Ich bin hin und her gerissen. Einerseits finde ich den französischen Staat konsequent, bei dem jede Art von religiöser Symbolik in der Öffentlichkeit zu unterbleiben hat. Der Staat ist säkular, Religion ist Privatsache. Offenbar leben die Franzosen gut damit.
Allerdings möchte ich mir die Peinlichkeit eines Gesetzes ersparen, welches erwachsenen Menschen vorschreibt, wie sie sich zu kleiden haben. Ich denke nämlich, dass das jeder Erwachsene selber am besten entscheiden kann. Hier in Frankfurt leben alle nur denkbaren Nationen friedlich miteinander. Kopftücher gehören zum Alltag, und niemand sieht darin ein Problem.
Ich würde sogar sagen, es leistet einen Beitrag zur Integration. Es ist gut für die Muslime, wenn sie erkennen, dass sie ein normaler und alltäglicher Bestandteil der Gesellschaft sind; und es ist gut für die anderen Bürger, wenn sie ihre anfängliche Skepsis überprüfen und irgendwann ablegen können. Es ist gut für muslimische Mädchen, wenn sie sehen, dass sie in Deutschland zur Richterin ernannt werden können; und es gut für die anderen Bürger, wenn sie erkennen, dass diese Richterin keineswegs nach der Scharia urteilt.
(Es wäre für die muslimischen Mädchen allerdings auch nicht verkehrt, wenn sie sähen, dass eine muslimische Richterin im Gerichtssaal das Kopftuch ablegt, ohne dass sie vom Teufel geholt wird.)
Ich finde auch Arnes Hinweis bedenkenswert, dass die Leute ihren Glauben nicht ändern, wenn sie zu einer bestimmten Kleidung gezwungen werden. Und dass es deswegen nur eine Illusion ist, dass der neutral gekleidete Richter tatsächlich religiös neutral wäre.
Eigentlich läuft die Debatte verkehrt herum. Wir befassen uns mit Kleidung, während der persönliche Glaube nicht infrage gestellt werden darf. Ich persönlich halte es genau anders herum: Mir ist wurscht, was jemand anzieht, aber ich kritisiere den Glauben. Ob jemand im Gericht fair urteilt, oder ob jemand einen LKW in einen Weihnachtsmarkt fährt, ist nicht Sache der Kleidung, sondern des Glaubens. Hier sollte die Gesellschaft ansetzen. Es sollte kein Tabu sein, Glauben zu thematisieren und zu kritisieren.
Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich habe behauptet, dass manche Musliminnen sagen, sie dürften das Kopftuch nicht abnehmen - weshalb sie ja vor Gericht ziehen und dort argumentieren, dass das Kopftuch zentrales Element ihrer Religion sei.
Mir steht es überhaupt nicht zu, zu beurteilen, wer ein Muslim ist. Ich habe wie gesagt nur die Argumente der betroffenen Musliminen zitiert. Ob das theologisch stimmt, darüber mögen die Islamgelehrten streiten.
Das aus religiösen Gründen getragene Kopftuch ist eben mehr als ein Stück Stoff (Danke für diese Formulierung, keko).
Versteh mich nicht falsch, ich bin für eine strikte Trennung von Staat und Religion, viel radikaler als dies derzeit der Fall ist. Ich sehe aber einen andauernden Trend, alles zum Symbol zu machen. Das Kopftuch ist ein Symbol, 18 und 88 sind Symbole, SS auf dem Nummernschild wäre ein Symbol (gibt es ja nicht, deswegen guckt Stefan Schulz in die Röhre).
Sogar 1488 ist ein Symbol. Da muss man erstmal drauf kommen!
Diejenigen, die solche Symbole als Provokation nutzen, erfreuen sich deren Wirkung auf Außenstehende und den daraus entstehenden Konflikten, was sie dazu anstachelt noch mehr Banalitäten mit uneigentlicher Bedeutung zu belegen und zum Politikum zu machen. Kann man das nicht einfach mal ignorieren?
Mir wäre es am liebsten, wenn man sich weniger auf Symbole als auf Taten konzentrierte. Dann müsste man sich keine Gedanken darüber machen, ob man einen Jungnazi vor sich hat oder einen jungen Menschen, der 1988 geboren wurde (Herrje! Der wäre ja auch schon fast 30!). Man könnte das Verhalten des Menschen mit dem "88" T-Shirt für sich sprechen lassen.
Und auch bei einer Richterin mit Kopftuch würde ich vermuten, dass sie beim Schwur aufs Grundgesetz keinen Meineid geleistet hat. Bis das Gegenteil offenbar wird sehe ich es so, dass sie sich gerne einen Stofflappen um den Kopf bindet, vielleicht weil sie so aussehen will wie - die von mir seit meinen Jugendtagen verehrte - Grace Kelly.
Zitat:
Zitat von trithos
Wenn meine Töchter sich dann aber in Bezug aufs Kopftuch von pseudoreligiösen Macho-Buben blöd anreden lassen müssen, hört bei mir jedes Verständnis auf. Und ich denke mir: wehret den Anfängen!
Unsere Meinung, wo die Anfänge liegen, gehen in dieser Frage weit auseinander. Ich würde mich auf die Macho-Buben konzentrieren und die Menschen, die ihnen das vermittelt haben, statt auf das Stück Stoff, das eben nur ein Symbol für die sowieso vorhandene Frauenverachtung dieser Kerle darstellt.
Diejenigen, die solche Symbole als Provokation nutzen, erfreuen sich deren Wirkung auf Außenstehende und den daraus entstehenden Konflikten, was sie dazu anstachelt noch mehr Banalitäten mit uneigentlicher Bedeutung zu belegen und zum Politikum zu machen. Kann man das nicht einfach mal ignorieren?
Unsere Meinung, wo die Anfänge liegen, gehen in dieser Frage weit auseinander. Ich würde mich auf die Macho-Buben konzentrieren und die Menschen, die ihnen das vermittelt haben, statt auf das Stück Stoff, das eben nur ein Symbol für die sowieso vorhandene Frauenverachtung dieser Kerle darstellt.
"Ignorieren von Provokationen" schreibt sich leicht. Und es ist sicher eine Möglichkeit. Wenn Du aber als junges Mädchen mit "Provokationen" persönlich konfrontiert bist und als junge heranwachsende Frau in Deiner Integrität angegriffen wirst, noch dazu von körperlich viel stärkeren, ist das nicht mehr lustig. Da "über den Dingen zu stehen" und sich nicht provozieren lassen, will ich nicht von meinen Töchtern verlangen. Ich verlange von den Provokateuren, die Provokationen zu beenden. Der Staat sollte da klare Grenzen signalisieren.
Wenn Du aber als junges Mädchen mit "Provokationen" persönlich konfrontiert bist und als junge heranwachsende Frau in Deiner Integrität angegriffen wirst, noch dazu von körperlich viel stärkeren, ist das nicht mehr lustig.
Natürlich nicht und da siehst Du mich als Rufer nach einer viel härteren staatlichen Hand. Aber die jungen Mädchen werden ja gerade nicht vom Kopftuch angegriffen, sondern von jungen Männern. Denen gilt es das Handwerk zu legen. Genau das geschieht aber in vielen Fällen nicht. Anstatt Grenzen aufzuzeigen, werden jugendliche Rabauken und Kriminelle durch ausbleibende Sanktionen zu immer dreisteren Taten ermuntert. Der Kampf gegen das Kopftuch ist ein Scheingefecht, das die Anmutung staatlichen Handlungswillens erzeugt, wo in Wirklichkeit Gleichgültigkeit und Lethargie herrschen.
Zitat:
Zitat von trithos
Ich verlange von den Provokateuren, die Provokationen zu beenden.
Es ist Dein Recht, das zu verlangen. Und es ist das Recht der Provokateure, Deine Aufforderung zu ignorieren.
Zitat:
Zitat von trithos
Der Staat sollte da klare Grenzen signalisieren.
Körperliche Übergriffe und direkte Beleidigungen oder Aufrufe zu Gewalttaten gilt es zu ahnen. Das Recht zur Provokation muss aber im Gegenteil durch den Staat geschützt werden. Wenn der Staat alles reglementiert, was eine ausreichend große Menge als Provokation empfindet, dann ist die sogenannte freie Meinungsäußerung keinen Pfifferling mehr wert.
Wer verbale oder symbolische Provokation nicht erträgt, ist in einer Diktatur besser aufgehoben als in einer Demokratie. Wie Gleichschaltung aussieht, wissen wir doch mittlerweile. Ich bin, wie fast immer, im Zweifel für mehr Freiheit.
Ist die Notwendigkeit eines Kopftuchs für ein gottgefälliges Leben nicht lächerlich?
Das spielt für mich keine Rolle. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit kann auch darin bestehen, auf Freiheit bewusst zu verzichten. Oder etwas Lächerliches zu tun.
Wer aus freien Stücken beschließt, zu Ehren seines Gottes am Karfreitag das Tanzen zu unterlassen, kein Schweinefleisch zu essen, das Haar zu verhüllen oder sich dem Manne zu unterwerfen, hat grundsätzlich meinen Segen. Vorausgesetzt, die Entscheidung erfolgte einigermaßen frei, und es entstehen keine größeren Nachteile für andere Menschen.
In diesem Sinne respektiere ich es, wenn eine Frau beschließt, aus religiösen Gründen ihr Haar zu verhüllen. Denn es entsteht andersdenkenden Menschen kein Schaden dadurch.
Man kann sicher darüber diskutieren, inwieweit diese Entscheidung tatsächlich freiwillig erfolgte. Keine Entscheidung ist frei von Ursachen. Wer als Säugling eine christliche Taufe erfuhr, danach einem christlichen Religionsunterricht und einer christlichen Erziehung ausgesetzt war, hat sich ebenfalls nicht frei für einen Glauben entschieden. Kurz: Man muss sich damit begnügen, wenn religiöse Bekenntnisse frei von offensichtlichem Zwang durch Dritte sind. Dann haben wir sie meiner Meinung nach als Ausdruck der persönlichen Freiheit zu respektieren.