Mountainbiken zu beginnen. Erst recht war es keine gute Idee, es in einem Wettkampf mit achthundert Teilnehmern zu tun. Zwischen Sandlöchern, Grasnarben, schmalen Matschpfaden und dem steten Auf- und Ab von Dünen wurde er zum Verkehrshindernis. Rechts und links überholten ihn die Holländer. „Chottverdommet…!“ tönte es hinter ihm, wenn er mal wieder schmale Pfade blockierte, weil er mit gezogenen Bremsen Dünen hinunterrutschte.
Ohne jede Erfahrung hatte er sich in ein Abenteuer gestürzt und zahlte den Preis dafür. Erst fünf Kilometer vorbei. Diese 36 Kilometer würden lang werden. Verdammt lang.
Mehrere Stürze sah er. Der erste fuhr auf dem Feldweg in ein Schlammloch und landete mit einem spektakulären Überschlag im Entwässerungsgraben. Mitten in einem Gemisch aus Brackwasser und Schafsscheiße. Der zweite versuchte erfolglos von einer schmalen Furche auf eine breitere zu wechseln und der dritte passierte sein Vorderrad, als es im tiefen Sand stecken blieb.
Das machte ihn noch bänger.
Zudem war es auch noch anstrengend. Keine Sekunde Pause. Lenken, Treten, Durchgeschüttelt und Überholt werden. Nach fünf Kilometern brannten die Beine, nach zehn Kilometer schmerzten die Hände, nach fünfzehn Kilometer waren die Rückenmuskeln ein einziger, schmerzender Granitblock . Was sollte er tun? Ins Gras werfen und weinen? Verlockende Idee. Er wollte nicht mehr. Nicht mehr fahren durch wilde Naturschutzgebiete. Das waren Pfade, auf denen er nicht mal Laufen wollte. Rechts und Links jagten holländische Meisjes an ihm vorbei und versuchten ihn aufzumuntern.
Er hatte keine Ahnung, was die sagten. Er sehnte sich nach dem Strand. Die letzten zehn Kilometer der Radstrecke führten über den Sandstrand. „Bei Ebbe lässt es sich bestimmt gut fahren“, hoffte er.
Es war Ebbe. Aber es ließ sich nicht gut fahren. Für einen Doppelzentner war der Sand immer noch zu weich. Und es war Gegenwind.
Kurz vor dem Ziel erwischte es auch ihn. Nachdem er sein Rad wieder auf die Dünenkrone geschleppt hatte, versuchte er sich wieder mit Fahren. Von einer schmalen Grasnarbe rutschte er in ein Sandloch. Das Vorderrad blieb stecken und der Kenianer überholte in zwei Meter Höhe den Lenker. Er rollte sich über die untere Zahnreihe ab und testete die Bissfestigkeit von Nordseesand. Der knirschte zwischen den Zähnen, aber sonst war alles gut gegangen. Er spuckte aus, schimpfte über die Ungerechtigkeit der Welt und schnappte sich sein Rad.
Ein beherzter Tritt in die Pedale, ein Ruck und dann war kein Widerstand mehr auf der Kette. Was war denn das?
Er traute seinen Augen nicht. Der Tag hatte noch weitere Überraschungen für ihn parat. Jetzt war es die erstaunliche Erkenntnis, das Schaltwerke in der Mitte durchreißen können. Es baumelte lose an der Kette. So etwas hatte er noch nie gesehen. Fahren ging nicht mehr. Ein Kilometer noch.
Doch von Verzweiflung keine Spur. Im Gegenteil! Der Kenianer konnte sein Glück kaum fassen. Das war sein weißer Ritter für die grauenvolle Crosstriathlonpremiere. Die glorreiche Ausrede für eine schwache Zeit (Anm. Bis zu diesem Zeitpunkt decken sich die Erlebnisse des Autors mit denen des Protagonisten der Geschichte…). Das gerissene Schaltwerk machte aus ihm einen Helden, als er das Rad in die Wechselzone schob.
Der Streckensprecher bejubelte den „Kenianer uit Duitsland“. Die Zuschauer klatschten begeistert. Trotz Defekts nicht aufgegeben. Was für ein toller Kerl!
Er deponierte den Schrotthaufen an seinem Wechselplatz und begab sich auf die Laufstrecke. Nach den ersten beiden Disziplinen machte er sich keine Illusionen mehr. Schwimmen und Radfahren war mörderisch hart gewesen. Fürs Laufen erwartete er nichts anderes.
Und diesmal hatte er Recht! In dem kleinen Wäldchen wurde keine Steigung ausgelassen, jedes Loch durchlaufen und zu allem Überfluss musste er noch einige Kilometer am Strand rennen. Durch tiefsten Sand die Dünen runter und wieder hoch. Und das ganze zwei Mal.
Was half ihm jetzt noch? Die netten Zuschauer, die anderen Teilnehmer, die klaglos über die Strecken liefen und der Gedanke an die Hotelsauna. Es war kein Vergnügen. 36 Kilometer Radfahren und zwölf Kilometer Laufen fühlen sich anders an. Jedenfalls, wenn der Zusatz „Cross“ vor der ganzen Sache steht.
Kilometerschnitt? Er wollte es nicht wissen. Zeit und Platzierung? So etwas von egal. Er war am Ende des Wettkampfes überglücklich, den schönsten Zielbereich seiner Karriere an der alten Windmühle laufend zu erreichen. Er hatte anderes erhofft, aber nach dreieinhalb Stunden war es das Beste, was er erreichen konnte. Zieleinlauf!
Leider interessierte sich noch nicht mal seine eigene Familie dafür. Kaum war er im Ziel, da begannen sein Weib und Sohnemann zu erzählen. Es war wichtigeres geschehen. Während der Kenianer Sand schluckte, hatte nämlich Sohnemann die Kindervariante gefinisht!
Der kleine Mann hatte seine Triathlonpremiere absolviert. Er berichtete ohne Unterlass. Vom Schwimmen im Hallenbad, wo er als erster seine Bahn verlassen hatte. Vom Radfahren über die Wiese und seiner geschickten Renneinteilung beim Laufen. Das Weib platzte vor Stolz.
„Toll!“, dachte der Kenianer. „Wenn ich Sport mache, dann ist es lästig. Aber bei Sohnemann ist das natürlich was ganz anderes!“
So sah es aus. Kenianers Zieleinlauf war Nebensache. Keiner interessierte sich für sein gerissenes Schaltwerk, das eiskalte Wasser und seine heldenhaft ertragenen Schmerzen. Er spielte die Nebenrolle. Auch bester Deutscher war er nicht. Einer der wenigen Landsmänner war nämlich Erster geworden. Kurz nachdem er Meister über die Langdistanz geworden war nutzte Georg Potrebitsch die Insel um sich auf Hawaii vorzubereiten und nebenbei freundlich lächelnd zu gewinnen.
Noch in der Sauna war sein Sohn nicht zu bremsen.
„Ey Papa. Das ist so Hammer. Ich habe meinen ersten Triathlon gemacht.“
Auf der Finisherparty stolzierte Sohnemann durch die Reihen. Plötzlich noch einen ganzen Kopf größer.
Der Kenianer ertränkte seine Erschöpfung in kühlem Heineken. Nach dem zweiten fühlte er sich, als wenn er schon immer der beste Kumpel von Georg gewesen sei, mit dem er an der Theke die Vorzüge der Insel pries. Das war ein extrem versöhnlicher Abschluss des Tages.
Den Crosstriahlon war was anderes als das, was er sonst so machte. Wo schon hundert Meter Pflasterstein reichten, damit er böse Kommentare über skandalöse Streckenführung ins Internet stellte. Hier haben sich die Leute reihenweise zerlegt, aber das war für niemand ein Grund zur Beschwerde.
„Cross ist krass!“ , das hatte er heute gelernt. Aber er würde sicher nicht das letzte Mal dabei gewesen sein.
So viel zu der Geschichte über den Ameländer Triathlon. Wer mehr von dieser tollen Veranstaltung wissen will, der kann sich diesen holländischen Beitrag über zehn Minuten auf Youtube (http://www.youtube.com/watch?v=EaT9f-CX-QM&sns=e) anschauen.