PDA

Vollständige Version anzeigen : Lüttich - (fast) Bastogne - Lüttich Teil II


kaiserswerther kenianer
21.05.2014, 23:03
L´Ancienne Bariérre ist der Name der ersten Steigung, die den Veranstaltern würdig genug erschien, auf der Streckenskizze Erwähnung zu finden. Ich persönlich fand das stete Auf- und Ab bislang schon anspruchsvoll genug, so dass ich jetzt voller Ehrfurcht die Markierung passiere, die den Beginn des 4800 Meter langen Anstiegs ankündigt. Es ist leerer geworden auf der Strecke. Die Streckenteilungen haben das Feld gelichtet. Trotzdem bin ich auch hier nicht der lässige Souverän der Landstraße. Im Gegenteil. Weiterhin gehöre ich aufwärts zu den unteren zehn Prozent.
Aber da ich Lüttich im Sattel sitzend wiedersehen möchte, widerstehe ich dem Drang mich an die verlockenden Rückfronten vorbeiziehender Bergziegen zu heften. Stattdessen lass ich den Blick über Landschaft, Straße und Tacho schweifen. Ich zähle die angekündigten 4800 Meter rückwärts. Stetig, schnurgerade und nicht so steil wie befürchtet führt mich die breite Straße in den Wald hinein. Und ohne das es besonders schwer geworden ist, habe ich schon die Hälfte geschafft. Der Rettungsanker dreht sich unberührt auf dem neuen Laufrad und das bleibt sogar bis zum Ende der Steigung so. Während oben die rasanten Gruppen verweilen, rolle ich in eine Abfahrt ganz nach meinem Geschmack. Nicht zu steil, nicht zu schmal und langgezogene Kurven. Die komprimierten Gewichtsvorteile katapultieren mich in die Upper Class des Tempofeldes. Die kleinen Freuden der Abfahrt begleiten mich einige Kilometer und schon naht die nächste Verpflegung.
Um es aber nicht zu leicht zu machen, haben die Veranstalter die Anfahrt zu dieser noch mit rauhem Kopfsteinpflaster ausgelegt. Im Innenhof eines Schlossähnlichen Gebäudekomplex wandern unzählige Becher Iso, massenweise Salzstangen und Trockenobst, sowie die üblichen Süßspeisen in meinen Zwischenspeicher zu Energiegewinnung.
Umkehren ist jetzt keine Option mehr. Der Blick auf die große Landkarte bestätigt, dass ich weiter als hier in Stavelot nicht mehr von Lüttich weg sein werde. 73 Kilometer gefahren, aber noch sechs Cotes vor mir.
Von der rechten Schulter flüstert mir mein Sportengel aufmunternd zu, dass ich schon fast die Hälfte hinter mir habe : „Die Form stimmt, die fühlst Dich gut. Du bist unterwegs im Herzen Europas und nicht im Dschungel Amazoniens. Es kann Dir nichts passieren und schon bald bist Du wieder im Dunstkreis Deines Hotels. Mach Dir also keine Sorgen!“
Doch Teufel links lässt nicht lange auf sich warten: „Pah, Hälfte! Das ich nicht lache! Jetzt kommen die hundert schweren Kilometer! Du hast bisher gar nichts erreicht! Das war noch kommt ist der Hammer und Du hast schon Körner für fünfundsiebzig Kilometer verschossen. Bis jetzt war nur Kindergeburtstag. Dafür warst Du gerade gut genug. Aber jetzt ist für Erwachsene. Und ob Du da zu gehörst, frage ich mich schon lange. Fühl dich bloß nicht sicher!“
Danke Teufel. Du hast dein Ziel erreicht: Ich fühle mich nicht sicher. Dafür aber einsam. Wie beim Berlin Marathon erdrückt mich die Masse an buntgewandeten Menschen. Ich wünsche mir jemanden, mit dem ich meine Sorgen teilen kann. Doch die Begleiter sind schon lange über zwei Berge und wahllos französisch sprechende Sportler anzusprechen scheint nicht erfolgsversprechend, wenn alles was einem auf französisch noch einfällt die Frage nach dem nächsten Schwimmbad ist.
Ich entscheide mich fürs weiterfahren und balanciere über das grobe Pflaster im kleinen Städtchen Stavelot auf eine Ampel zu. Sie zeigt rot und ich stelle mich am Pulk an. Die Pause eröffnet mir die Möglichkeit, in Ruhe geradeaus zu schauen.
–Das ist jetzt die Stelle, an denen im Unterschichtenfernsehen irgendeine tätovierte Teeniegöre „Oh mein Gott!“ rufen und sich vor Schreck die Hand vor den Mund halten würde, bevor sie in hysterisches Lachens ausbräche. –
Schnurgerade himmelwärts geht es hinter der Kreuzung durch den Ort weiter. Eine Steigung, die jetzt endlich Leiden verspricht.
Voller Unbehagen und Stroopwaffeln blicke ich zum Cote de Haute Leveè hoch. Irgendwann verliert sich der Blick hinter einer Kurve mit ungewissem Steigungsfortgang. Die Ampel wird grün, der Drang zur Konversation ist noch nicht verschwunden. Wie einen alten Freund begrüße ich den Rettungsanker.
„Komm Kumpel, Du und Ich, wir sind doch ein prima Trio!“, versuche ich mich mit Fußballerzitaten aufzumuntern. Kette links und Eyes Down. In steilen Stücken konzentriert sich mein Gesichtsfeld auf das in Zeitlupe vorbeischleichende Asphaltstück der nächsten fünf Meter. Stetig und steil geht es lange geradeaus auf die Kurve zu, hinter der der Anstieg unvermindert weitergeht. Einige wenige schieben, aber mit Hilfe meines 27zähnigen Freundes lasse ich die Kompakte Kurbel bis oben rotieren.
„Ging doch einigermaßen….!“, gratuliert mir das Engelchen von der rechten Schulter runter, was zur Folge hat, dass der Teufel wortlos auf das Schild deutet, welches die Kilometer bis zur nächsten Steigung ankündigt. Es wird die erste mit Zeitnahme sein. Das lässt zumindest befürchten, dass sie spektakulär schwerer sein wird. Die eigene Zeit ist mir diesmal wirklich egal.
„Hauptsache ankommen, die Zeit spielt keine Rolle!“ , gehört bekanntlich zu den Top Five der Hobbysportlerlügen, aber hier und heute stimmt es für mich. Mein einziges Zeitziel ist die Happy Hour an der Hotelbar, die Bier zum halben Preis verspricht.
An mir fliegt ein Trikot vorbei. „Kölner Universitätskliniken“. Soll ich als Düsseldorfer so weit sinken, mich in den Windschattens eines rheinischen Rivalen zu setzen? An Tagen wie diesen…? Sicherlich. Kennt mich ja keiner hier…
„Das musst Du aber zu Hause erzählen…“ hält mir der freundliche Bewohner der rheinischen Metropole vor (Anm. des Autors: „Hiermit erledigt!“)
Auf den Flachstücken lutsche ich gnadenlos, bergan verliere ich das Trikots aus den Augen und abwärts überhole ich ihn. Die Kilometer fliegen über den Tacho, es könnte endlos so weiter gehen, doch plötzlich und unvermittelt bereitet die Streckenführung diesem heiteren Spielchen ein jähes Ende. Hinter einer scharfen Rechtskurve versteckt wartete der Col du Rosier. Der erste Berg mit Zeitmessung veranlasst die ehrgeizigen Fahrer zur Pause vor dem Start. Ich rolle stoisch weiter und begrüße den Rettungsanker.
Das die Belgier schnell Rennradfahren können, habe ich schon bemerkt. Das ich aber mitten im Anstieg die vierköpfige Familie mit den normalen Tourenrädern nur sehr langsam überhole, sorgt am Abend in Lüttich für Erheiterung. In dem Moment aber verhöhnen mich die prall gefüllten Satteltaschen der Mutter mitten in der Steigung. Strecken, die meine Holden nicht mal mit dem Auto fahren möchten, sind den Belgiern eine Familienradtour wert. Ich fasse es nicht.
Doch auch irgendwann ist der Anstieg vorbei. Während sich ausgepumpte Zeitfahrer in schattigen Plätzchen mit Getränken versorgen rolle ich in der Manier eines Dieseltreckers weiter. 25 Kilometer bis zur dritten und letzten Verpflegung bei Kilometer 115.
Ausnahmsweise jetzt wirklich flach. Die Landstraße bleibt im Flusstal. Und es beginnt die logische, wenn auch immer wieder erstaunliche Sogwirkung des Pulkfahrens. Am Ende sind wir bestimmt hundert. Das macht nicht wirklich Spaß, wenn man sich schon bei der Ausfahrt der achtköpfigen Trainingsgruppe des Triathlonvereins beengt und unwohl fühlt. Anflüge falscher Platzangst und die todesverachtenden Überholmanöver der belgischen Autofahrer lassen zumindest vergessen, dass man nach fünf Stunden auf dem Rad eigentlich leiden sollte. Ich frage mich, ob das Anhupen von Radgruppen wie bei uns ein aggressiver Akt der Verkehrserziehung oder einfach ein freundlicher Hinweis auf den bevorstehenden Überholvorgang durch den Autofahrer ist. Mich stresst es jedenfalls jedes mal. Zum Glück nicht allzu lange. Denn plötzlich und unerwartet sind wir an der letzten Labe. Der letzten Labe vor den großen Prüfungen. Der letzten Labe vor dem legendären Cote de la Redoute, dem Cote de la Roche au Faucons und dem Cote de Saint-NicolasLa Redoute“. Der letzten Labe vor fünfzig schweren Kilometer mit Steigungsspitzen über 20 Prozent, die noch zwischen mir und der Happyhour liegen.

PS: Entschuldigt bitte die verzögerte Fortsetzung des ersten Teils. Da aber vom Schreiben die Form für den nächsten Triathlon nicht besser wird und ich zudem durch die Abgabe meiner Arbeitskraft Löcher auf dem Konto stopfen muss, bleibt mir momentan nicht so viel Zeit für schnelle Fortsetzungen langer Geschichten. Aber es geht noch etwas weiter… Versprochen!

Duafüxin
22.05.2014, 08:00
Herrlich!

Vielen Dank :Blumen:

Mosh
22.05.2014, 09:58
Kannst du bitte einen Vorschuß beantragen und weiter schreiben?

Sehr schön zu lesen:Blumen:

Mosh

neonhelm
22.05.2014, 20:16
:Blumen: Vielen Dank. Ich warte gerne.

FMMT
22.05.2014, 20:29
Super :Blumen:

finisher05
04.06.2014, 20:58
Schön geschrieben, und weil es gerade passt noch eine Info. Am kommenden Sonntag kann man all das auch selber Live erleben.

Pfingstsonntag ist immer "der Tag" für Tilff-Bastogne-Tilff. Der Ort liegt etwa 10 Km hinter Lüttich und da geht am Sonntag mal richtig die Post ab.
Es gibt auch dort drei verschiedene Streckenlängen zur Auswahl, wer ein wirkliches Highlight braucht der sollte aber schon die lange Runde fahren (es ist schon ein gewaltiger Unterschied ob man vor der Côte de La Redoute 150 oder 220 Km gefahren ist, die meisten die an der Steigung aus "den Latschen kippen" gehören eher zur letzten Gruppe).

Weitere Infos: http://www.sport.be/cyclingtour/tilffbastognetilff/2014/eng/