Zitat:
Zitat von Zarathustra
Daß die Kirche seither aber einen empiristischeren Weg auf der Ebene der theoretischen Rechtfertigung einschlagen würde, ist mir nicht bekannt und, glaube ich, aus gutem Grund auch nicht anzunehmen.
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Bei diesem Satz habe ich auch gestutzt. Was darf man sich unter einem
empirischen Weg zur theoretischen Rechtfertigung des christlichen Glaubens vorstellen?
In der Geschichte des Christentums war man während der weitaus längsten Zeit davon überzeugt, dass Gott sichtbare, nachprüfbare Zeichen seiner Existenz in die Welt gesetzt hätte. Augustinus war davon überzeugt. Für ihn war die Ausbreitung der katholischen Kirche über die gesamte Welt ein solcher empirischer Beweis (er kannte ja nur seine kleine Ecke am Mittelmeer und hielt sie für die Welt; über die tatsächlichen Dimensionen der Welt, räumlich wie zeitlich, irrte er sich wie alle seine Zeitgenossen in groteskem Ausmaß).
Auch für Luther waren die sichtbaren Zeichen Gottes entscheidend. Er sagte:
"So es dazu keme, dass man vergessen sollt illam historiam, so were der Grund hin."
Damit meinte er: Wenn sich zeigte, dass Außenereignisse wie die Kreuzigung und Wiederauferstehung Christi, das Eintreffen von Prophezeiungen usw. nicht historisch, also nicht tatsächlich geschehen sein sollten, so wäre der Grund zu glauben, dahin.
Heute sind Gottesbeweise aller Art in Verruf geraten, auch bei den Gläubigen. Was will man sich heute unter einem
empirischen Weg zur Rechtfertigung des Glaubens als künftige Strategie der Kirche vorstellen?
Bitte entschuldigt, wenn ich hier hyperventiliere, aber diese Vorstellung ist so abenteuerlich, dass es schon fast eine Unverschämtheit ist. Auf der ganzen Welt arbeiten zigtausende Wissenschaftler empirisch. Sie untersuchen seit mehreren Jahrhunderten alle nur denkbaren Naturphänomene und ihre Ursachen. Nirgendwo, in keinem einzigen Fall, zeigte sich auch nur ansatzweise das Wirken einer übernatürlichen Macht. Umgekehrt hat sich jedes vermeintliche Wunder, welches eine nähere Untersuchung wert war, sich als rein naturgesetzlich herausgestellt. Ohne eine einzige Ausnahme.
Falls die Kirchen auch nur eine Sekunde lang daran denken, auf dem Weg empirischer (nachprüfbarer) Forschung eine Begründung ihrer speziellen und konkreten Religion zu finden – da bleibt mir wirklich die Spucke weg. Welche theologische Disziplin soll da vorangehen – Engelkunde? Machen sich theologische Archäologen auf die Suche nach der Arche Noah? Werden theologische Geologen in den Schluchten des Grand Canyon nach Beweisen für den Beginn der Welt vor 6000 Jahren suchen, während ihre Kollegen nebenan an Erdschichten arbeiten, die mehrere Millionen Jahre alt sind?
Bitte entschuldigt meinen Ton, aber das ist wirklich lächerlich. Wenn die Kirchen sich tatsächlich mehr an Fakten orientieren wollten, können sie sofort bei den einfachsten Fakten anfangen: Dass Jesus ein Mensch war und kein Gott. Dass die Bibel Menschenwerk ist und nicht das Werk des Heiligen Geistes. Dass wir Gott nach unserem Ebenbild schufen und nicht umgekehrt. Dass sich Heilige, Päpste und Gelehrte noch und nöcher geirrt haben, wie Menschen sich eben irren, selbst die besten wie Sokrates, Kant, Gandhi und Einstein. Das wäre ein erster Schritt in Richtung intellektueller Redlichkeit.